Visionen vom multimedialen Information-Highway Die naechste Generation wird vom Multimedia-PC miterzogen

17.03.1995

Von Karl-Ferdinand Daemisch*

In verblueffender, weil seltener Uebereinstimmung kreieren Manager und Medienprofessoren plakativ-griffige Formeln zu Multimedia und zum Information-Highway, die erst einmal schockierend wirken. Die Auswirkungen des Internet, des Superhighways mit seinen sozialen wie oekonomischen Konsequenzen, sind allerdings noch keineswegs ausrechenbar. Wie wird die Zukunft aussehen?

Eine Prognose lautet: Die heutigen Kids werden die eigentlichen Internet-Surfer. Die aeltere Generation dagegen kann mit der Informationshausse weniger anfangen. Auf Basis ihrer humanistisch gepraegten Bildung ist sie kaum in der Lage, den Information- Highway nachzuvollziehen. Ob dessen Moeglichkeiten wirklich phaenomenal sind, mag sich erst nach herausstellen.

Wenn Lehrer - es muessen nicht unbedingt Deutschlehrer sein - Ausdrucksschwaeche und mehr als mangelhafte Sprachkenntnisse bereits bei Schuelern des heutigen Televisionszeitalters beklagen, erscheint die Vision vom generellen Werkzeug PC doch nicht mehr so verlockend. Sprache ist die Basis und das Transportmittel menschlicher Kommunikation.

Die von schnelleren Entwicklungen gepraegte Informationstechnik (IT) steht jedoch vor einem Umbruch. Ist er erst erfolgt, sollen saemtliche Informationsinhalte auf den Datenbankspeichern fuer jeden verfuegbar sein. Freaks sprechen von einer Revolution bisheriger gesellschaftlicher und industrieller Konventionen.

Eine Sintflut von Informationen

Ginge es nach den Ingenieuren und Propheten dieser neuen Welt, saehe sie morgen bereits in Oekonomie, Oekologie und Sozialverhalten anders aus. Dies wird in Diskussionen ueber den multimedialen Information-Highway - dem Kind dreier Eltern: Informations- und Kommunikationstechnik sowie Television - und seine Einfluesse auf die Gesellschaft immer wieder betont.

Die Entwicklung ist in der Tat sehr aufmerksam zu verfolgen. Da sie vielleicht tatsaechlich unaufhaltsam ist, muss sie ins allgemeine Bewusstsein gebracht werden. Somit koennten sich Chancen dafuer oeffnen, nicht passiv die Folgen zu ertragen, sondern aktives Handeln fuer eine positive Gestaltung abzuleiten.

Erwartet wird eine wahre Sintflut: Jegliche Information, Bild, Text, Ton und Video, kommt in nicht allzu ferner Zukunft aufbereitet von der Superdatenautobahn, so die Vorstellung. Recherchen zu Texten, Daten, Bild oder Film, ein Nachschlagen im Katalog, Lexikon oder Kunstband - alles wird ausschliesslich ueber die heimische Multimedia-Maschine abgewickelt werden. Ob dies der PC oder ein Farbfernseher mit Fernbedienung und Tastatur sein wird? Der Computer als multimediale Maschine fuer Audio und Video wird voraussichtlich gewinnen, da mit ihm ausser Abfragen auch Informationsabgaben in das Netz moeglich sind.

Aus diesem Szenario entspringt die Vision der veraenderten sozio- oekonomischen Landschaft. Hier liegt auch die Basis fuer ein bis zum extremen Ende durchgedachtes Lean Management in den Unternehmen: Die Menschen arbeiten zu Hause. Ueber ISDN oder Datenautobahn sind sie mit Kollegen, Vorgesetzten oder Kunden und Lieferanten national wie international verbunden. Dann sind die von der morgendlichen Rush-hour verstopften Strassen ebenso Vergangenheit wie ueberfrequentierte Luftverkehrsstrassen, Busse oder Bahnen. Die gewonnene Zeit wird zum - natuerlich elektronischen - nebenbei erledigten Einkaufen genutzt. Die faellige Oelrechnung wird per elektronische Bankueberweisung beglichen, von zu Hause aus.

Informationen nur noch per Tastendruck erhaeltlich?

Wenn die naechste Urlaubsreise feststeht, beauftragt ein elektronischer Befehl die Buchung im Reisebuero. Sie kommt mitsamt touristischen Informationen in Bild, Text und Ton digital bestaetigt zurueck, noch bevor sich der am anderen Ende der Stadt residierende Kollege Meier zur taeglichen Videokonferenz am Bildschirm anmeldet.

Von den Multimedia-Protagonisten wird ein neues Dorado der Aus- und Weiterbildung postuliert: Jede denkbare Information steht ja im Netz bereit. Verwaist sind die Hoersaele an den Unis und die Seminarzentren. Alle Bildung der Welt, mit Wissenswertem und Ergoetzlichem, aus Museen, Bibliotheken und wissenschaftlichen Sammlungen, ist praktisch auf Knopfdruck abrufbereit und konsumierbar.

Schoene neue Welt? Es ist noch nicht alles moeglich, wie die Visionaere die Dinge heute entwerfen. Sie koennen "Kleinigkeiten" geflissentlich uebersehen - wie Audio- und Videokarten in einem Computersystem, die sich partout nicht vertragen wollen - und brauchen sich mit dem Problem "Buero zu Hause" - wo in modernen Miniwohnungen? - auch nicht auseinanderzusetzen.

Neben der Loesung der Sozialkomponente fehlen Elemente wie vor allem entsprechend attraktiv gestaltete Kommunikationstarife. Selbst die als Basis fuer eine vernuenftige Nutzbarkeit angesehene ATM-Technik (Asynchronous Transfer Mode) steckt noch in den Standardisierungs-Kinderschuhen.

