VoIP-TK-Anlage zum Tiefstpreis

03.12.2004
TK-Anlagen für Vocie over IP müssen nicht teuer sein. Mit "Asterisk" ist eine kostenlose Open-Source-Anlage für Linux erhältlich, die auf PC-Hardware basiert.

Einst waren die Verfechter der IP-Telefonie mit dem Versprechen angetreten, den Anwender aus dem Joch der traditionellen TK-Anlagenbauer und ihrer proprietären Lösungen zu befreien. Mit der Migration zu VoIP sollten nicht nur Daten- und TK-Welt verschmelzen, sondern die Anwender auch ihre TK-Nebenstellenanlagen (Private Branch Exchanges = PBX) flexibel und kostengünstig an ihre Bedürfnisse anpassen können. Doch mittlerweile kosten VoIP-TK-Anlagen fast genauso viel wie eine klassische PBX. Zusatzfunktionen lassen sich häufig nur durch den Erwerb kostenpflichtiger Lizenzschlüssel freischalten oder durch den Zukauf weiterer Geräte realisieren. Und so mancher Hersteller kocht mit Protokollerweiterungen wie SCCP (Skinny Client Control Protocol von Cisco) sein eigenes proprietäres Süppchen.

Vor diesem Hintergrund erscheint die Idee, eine VoIP-TK-Anlage als Open-Source-Projekt auf Basis von Linux zu entwickeln, durchaus einleuchtend. Mit Asterisk hat sie der Amerikaner Mark Spencer in die Tat umgesetzt. Dabei steht der Name nicht für die weltberühmte kleine rebellische Comicfigur aus Gallien, sondern für das Symbol "*" (englisch "asterisk", französisch "astérisque" = "Sternchen"), das unter Unix und DOS in der Befehlssyntax als universeller Platzhalter (wildcard) verwendet wird. Universell ist auch der Anspruch von Asterisk, denn die Softwareplattform bildet sowohl eine klassische TK-Anlage als auch ein VoIP-System auf einem Server ab und wächst dank ihrer Skalierbarkeit mit den Anforderungen der Anwender. Gleichzeitig soll die Anlage durch ihren modularen Aufbau und die Verfolgung des Open-Source-Gedankens in Sachen Applikationsentwicklung in die verschiedensten Richtungen weiterentwickelt werden können. Ein Beispiel hierfür ist die Integration von ACD-Anwendungen (Automatic Calling Distribution), um etwa mit Asterisk Call-Center zu realisieren.

Der Startschuss für die Entwicklung fiel, als Spencer für sein damaliges Unternehmensprojekt "linux-support.net" eine TK-Anlage suchte und ihm die klassischen Angebote zu teuer waren. Ihm schwebte deshalb eine softwarebasierende PBX vor, die auf einem günstigen Intel-PC läuft, Linux als Betriebssystem verwendet und mit dem öffentlichen Telefonnetz über ISDN- oder Primärmultiplexkarten verbunden ist. Doch selbst der Preis für die entsprechenden Einsteckkarten erschien Spencer letztlich zu hoch, so dass er sich Jim Dixon vom Zapata Telephony Project ins Boot holte, um einfachere und damit günstigere Interface-Karten zu entwickeln. Ihr Ansatz dabei war, einen Teil der TDM-Rechenaufgaben (TDM = Time Division Multiplexing), den bislang teure, proprietäre Digital-Signal-Prozessoren (DSPs) übernahmen, von den Karten auf die immer leistungsfähigeren CPUs der PCs zu verlagern. Als Ergebnis dieser Überlegungen entstand mit "Zaptel" bei Zapata eine Art Pseudo-Interface-Karte für den Anschluss an das Telefonnetz. Später gründete zudem Spencer mit Digium eine eigene Firma, die preisgünstige Zaptel-Hardware baut. Diese Vorgehensweise, TDM-Aufgaben auf die CPU eines Host-Rechners zu verlagern, verfolgt auch die erst kürzlich von Intel vorgestellte Architektur Host Media Processing (HMP).

Unterstützte Protokolle

Auf dem Weg zur konvergenten TK-Plattform war die Entwicklung des Zaptel-Interface nur eine Hürde, die Spencer zu nehmen hatte. In der VoIP-Welt wartete auf den Entwickler ein weiteres Problem in Form des H.323-Protokolls, das dem Asterisk-Programmierer zu schwerfällig war. Da zum damaligen Zeitpunkt das Session Initiation Protocol (SIP) in der VoIP-Welt noch nicht seine heutige Popularität erlangt hatte, entstand mit Inter Asterisk Exchange (IAX) ein eigenes Protokoll für die Signalisierung und den Transport der Sprachpakete in der IP-Welt.

