150 Jahre Telefon

Vom Fernsprecher zum Handy

25.10.2011
Merkwürdige Worte machten Johann Philipp Reis berühmt: "Das Pferd frisst keinen Gurkensalat."

Sie fielen vor rund 150 Jahren bei einer Vorstellung des Fernsprechers. Damals ahnte Reis noch nicht, dass sein Gerät die Kommunikation radikal verändern sollte.

Verzwirbelte Kabel, Warten vor dem Münztelefon, eine Liebesbotschaft per SMS oder einfach nur: "Ich hab' kein Netz!" Fast jeder hat seine Erfahrungen gemacht mit dem Gerät, das heute aus dem Alltag der Menschen nicht mehr wegzudenken ist: mit dem Telefon. Ob als Handy in der Tasche, als Festnetzgerät in den Varianten schnurlos oder verkabelt oder gar als schwarzer Nostalgiker mit Wählscheibe - wenige andere Gegenstände haben in den vergangenen 150 Jahren das Leben der Menschen derart verändert wie das Telefon.

Der Tüftler und Erfinder Johann Philipp Reis aus dem hessischen Friedrichsdorf konnte all das noch nicht ahnen, als er am 26. Oktober 1861, im Alter von 27 Jahren, der Physikalischen Gesellschaft in Frankfurt seinen Fernsprecher präsentierte. Sein Vortrag hieß eher nüchtern: "Über die Fortpflanzung von Tönen auf beliebige Entfernungen durch Vermittlung des galvanischen Stroms".

Ein zentraler Satz, der durch das neue Gerät geschickt wurde, fiel der Legende nach bei einer anderen Vorführung. Und er klang merkwürdig: "Das Pferd frisst keinen Gurkensalat." Doch Reis und andere Anwesende konnten bei dem Test mit dem spontan ausgedachten Fantasie-Satz beweisen, dass Sprecher und Zuhörer sich nicht abgesprochen oder etwas auswendig gelernt hatten.

Für den Physikunterricht hatte der Hobbymechaniker und Elektrotechniker zuvor eine Ohrmuschel aus Holz entwickelt und dabei wohl ein Stück Wurstdarm als nachempfundenes Trommelfell mit feinen Platinstreifen eingesetzt.

Den ganz großen Durchbruch schaffte Reis nicht. Er starb mit 40 Jahren an Tuberkulose, bevor er seinen Apparat weiterentwickeln konnte. Der Fernsprecher von Reis funktionierte nämlich nur in eine Richtung - der Hörer konnte nicht sofort antworten.

Erst als in den USA Alexander Graham Bell in den 1870er Jahren ein Telefon auf den Markt brachte, das abwechselnd ans Ohr und dann an den Mund gehalten wurde, trat der Fernsprecher seinen weltweiten Siegeszug an. Eines der ersten öffentliche Fernsprechnetze entstand 1881 in Berlin mit 48 Teilnehmern. Mittels Kurbel wurde die Verbindung zur Vermittlungsstelle hergestellt.

Dort wurden die Gespräche manuell weitergeleitet - bald nur von Frauen, weil ihre höheren Stimmen besser zu verstehen waren als die von Männern. "Das Fräulein vom Amt" war geboren.

Das Telefon stieß zunächst auf Skepsis. Das "Buch der Narren" wurde deshalb das ganz frühe Telefonverzeichnis genannt, das im Jahr 1881 in Berlin erschien. Das Telefon blieb zunächst ein Luxusgut, aber seine Ausbreitung war nicht aufzuhalten: 1910 wurden bereits eine Million Teilnehmer in Deutschland registriert. Heute gibt es bundesweit 39 Millionen Festnetzanschlüsse und dreimal so viele Handys.

Das Telefon ließ Raum und Zeit zusammenschmelzen, brachte Stimmen der Menschen zusammen, die weit voneinander getrennt waren. Es hielt Einzug in Film, Theater und Musik, wurde immer mehr zu einem kulturhistorischen Gut. Marlene Dietrich soll, so berichtet die Telekom, derart verliebt in den Apparat gewesen sein, dass sich ihre monatlichen Telefonrechnungen schnell auf mehr als 15.000 D-Mark summierten. Der Rockmusiker Bob Dylan ließ sich in dem Stück "Long Distance Operator" vom Telefon inspirieren und textete in seiner Ballade "I Shall Be Free": "Well, my telephone rang, it would not stop."