Nicht nur der Motor Fernsehen treibt diesen Trend voran. Es sind auch die immer leistungsfaehiger und besser ausgestatteten PCs und Workstations auf der Hardwareseite. Softwaretechnisch wird ein ganzes gemeinhin unter dem Begriff Multimedia geschnuertes Wirkungsbuendel angeboten. Gegenueber den Visionen nimmt sich dies heute jedoch noch aus wie eine Modellok gegenueber einem richtigen Dampfross.

Als Informationsspeicher und -lieferant wird heute ueblicherweise das Internet angesehen. Doch auch darin herrscht Einigkeit, dass dieses Netz fuer eine kommerzialisierte Nutzung noch zu unsicher, zu langsam und einem globalen Ansturm kaum gewachsen ist.

Dieser internationale Verbund von tausenden lokalen Netzen in Universitaeten, Forschungseinrichtungen, aber auch Unternehmen - der globale Bestand wird auf drei Millionen Computer in 46000 Netzen geschaetzt, waechst auch im privaten Bereich geradezu explosionsartig. Monatlich 100000 neue Anmeldungen addieren sich inzwischen auf ueber 20 Millionen Teilnehmer in 130 Laendern.

Auch die Informationsmenge im Internet waechst kontinuierlich und fast exponentiell. Teilzunehmen am Internet, sich elegant durch unendlich vielfaeltige Informationen zu bewegen gehoert heute in manchen Kreisen bereits zum guten Ton. Daher hat es wohl auch seinen euphemistischen Namen: "Surfen im Internet." Bei derzeit "nur" 30 angebotenen TV-Programmen wird der gleiche Vorgang allerdings weniger schoen "zappen" genannt.

"Couch-potatos" wechseln zu PCs

Dass im Internet nicht das komplette Chaos ausbrach, beruhte auf der Disziplin der Teilnehmer, die bereit waren, auch ungeschriebene Regeln strikt einzuhalten: So war es lange praktisch unmoeglich, Werbung ueber das mittlerweile 25 Jahre alte Netz zu streuen. Schon der Versuch endete mit einer durch Protest- Mails verstopften und somit nicht mehr nutzbaren Zugangsadresse. Von aussen, politisch etwa, ist das Netz seit Ueberschreiten einer mathematisch bestimmbaren Groessenordnung ueberhaupt nicht mehr beherrschbar.

Bisher galt: "The user is the loser!" Der Anwender ist heute auf Gedeih und Verderb dem Entwickler und dessen Gestaltung des Programms ausgeliefert. Eigene Initiative ist nur im engen Coderahmen des Vorgedachten, nicht jedoch mit aktiver, eigener Phantasie moeglich. So wird ein multimedial operierender "Homo ludens" - im Gegensatz zum Spieler duemmlicher Star Wars - proklamiert.

Diese neuen "Spiele" verlangen Aktion, nicht passive Aufnahme beim "Einschalten zum Abschalten", wie vom Fernsehen gewohnt. Das wird irgendwann - ein biologisches Problem - der Vergangenheit angehoeren, toent die in diesem Zusammenhang doch etwas erschreckende Prophetie.

Auch sprachlich besteht ein wichtiger Unterschied. Der Zuschauer "haengt vor dem Fernseher herum", der PC-Benutzer aber "sitzt am Computer". Das haengt wohl damit zusammen, dass heutiges Fernsehen eher ein Verdummungsinstrument ist, waehrend das multimediale "Drei-Eltern-Konzept" des interaktiven Kabel-PCs als Bildungswerkzeug eingestuft wird. Es handelt sich also hier weniger um eine technologische, als vielmehr eine Kulturrevolution.

Wird den Freaks nicht bang bei dem Gedanken des - freiwillig - an den Computerbildschirm gefesselten Prometheus? Beruf und Freizeit, Buch und Feste: Ist das nicht mehr als ein elektronisches Konservenmenue? Der Widerspruch ist heftig: Es werden optimistisch voellig neue gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Phaenomene postuliert. Intellektuelle Talente der Informationsselektion und die Faehigkeit zur Kommunikation bilden sich aus, kompensieren das Verlorene.

Sie haben eine verblueffend einfache Antwort auf das Wie: Die Prediger der neuen Welt fordern Selektionssoftware. Das sind lernfaehige und vom Konsumenten selbst auf seine privaten Horizonte abstimmbare Sucher- und Filterprogramme.

Aufgabe des "Agenten" koennte beispielsweise das Ordern der neuesten Szeneturnschuhe sein. Die persoenlichen Daten und Vorlieben hat er ja gelernt: Groesse 43, Farbe weiss-blau plus drei Streifen und natuerlich zum guenstigsten Preis. Welches teure Geschaeft koennte da mithalten? Keines. Denn warum sollte die Fabrik das Geschaeft in Zukunft nicht selbst machen? Und warum sollte die Bestellung nicht gleich an sie gerichtet werden, auch wenn sie sich in den USA befindet? Das Bezahlen laeuft ebenfalls auf elektronischem Wege. Dieses kleine Beispiel zeigt bereits einige der praktischen Auswirkungen. Der Zwischenhandel mit seinen Spannen - und seinen Arbeitsplaetzen - faellt weg.

Durch wenig Geschaefte und nur noch wenigen Arbeitsstellen der Stadt,verliert diese jedoch ihren Charakter als Kommunikations- und Wirtschaftszentrum. "Wo nichts ist, hat auch der Kaiser sein Recht verloren", sagt das Sprichwort. Ein Horrortrip vom Surfen? Fuer Kids sicher nicht, fuer die anderen jedoch ist das Ganze ein Kulturschock.