Um die Interoperabilität mit anderen VoIP-Plattformen zu gewährleisten, wurde später doch noch die Unterstützung für SIP, H.323, Media Gateway Protocol (MGCP) und Voice over Frame Relay (VoFR) hinzugefügt. Diese Entwicklungsschritte mündeten in der heute erhältlichen Asterisk-Version 1.0.0. Dabei sind die verschiedenen Funktionen als Module implementiert, die über einen Runtime-Loader initialisiert und geladen werden. Vereinfacht ausgedrückt setzt sich die Software aus vier Grundmodulen sowie Programmierschnittstellen zu anderen Anwendungs- und Hardwarekomponenten zusammen:

- dem PBX-Switching-Kern mit dem Channel API;

- einem Codec Translator mit entsprechendem API, um die verschiedenen in der TK-Industrie verwendeten Audio-Kompressionsverfahren zu bearbeiten;

- ein Application Launcher übernimmt in Verbindung mit dem Application API den Start von Anwendungen, die dem Benutzer Services wie Voice-Mail oder elektronisches Telefonbuch bereitstellen;

- als viertes Modul ist der Scheduler and I/O Manager beteiligt, der unter allen Lastzuständen für die optimale Performance sorgt.

Eine weitere Schnittstelle zur Trennung des Asterisk-Programmkerns von der verwendeten Hardware und den diversen Protokollen ist das File Format API.

Schnittstellen

Das Channel API ist dabei für die Interaktion zwischen dem Switching Core, also dem eigentlichen Vermittlungskern, der TK-Anlage und den Interface-Karten beziehungsweise VoIP-Quellen wie SIP und H.323 zuständig. Neben den bereits angesprochenen Zaptel-Karten können noch Produkte von Dialogic, Voicetronix sowie Quicknet direkt verwendet werden. Zudem lassen sich grundsätzlich, wie es heißt, alle ISDN-Karten und -Adapter verwenden, die mit dem Linux-Treiberpaket "isdn4linux" zusammenspielen.

Über das Codec Translator API werden die verschiedenen Sprachcodecs wie GSM, G.723, ADPCM, Mu-Law, A-Law oder MP3 geladen. Einen Teil der vielfältigen Codecs bringt Asterisk von Haus aus mit, andere müssen aus lizenzrechtlichen Gründen eventuell separat besorgt werden.

Ausbauoptionen

Das File Format API ist in Analogie zu klassischen TK-Anlagen als Audio-Eingangsbuchse zu betrachten, um etwa Wartemusik oder andere Klingeltöne einzuspielen. Über das API können die unterschiedlichsten Sound-Formate wie WAV, AU oder MP3 genutzt werden.

Hinsichtlich eines flexiblen Einsatzes und einer eventuellen Erweiterung von Asterisk ist wohl das Application API die wichtigste Schnittstelle. Sie verbindet letztlich verschiedene Anwendungsmodule wie Conferencing, Paging, Telefonbuch, Voice-Mail oder andere TK-Funktionen mit dem eigentlichen Switching-Kern der Anlage. Gerade diese strikte Trennung zwischen den Kernfunktionen (Switching von Telefonverbindungen) einer TK-Anlage und den zusätzlichen Mehrwertfunktionen sowie der Hardware macht den Reiz der Asterisk-Plattform aus. Einerseits kann der User seine Hardware selbst zusammenstellen, anderseits kann er die Anlage über Softwaremodule an die spezifischen Bedürfnisse seines Unternehmens anpassen.

Dank des Open-Source-Gedankens ist der Einsatz von Asterisk mittlerweile nicht nur auf die verschiedenen Linux-Derivate wie Suse, Red Hat und andere beschränkt. So sind im Internet etliche Berichte darüber zu finden, dass die PBX-Software erfolgreich auf anderen Betriebssystem-Plattformen wie FreeBSD, OpenBSD, Mac OS 10 oder Solaris eingesetzt wird. Allerdings gibt es auf der einen oder anderen Plattform Beschränkungen hinsichtlich der unterstützten Interface-Karten. Am deutlichsten treten diese zutage, wenn Asterisk auf Windows portiert wird. Hierzu haben findige Tüftler mit "Astwind" ein Installationspaket für Windows 2000 und XP entwickelt.

