Volkswagen nutzt BI mit System

22.10.2008
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Sascha Alexander ist seit vielen Jahren als Redakteur, Fachautor, Pressesprecher und Experte für Content-Strategien im Markt für Business Intelligence, Big Data und Advanced Analytics tätig. Stationen waren unter anderem das Marktforschungs- und Beratungshaus BARC, die "Computerwoche" sowie das von ihm gegründete Portal und Magazin für Finanzvorstände CFOWORLD. Seine Themenschwerpunkte sind: Business Intelligence, Data Warehousing, Datenmanagement, Big Data, Advanced Analytics und BI Organisation.
Mit dem "BI-Programm" schuf die Konzern-IT ein engagiertes Team, das Fachbereiche für die regelmäßige Nutzung von Informationen für Prozess-Controlling, Reporting, Analyse, Planung und Recherche gewinnen soll.

Das Steuern und Ausrichten eines Unternehmens von der Größe des Volkswagen-Konzerns ist ohne angemessene technische Unterstützung kaum zu bewältigen. Sichere Entscheidungen erfordern einheitliche und konzernweit akzeptierte Kenngrößen und Messverfahren. Diese müssen den aktuellen Leistungsstand und den Grad der Zielerreichung wahrheitsgetreu und konsistent widerspiegeln. Nach diesen Business-Intelligence (BI)-Prinzipien werden im Volkswagen-Konzern beispielsweise die Werke der Fahrzeug- und Aggregatefertigung gesteuert sowie die Beschaffungs-, Logistik-, Vertriebs- und Service-Prozesse optimiert.

Heute sind BI-Lösungen fester Teil der IT-Strategie im drittgrößten Automobilunternehmen der Welt. Anfang 2005 initiierte Konzern-CIO Klaus Hardy Mühleck eine interne Bestandsaufnahme und gab die Definition erster Ziele und Aufgaben für eine BI-Strategie in Auftrag. Zum einen erforderte die Marktentwicklung diese Maßnahmen, zum anderen standen herstellerseitig die geeigneten Werkzeuge zur Verfügung. Im Fokus waren dabei zunächst die Marken VW Automobile und Audi sowie die deutschen Produktionsstandorte des Konzerns.

In den folgenden Monaten wurde der Ist-Zustand via Interviews und Fragebögen in den Fachbereichen erhoben. Dabei identifizierte das Projektteam über 120 entscheidungsunterstützende Systeme, die sich als BI-Anwendungen bezeichnen lassen. "In jedem der Kernprozesse von Volkswagen haben wir unterschiedliche BI-Systeme mit unterschiedlichen Produkten, Organisationsformen, Daten-Management etc. gefunden", schildert Thorsten Sommer, Leiter IT-Kompetenzfeld Business Intelligence der Volkswagen AG, die Ausgangslage. Bereichs- und projektgetriebene Einzellösungen beherrschten das Bild. Der Blick für ein koordiniertes, bereichsübergreifendes Vorgehen musste noch geschärft werden.

Übergreifendes Team für BI

Als Reaktion auf eine zu verbessernde Ausgangssituation beschloss Mühleck bereits Mitte 2005, innerhalb der Konzern-IT ein übergreifendes Team für BI aufzubauen - eine Besonderheit für das Unternehmen, in dem IT-Themen primär auf Projektbasis bearbeitet werden. "Das war eine wegweisende Entscheidung. Zugleich war es eine wertvolle Orientierungshilfe, denn die Aufgabenstellung Konsolidierung und Ordnung der BI-Landschaft ist kein Sprint, sie gleicht eher einem Marathonlauf", erklärt Sommer, der das BI-Programm bei Volkswagen leitet.

Vorrangiges Ziel ist es, die IT und Fachbereiche stärker für BI und damit deren Einsatz auf neuen Gebieten zu sensibilisieren. Nachrangig folgen die Optimierung und Konsolidierung der bisherigen BI-Landschaft. "Was wir machen, hat weniger mit Technik als mit einem groß angelegten Veränderungsprozess zu tun. Wir müssen das Verständnis für die Möglichkeiten von BI im Unternehmen verstärken. Dann werden ganz neue Szenarien jenseits des klassischen Reportings möglich", hebt Sommer hervor. Eine Besonderheit und große Herausforderung zugleich sei, dass VW bei der Organisation des BI-Programms auf einen Top-Down-Ansatz setze, also versuche, trotz der Konzerngröße ganzheitlich vorzugehen. Diese innovative Herangehensweise geht sogar über das Konzept eines "Business Intelligence Competence Centers" (BICC) hinaus, wie es beispielsweise Analysten von Gartner seit einigen Jahren propagieren.

