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Virtuelles Orchester - Dirigent plant Beethoven-Konzert aus dem PC

23.07.2007
Der Dirigent Paul Henry Smith hat einen skurrilen Plan: Im kommenden Jahr will der US-Amerikaner in einem Konzerthaus drei Beethoven-Symphonien aufführen ­ ohne ein einziges Instrument auf der Bühne einzusetzen.

Ein virtuelles Orchester aus dem Computer soll die Stücke spielen. Die Technik dafür kommt aus Wien: Mit dem Programm der Vienna Symphonic Library (VSL) lässt sich Orchestermusik originalgetreu und vergleichsweise kostengünstig zusammenmixen. Die Fachwelt ist ob des Vorhabens allerdings zwiegespalten. Entsetzte Musiker fürchten um ihre Jobs und prophezeien das Ende "echter Musik", Enthusiasten wie Smith dagegen preisen die neuen Experimentiermöglichkeiten.

Die Firma VSL hat in ihrem Tonstudio mehr als 200 Instrumente von Musikern einspielen lassen. Seit 2001 ist so ein gigantisches Repertoire von 1,8 Millionen Tönen und Tonfolgen entstanden. Musikgrößen wie Phil Collins und Pete Townshend (The Who) haben die digitale Ton-Bibliothek schon für ihre Stücke genutzt, zu den Kunden zählen nach Angaben des Unternehmens auch Stevie Wonder und die Gruppe Massive Attack.

Smith, der bei Dirigentengrößen wie Leonard Bernstein und Sergiu Celibidache in die Lehre ging, ist vor zwei Jahrzehnten auf die Musik aus der Retorte gekommen. Mittlerweile lebt der 43-Jährige aus Hamden in Connecticut von den virtuellen Klängen. Sein digitales "Fauxharmonic Orchestra" spielt gegen Entgelt Hintergrundmusik für Filme und Werbespots ein. Im vergangenen Jahr hat er zudem für viele Hobby-Komponisten gearbeitet und deren Stücke vertont.

Anfang kommenden Jahres will Smith nun erstmals live in Konzerthäusern sein Computer-Orchester erklingen lassen, zunächst in in Brooklyn (New York), weitere Darbietungen sollen folgen. Die Zuschauer dürfen sich auf ein bizarres Spektakel gefasst machen: Von den Computern wird nichts zu sehen sein, sondern nur der Dirigent selbst, der anstelle des Taktstocks die Fernsteuerung einer Spielekonsole durch die Luft wirbeln wird. Damit arrangiert Smith die Feinheiten der Symphonien, deren grobe Linie er bereits vorher in seinem Tonstudio in mehr als einjähriger Arbeit aufgenommen hat. Lediglich die Sanges-Passagen wird Smith noch mit Vokalisten bestreiten: "Die Technik ist noch nicht soweit, doch die Entwicklung geht so rasant, dass auch das Problem des Gesangs in ein paar Jahren gelöst sein wird", sagt der Dirigent.

Derzeit läuft eine erste Testphase live vor Ort. "Ich will natürlich nicht alles von vornherein bestimmen. Sonst könnte man sich ja auch einfach eine Tonaufnahme anhören", erläutert der Amerikaner das Besondere seines Vorhabens. So werden etwa Tempo, Lautstärke oder die Einsätze der einzelnen Instrumente bei der Studioaufnahme offen gelassen. "Solche essenziellen Elemente werde ich erst im Moment des eigentlichen Konzerts an die Akustik im Konzertgebäude anpassen. Denn Spontanität ist entscheidend dafür, dass wir dort eine großartige Musik aufführen werden."

Kritiker sehen das anders, bemängeln vor allem die fehlende Authentizität der Computermusik. "Sie werden niemals eine Oper so dirigieren können, wie das ein guter Live-Dirigent kann", macht etwa ein erboster E-Mail-Absender namens David auf den Internetseiten von Smith seinem Ärger Luft. Am Broadway hat schon vor einigen Jahren die Gewerkschaft der Musiker gegen den Einzug von Computerklängen rebelliert. Doch am Ende der Auseinandersetzung um feste Musiker-Quoten stand ein Vertrag, der den Produzenten ein Schlupfloch gewährte ­ das diese kräftig nutzen. In der Folge sind auf der berühmten Schauspielmeile inzwischen immer weniger "echte" Musiker mit von der Partie.

Auch in Deutschland betrachtet die Zunft die Entwicklung mit Sorge. "Dem Bereich des kommerziellen Musicals, in dem ja heute schon mit viel Elektronik und Samples gearbeitet wird, drohen echte Probleme", befürchtet der Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung, Gerald Mertens. Musikerjobs stünden auf dem Spiel.

Dirigent Smith ficht diese Sorge nicht an. Er sieht in den neuen Technologien vielmehr die Chance, die Musik und sich selbst als Musiker weiterzuentwickeln. "Wir reden hier nicht von einer Musikbox. Ohne einen fähigen Musiker würden diese Programme wie eine Geige von Stradivari klingen, die von jemandem gespielt wird, der gar nicht Geige spielen kann", argumentiert er.

Dass sich die Musik aus dem Computer inzwischen kaum noch von einem Live-Orchester unterscheiden lässt, hat unlängst ein Experiment des "Wall Street Journal" gezeigt. Die US-Zeitung spielte zwei Musikprofessoren Beethovens Siebte vor, gespielt von drei echten Orchestern - und von Dirigent Smith. Ergebnis: Das digitale Werk ging - zumindest im ersten Anlauf - als echt durch. (dpa/tc)