Skalierbarkeit

Damit dies funktioniert, muss ferner mit Cooperative Linux (CoLinux) ein Linux-Kernel auf Windows aufgesetzt werden. Zwar laufen unter Windows die meisten VoIP-Features, aber es fehlt die Unterstützung von Interface-Karten, so dass eine Anbindung an das klassische TK-Netz momentan nicht möglich ist. Deshalb ist der Windows-Ansatz zum jetzigen Zeitpunkt eher als experimentell zu betrachten.

So sehr die Asterisk-Idee unter Aspekten wie Flexibilität oder Kosten zu begrüßen ist, bei einem eventuell geplanten professionellen Einsatz sollten auch einige Nachteile beziehungsweise offene Fragen bedacht werden. Es fehlen etwa verlässliche Angaben darüber, bis zu welcher Größenordnung Asterisk als TK-Anlage wirklich skalierbar ist. Die verschiedenen Aussagen hierzu lassen sich kaum vergleichen, da durch die Offenheit von Asterisk die verschiedensten PC-Plattformen zum Einsatz kommen. Während ein User davon berichtet, er habe auf einem 350 Dollar billigen Pentium-4-Rechner mit 2,4 Gigahertz bis zu 790 gleichzeitige SIP-Telefonate abgewickelt, spricht ein anderer Anwender davon, dass sein 2,6 Gigahertz-Pentium 40 simultane Gespräche bewältigt - aber zudem eine Umwandlung von VoIP in die klassische Telefonie stattfindet. Insgesamt scheint die Skalierung von Asterisk, diese Vermutung legt die Lektüre verschiedener Anwenderberichte im Internet nahe, unter VoIP bei Verwendung von SIP kein Problem zu sein: Hier wird von bis zu 200 gleichzeitigen IP-Telefonaten über einen Xeon-2,4-Rechner berichtet. Eher limitierend wirkt dagegen die Zahl der unterstützen Zaptel-Karten hinsichtlich der gleichzeitig möglichen Zahl an Telefonanrufen, wenn ein Übergang ins klassische Telefonnetz erfolgt.

Praxiserfahrungen

Neben der offenen Skalierungsfrage sollte vor einem möglichen Asterisk-Projekt noch ein Punkt bedacht werden: Auch wenn im Internet bereits einige grafische Benutzeroberflächen zu finden sind, das Userinterface besteht per se lediglich aus einer einfachen Kommandozeile, und für umfangreichere Konfigurationsarbeiten müssen eigene Skripts geschrieben werden. Wem hierzu das notwendige Know-how oder die Manpower fehlt, der kann hierzulande auch auf einige Dienstleister (siehe Kasten: "Asterisk-Anbieter") ausweichen, die schlüsselfertige Asterisk-Projekte realisieren.

Eine Aufgabe, die beispielsweise die Cowic GmbH aus Gilching bei München übernimmt. Dabei weist Ernst Lehmann, Technical Consultant bei Cowic, noch auf einen anderen Punkt hin, der in seinen Augen für Asterisk spricht: "Dank dem Einsatz von standardisierter PC-Hardware spart der Anwender nicht nur bei der Anschaffung, sondern auch der Support ist später günstiger." Schließlich müsse beim Ausfall eines Hardwarebauteils kein speziell geschulter Techniker anreisen, da ja lediglich PC-Komponenten ausgewechselt werden. Und die eigentliche Wartung wie etwa das Aufspielen neuer Anlagenmodule übernimmt Cowic per Remote-Management.

Die Kosten

Konkret auf die Kostenvorteile von Asterisk gegenüber herkömmlichen Anlagen angesprochen, gibt sich Lehmann jedoch bedeckt, "denn dies hängt auch davon ab, für welche VoIP-Telefone sich ein Anwender entscheidet". Also, ob er zu den eher günstigeren Modellen von Grandstream greift, einen teureren Cisco-Apparat wählt oder sich für die im mittleren Preissegment angesiedelten Telefone der Berliner Snom Technology AG entscheidet. In der Praxis, Cowic stattete bereits etliche Unternehmen mit Asterisk-Anlagen aus und realisierte länderübergreifende TK-Projekte, hat sich nach Angaben von Lehmann zudem folgende Faustregel bewährt: Pro 60 Anschlüsse, die gleichzeitig genutzt werden, ist bei Verwendung des Sprachcodecs G.711 ein gängiges Pentium-4-System als Server einzukalkulieren.

Trotz etlicher noch offener Fragen eröffnet Asterisk letztlich dem Anwender einen Weg aus der Abhängigkeit von den klassischen IT- und TK-Herstellern. Zudem besteht die Hoffnung, dass die Linux-Konkurrenz, wie in anderen Bereichen auch, eine dämpfende Wirkung auf die Preisentwicklung bei den etablierten Produzenten hat.