Klare Ziele definieren

Vor dem eigentlichen Start des BI-Programms waren laut Sommer eine Reihe inhaltlicher Vorarbeiten zu erledigen, die heute die Besonderheit des Vorhabens ausmachten: So wurden detaillierte Ziele definiert, die Aspekte wie Mission, Vision, Strategie, Maßnahmen und Verantwortlichkeiten beschrieben. In der BI-Strategie des Volkswagen-Konzerns wurden diese Aspekte in Form von Leitlinien zusammengefasst. Diese bilden heute den Rahmen der täglichen Arbeit. Sie würden derzeit vor allem IT-bezogene Aufgaben beeinflussen, da die fachliche geschäftsbereichsübergreifende BI-Strategie noch am Anfang stehe, räumt Sommer ein.

Richtlinien und Standards

Eine der Maximen lautet "Qualität vor Quantität", insbesondere in Hinblick auf die Auswahl und Konsolidierung (sofern sinnvoll) der Systemzahl, BI-Methoden, Technologien und Kennzahlen. Eine andere besagt "Standardisierung steigert die Effizienz", womit in der Praxis bisher vor allem die technische Vereinheitlichung im Volkswagen-Konzern gemeint ist. Themen sind hier unter anderem Grundlagen der Projektentwicklung, Meta- und Stammdaten sowie eine Produktstrategie. Basierend auf dem "Book of Standards", dem Richtliniendokument, das die Technologiestandards für Volkswagen festlegt, werden verbindliche Vorgaben für BI-Projekte gemacht. Im "Handbuch für Systemarbeit" werden außerdem Entwicklungsrichtlinien für BI-Systeme in Anlehnung an den Software-Lifecycle-Management-Prozess zusammengefasst.

Abgeschlossen ist die Initiierung von "Gravitationszentren" für die mittlerweile 200 Anwendungen. Diese vereinen die zur Steuerung benötigten Unternehmensdaten künftig in wenigen fachbezogenen Data-Warehouse-Systemen. Eine zentrale Infrastruktur ist entstanden. Sie nimmt alle Systeme auf, die den Anforderungen der BI-Strategie entsprechen. Diese "BI-Plattform" arbeitet nach einem einheitlichen Betreibermodell und wird in den kommenden Jahren kontinuierlich ausgebaut. Dazu sollen die übrigen Datenhaltungen sukzessive in den Gravitationszentren aufgehen. Grundlage für dieses Vorgehen ist ein Redesign der Architektur, bei dem Reporting- und Data-Warehouse-Komponenten voneinander getrennt entwickelt, gewartet und verantwortet werden.

Miteinander reden

Durch Vernetzung aller Beteiligten wird die BI-Strategie in die eigenständig arbeitenden Projekt-Teams getragen. Dies wird durch ein zentrales Team unterstützt, das aus rund 20 Mitarbeitern der Marken Volkswagen und Audi sowie externen Dienstleistern besteht. Zur Kommunikation setzt dieses BI-Team interne Konferenzen ein, veröffentlicht Beiträge im deutsch-englischen IT-Newsletter und informiert über abgestimmte Entwicklungsrichtlinien im VW-Intranet.

Die Abteilung ist dem Chief Technology Officer (CTO) Stefan Ostrowski unterstellt. Dessen Unterstützung für das Thema BI geht weit über den technischen Teil hinaus. So arbeitet das BI-Programm auch eng mit den "Process Integration Officers" (PIO) des Konzerns zusammen. Letztere sind für die Kernprozesse und die damit verbundene Gestaltung und Umsetzung von IT-Lösungen verantwortlich.

Sponsoren allein genügen nicht

Zwar sei auch der oft zitierte "Segen des Vorstands" für eine erfolgreiche Arbeit wichtig, ebenso müsse aber auch die Idee selber tragen, so Sommer. "Sonst nützen die besten Sponsoren wenig." Noch in der Findungsphase befindet sich, so Sommer, die geschäftsbereichsübergreifende Zusammenarbeit aller Fachbereiche zu diesem Thema. Doch seien bereits Fortschritte erzielt worden. So wurde in den vergangenen beiden Jahren das BI-Wissen in allen Abteilungen vertieft. Dank besserer Vorbereitung und Umsetzung konnten BI-Projekte auf Basis der BI-Plattform erheblich schneller abgeschlossen werden als früher.

Viel Detailarbeit zu erledigen

Trotz erster Erfolge bleibe noch viel zu tun. Abgesehen von einer stärkeren Einbindung der Fachabteilungen gebe es Details zu klären, so Sommer. Es existieren noch keine verbindlichen Richtlinien für die Ressourcenverwaltung und Priorisierung von BI-Projekten: "Wir arbeiten derzeit mit den Fachbereichen an einer Bebauungsplanung, die dieses Jahr stehen soll." Ein anderes Thema sind Prozesse. Während die PIOs seit gut vier Jahren für ihre Prozesse einen "Master Construction Plan" erstellen, wird die Sicht auf die BI-Themen bis Anfang 2009 ergänzt, so die ehrgeizige Planung des Teams.