Die Geschichte des Telefons

1861: Johann Philipp Reis zeigt in Frankfurt am Main sein Fernsprechgerät.

1876: Alexander Graham Bell meldet in den USA einen "Sprachtelegrafen" zum Patent an.

1881: In Berlin wird das erste deutsche Telefonnetz in Betrieb genommen - mit 48 Teilnehmern.

1881: Die erste Telefonzelle wird als "Fernsprechkiosk" in Berlin aufgestellt, bezahlt wird mit "Telephon-Billets".

1889: Der Amerikaner Almon Brown Strowger erfindet die Wählscheibe und ermöglicht damit automatische Vermittlungsstellen.

1899: In Berlin stehen erste Münzfernsprecher.

1914: Im Deutschen Reich gibt es fast 1,5 Millionen Fernsprecher.

1918: Aus fahrenden Zügen werden in Deutschland erste Mobiltelefone getestet.

1926: Bahnreisende können auf der Strecken Hamburg-Berlin aus dem Zug mobil telefonieren - aber nur in der 1. Klasse.

1936: Ein Bild-Telefon wird zwischen Berlin und Leipzig erprobt.

1956: Das "Fernsehtelefon" wird in den USA entwickelt.

1962: Der US-Nachrichtensatellit "Telstar" ermöglicht auch erste Telefonate zwischen Amerika und Europa via Weltraum.

1974: Erste Tastentelefone kommen auf den Markt, in Deutschland 1978.

1978: Weltweit sind 423 Millionen Telefonanschlüsse registriert.

1980: In der Bundesrepublik gibt es 20 Millionen Hauptanschlüsse.

1983: Die Deutsche Bundespost führt bargeldlose Karten-Telefone ein.

1989: In der DDR gibt es 1,9 Millionen Anschlüsse (16,0 Prozent der Haushalte, in der Bundesrepublik haben 99,3 Prozent Telefon).

1992: In Deutschland startet das erste digitale Mobilfunknetz, die ersten Handys kosten bis zu 3200 Mark (rund 1640 Euro).

1995: Ein "Short Message Service" ermöglicht SMS-Kurzmitteilungen.

2002: Mit einer Milliarde Handys sind weltweit erstmals mehr Mobiltelefone als Festanschlüsse in Betrieb.

2003: In Deutschland werden allein in diesem Jahr 20,6 Milliarden SMS verschickt.

2005: Weltweit gibt es mehr als zwei Milliarden Handy-Nutzer.

Auch im Film ist das Telefon mehr als nur banales Requisit: "Bei Anruf Mord" heißt der Krimi von Alfred Hitchcock, in welchem Grace Kelly als Margot Wendice während eines Telefonanrufs ermordet werden soll. Und Steven Spielberg lässt in seinem Science-Fiction-Film "E.T." den gestrandeten und untröstlich Außerirdischen sagen: "Nach Hause telefonieren!"

Das "Fräulein vom Amt" ist inzwischen lange Vergangenheit. Vermittelt werden Telefonate im Selbstwählverfahren. Doch Telefonieren blieb bis in die 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts teuer. "Fasse dich kurz", ließ die Telekom-Vorgängerin Bundespost auf Telefonhäuschen kleben. Mit der Digitalisierung und der Marktöffnung setzte sich dann das Telefon, begleitet vom rasanten Siegeszug des Handys, endgültig auf breiter Basis durch.

Die grauen Apparate von früher verschwanden und mit der endgültigen Marktöffnung 1998 purzeln die Telefonpreise. Das Handy läuft dem Festnetztelefon zunehmend den Rang ab. Der Branchenverband BITKOM schätzt den weltweiten Markt in der Telekommunikation, einschließlich Gerätehersteller und Netzwerkausrüster, auf ein Volumen von 1,5 Billionen Euro. Im vergangenen Jahr wurden 1,6 Milliarden Handys nach Angaben Marktforschungsunternehmens Gartner verkauft, jedes Fünfte war ein sogenanntes Smartphone mit Internetzugang.

Die mobilen Alleskönner von heute haben mit der künstlichen Ohrmuschel von Johann Philipp Reis nur noch wenig zu tun. Die Übermittlung von Sprache in die Ferne ist in der modernen Kommunikationswelt von Twitter und Facebook nur noch ein schönes Beiprodukt der Datenkommunikation. Und doch hat sich Reis als Erfinder des Telefons der Nachwelt verewigt, wenn es heißt: "Sprich bitte in die Muschel, ich kann dich nicht verstehen." (dpa/tc)