Vom Datenschutzgesetz zum Datenverkehrsrecht?

12.03.1982

In Branchenkreisen sind drei wichtige Papiere zur Novellierung des BDSG mehr oder weniger bekannt, die indes nur indirekt Aufschluß geben über die Gründe, die die Vorlage eines Referentenentwurfs blokkieren. Am 5. Oktober wurde innerhalb des Bundesinnenministeriums ein Entwurf eines Artikelgesetzes zur Novellierung des BDSG zur hausinternen Abstimmung rundgesandt. In diesem Entwurf, immerhin 47 Maschinenseiten, stecken eine Reihe nicht nur redaktioneller Änderungen. In Kreisen der SPD hingegen kursieren Formulierungsvorschläge, die von einem Arbeitskreis stammen, bei dem der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Professor Bull, für maßgebliche Denk- und Formulierungshilfen sorgte (auch hier: ein Opus vom 48 Seiten). Darüber-hinaus hat der innerparlamentarische Ausschuß im Herbst des Jahres 1981 die bis dahin vorliegenden Vorschläge zur Novellierung des Datenschutzrechts unter Einbeziehung der Entwürfe des Jahres 1980 ausgearbeitet und zur Diskussion gestellt. Alle drei Papiere wurden der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht; auch die Verbände wurden noch nicht zur Stellungnahme aufgefordert.

Es ist wohl unzweifelhaft daß der Datenschutz bei den DV-Anwendern nicht mehr den anfänglichen Stellenwert hat. Die Dinge haben sich normalisiert". Dennoch - und vielleicht gerade deshalb - muß der DV-Anwender argwöhnen, daß das Schattenboxen um die Novellierung des BDSG schwerwiegende Hintergründe hat - Hintergründe die bei einer entsprechenden Umsetzung in einen Gesetzestext vielleicht für die Datenverarbeitungspraxis problematisch sein können.

Licht in dieses Dunkel brachte ein Aufsatz von Dr. Rudolf Schomerus (ZRP 1981, Heft 12), der parallel zur Novellierungsdiskussion unter dem Titel "Datenschutz oder Datenverkehrsordnung?" erschien. Bemerkenswert dabei ist, daß Schomerus, seinerzeit einer der Referenten im Bundesministerium des Innern, seit einigen Jahren Mitarbeiter beim Bundesbeauftragten für den Datenschutz, eine Kontrahaltung gegenüber seinem Chef erkennen läßt. Schomerus zeigt - vereinfacht gesprochen - den Scheideweg auf, an dem wir zur Zeit stehen:

Entweder versteht der Gesetzgeber das Bundesdatenschutzgesetz als Mittel des Individualrechtsschutzes oder er besinnt sich darauf, daß er mit dem BDSG ein Instrument in der Hand hat, um Datenverkehrsrecht zu schaffen. Wer meint, man könne das eine mit dem anderen erreichen, übersieht den grundsätzlichen Ansatz in dieser Frage.

Das BDSG will der Bedrohung der Individualsphäre des Bürgers entgegentreten, wobei davon ausgegangen wird daß die automatisierte Datenverarbeitung durch ihre neuen Möglichkeiten derartige Bedrohungen des Personlichkeitsrechts bewirken kann.

Diejenigen, die als Fernziel ein Datenverkehrsrecht vor Augen haben, müssen zur Begründung ihrer Auffassung jedoch davon ausgehen, daß jegliche Datenverarbeitung a priori gefährlich ist. Erst unter einem solchen Ansatz gewinnt ein derart weitgehendes Regelungsbedürfnis Sinn.

Schomerus zeigt in seinem Beitrag deutlich auf, daß es sich hierbei um zwei grundverschieden Positionen handelt.

Bleibt man einmal bei der Polarisierung Datenschutz/Datenverkehrsordnung, so ergeben sich für die praktische Durchführung interessante Konsequenzen:

Das Datenschutzrecht ist mit einer starken Selbstkontrolle durchaus denkbar. Es geht da von aus, daß nicht Datenverarbeitung an sich die Privatsphäre bedroht, sondern der nicht sachgerechte Umgang mit der Datenverarbeitung. Da ein gewisses Interesse an sachgerechtem Umgang mit der Datenverarbeitung keinem DV-Anwender abgesprochen wer den darf, ist zunächst einmal auch die Funktion der Selbst kontrolle sinnvoll und logisch. Sie kommt in bestimmten Bereichen nicht ohne Fremdkontrolle aus - all dies ist im BDSG heute bereits geregelt.

Strebt man langfristig eine Datenverkehrsordnung, ein Datenverkehrsrecht an, so ist der Staat aufgerufen, die Regelungen zu überwachen. Tendenzen in dieser Richtung sind durchaus zu beobachten:

Eine Verstärkung der aufsichtsbehördlichen Zuständigkeiten und Kompetenzen ist in der Novellierungsdiskussion mehrfach gefordert worden interessanterweise auch und sehr weitgehend von der Opposition. Im Europaparlament ist der SPD-Abgeordnete Siegler-Schmidt bemüht, den Datenschutz in Europa nach dem schwedischen Genehmigungsmodell zu verankern, was das bisherige deutsche Datenschutzrecht auf den Kopf stellen würde. Es sei daran erinnert, daß die Schweden die Lizensierung von Datenbanken im privaten Bereich, nach anfänglichen Erfahrungen mit ihrem Datenschutzgesetz, erheblich erleichtert haben, weil sonst eine Strangulierung der Datenverarbeitung in der Wirtschaft hätte befürchtet werden müssen.

"Zettelkastendatenschutz"

Aber nicht nur rechtspolitische Überlegungen sind anzustellen. Ein Teil der freien Marktwirtschaft, ein Teil der freiheitlichen Gesellschaftsordnung stehen zur Diskussion - und werden langfristig in Frage gestellt - , wenn man daran geht, Formen der menschlichen Kommunikation total zu verrechtlichen. Inwieweit derartige Bestrebungen überhaupt von Menschen ernst genommen werden, ist eine andere Frage. Ich hörte neulich, im Zusammenhang mit dem Tätigkeitsbericht der baden-württembergischen Landesdatenschützerin, das böse Wort "Zettelkastendatenschutz".

Die Datenverarbeiter haben 1977 durchweg positiv auf das Bundesdatenschutzgesetz reagiert. Die meisten der oft genug hämischen Kritiken seinerzeit wurden nicht aus der DV-Szene geäußert. Jetzt sollte man die redaktionellen Pannen von 1977 ausbügeln. Ob je ein Datenverkehrsrecht erforderlich ist, kann bestenfalls am Ende dieses Jahrzehnts mit hinreichender Sicherheit gesagt werden.

Das Bundesdatenchutzgesetz (BDSG) soll novelliert werden. Seit einem halben Jahr erwartet man praktisch täglich die Vorlage eines Referentenentwurfs zur Abstimmung mit Wissenschaftlern und Verbänden Warum tut sich das Bundesinnenministerium dabei so schwer - mag sich der außenstehende Beobachter fragen.