Als vornehmliche Aufgabe bezeichnet Sommer, das Innovationspotenzial von BI für den Konzern zu heben und über klassische Reporting-Anwendungen hinaus sehr viel mehr Analyse- und Planungsszenarien aufzubauen. Eine weitere Herausforderung sei, die Balance zwischen fachlichen Anforderungen und technischem Betrieb (Kosten-Nutzen-Betrachtung) zu finden. "Unser Book of Standards hilft uns mittlerweile zu kontrollieren, dass neue Tools und Techniken nunmehr abgestimmt im Unternehmen Einzug halten", hebt Sommer hervor. Noch stünden die Beraterauswahl und die Suche nach geeigneten Dienstleistern, die künftig Teile der BI-Entwicklung übernehmen sollen, auf der To-do-Liste. Gründe hierfür seien einerseits der nahezu "leergefegte" Beratermarkt und andererseits die derzeitige Situation, dass viele Anbieter und Dienstleister sich zwar mit ihren Produkten auskennen, aber keinen ausreichenden fachlichen Hintergrund für die Anforderungen eines Automobilkonzerns haben, erklärt Sommer.

Die Zukunft sind BI-Services

Langfristig sei BI, so der BI-Verantwortliche, die technische Antwort auf den Wunsch nach ganzheitlichen Möglichkeiten für Prozess-Controlling, Reporting, Analyse, Planung und Recherche innerhalb des Konzerns. Ziel sei es, eine Architektur von gemeinsam nutzbaren "BI-Services" (für Reporting, Data Mining etc.) aufzubauen, die sich über eine Service-orientierte Architektur (SOA) für diverse Anwendungen nutzen lassen. Er erwarte, dass BI-Anwendungen mit der Zeit ihre Sonderstellung verlieren und sich zu einem integrierten Bestandteil der allgemeinen Geschäftsfunktionen wandeln werden: "BI wird sich zu einem Service wie jeder andere auch entwickeln. BI muss zurück in die Linie." Derzeit seien bei Volkswagen noch viele aufgabenspezifische oder bereichsorientierte Lösungen anzutreffen. Aber VW sei auf dem besten Wege von einem bereichsorientierten hin zu einem prozessorientierten Unternehmen. Das BI-Team begleite diesen Umgestaltungsprozess Dieser Wandel braucht Zeit.

Der Volkswagen Konzern

  • Der Volkswagen-Konzern mit Sitz in Wolfsburg ist aktuell der drittgrößte Automobilhersteller der Welt.

  • Im Jahr 2007 verkaufte der Konzern 6,189 Millionen Fahrzeuge (2006: 5,734 Millionen). Das entspricht einem Pkw-Weltmarktanteil von 9,8 Prozent.

  • In 13 Ländern Europas und in sechs Ländern Amerikas, Asiens und Afrikas betreibt der Konzern 49 Fertigungsstätten.

  • Mehr als 329 000 Beschäftigte produzieren täglich rund um den Globus nahezu 25 400 Fahrzeuge oder sind mit automobilbezogenen Dienstleistungen befasst.

  • Seine Fahrzeuge bietet VW in mehr als 150 Ländern an.

  • Weltweit steht Volkswagen über sein globales IT-Netzwerk täglich mit nahezu 26 000 Lieferanten und 20 000 internationalen Importeuren, Handels- und Servicepartnern in Verbindung.

  • Heute gehören neun Marken aus sieben europäischen Ländern zum Konzern: Volkswagen, Audi, Bentley, Bugatti, Lamborghini, SEAT, Skoda und Volkswagen Nutzfahrzeuge sowie seit Mitte 2008 der schwedische Nutzfahrzeughersteller Scania.

Projektsteckbrief

Projektname: BI Programm.

Branche: Automobilhersteller.

Projektkategorie: Aufbau eines steuernden Programm-Teams für BI-Aktivitäten des Konzerns in Deutschland.

Kernprodukte: Beratungs- und Architekturleistungen für Konzern-IT-Projekte, Unterstützung bei ETL, Daten-Management, Datenhaltung und Frontends.

Herausforderungen: Etablierung der geschäftsbereichsübergreifenden, fachlichen Steuerung durch das BI-Programm.

Ergebnis: Grundlegende zentrale Strukturen als Basis für den schrittweisen Ausbau sind entstanden

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Stand des Projekts: Start des BI-Programms 2006, 20 Mitarbeiter.

Ansprechpartner: Thorsten Sommer, Leiter IT-Kompetenzfeld Business Intelligence, VW AG.

Veröffentlichen und recherchieren Sie aktuelle IT-Projekte unter: www.10projects.de.

Aufgaben des BI-Programms

IT und Fachbereiche für BI und neue Einsatzgebiete sensibilisieren;

Austausch mit dem CTO, Prozessexperten und Projektverantwortlichen;

Optimierung und Konsolidierung der BI-Landschaft;

Entwicklung einer ganzheitlichen Sicht auf Konzernprozesse und Nutzung von BI;

Definition einer Mission, Vision, Strategie und von Maßnahmen;

Standardisierung von Methoden, Techniken, Kennzahlen in einem "Book of Standards";

Definition von Entwicklungsrichtlinien.