IT im Maschinenbau/Zentraler Auftritt, dezentrale Pflege der Inhalte

Virtueller Markt unterstützt weltweiten Maschinenabsatz

17.04.1998

Wenn "gewußt wo" nicht nur in Zufallstreffern enden soll, muß der Unkundige systematisch recherchieren können - wo immer er auch residiert. Was liegt näher, als dafür das Netz der Netze zu nutzen? In der Tat haben bereits zahlreiche Maschinenbauer eigene Homepages eingerichtet. Doch gemach: Das Grundproblem ist damit noch lange nicht gelöst. Angesichts der Informationsflut im Internet ist auch hier die Auswahl schwierig. Und dem Bauunternehmer in Bangladesch, der gar nicht weiß, daß es die "Polymerbetonschwellmaschine", die ihm bei seinem Problem weiterhilft, überhaupt gibt, ist erst recht nicht gedient.

Bei der Dachorganisation in Frankfurt am Main laufen alle Informationen über den Maschinenbau zusammen. Zudem erreichen ihn - über Außenhandelskammern, Botschaften, Messegesellschaften etc. täglich rund 50 Anfragen aus aller Welt. "Wir wissen ziemlich genau, was gefragt ist," so Pressesprecherin Sylke Becker. Dieses Wissen zu bündeln und langwierige physikalische in schnelle elektronische Wege zu verwandeln war das wichtigste Anliegen des "virtuellen Marktplatzes", den der "eingetragene Verein" vor rund zwei Jahren aufbaute.

Das Marktinformationssystem sollte "ein Dach für alle Zielgruppen schaffen": das Produktangebot der Mitgliedsfirmen weltweit transparent machen, diese zugleich über Verbandsaktivitäten informieren und schließlich auch den VDMA der Öffentlichkeit präsentieren. Darüber hinaus sollte nicht nur das Produkt- und Service-Angebot, sondern auch das dort versammelte Expertenwissen abgebildet werden. "Für ein Fertigungsproblem gibt es häufig nicht nur eine, sondern unterschiedliche Lösungen", erläutert Projektleiter Gerd-Olaf Posselt. Verkauft werden sollen mit Hilfe des Internet nicht nur Maschinen, sondern bessere Prozesse. "Der Interessent soll auch über Alternativen informiert werden. Insofern ist dies ein wirklich innovatives Projekt. "

Damit war eine Herausforderung verbunden: die Kombination von zentralem Wissen und einheitlicher Repräsentation einerseits, dezentraler Darstellung und Autonomie der einzelnen Gliederungen andererseits.

Denn die Vereinigung ist außerordentlich heterogen strukturiert. Rund 2900 Mitgliedsfirmen, organisiert in 33 Fachverbänden - deren Interessen nicht immer deckungsgleich sind - sollten ihr Angebot darstellen. Auch die einzelnen Fachverbände selbst, die Fachabteilungen und Referate sowie die speziellen Dienstleistungsorganisationen sollten das System als Publikationsforum nutzen.

"Von Anfang an mußten wir einen sehr breiten und dennoch einheitlichen Auftritt wählen", so Posselt. Da der Berufsverband nur eine kleine DV-Abteilung betreibt, entschloß man sich zur Auslagerung an eine Partnerfirma.

Dieser Outsourcing-Dienstleister sollte das gesamte System in Kooperation konzipieren, entwickeln und die langfristige Administration und Pflege übernehmen. Unter dem Dutzend angeschriebener Firmen erhielt schließlich die Conceptware Consult GmbH in Eschborn den Zuschlag.

"Wir hatten eine sehr große Zahl von Anbietern und Nutzern mit jeweils eigenen Vorstellungen und dem Wunsch nach dezentraler Pflege, aber ohne Kenntnisse in Hypertext Markup Language (HTML), also eine heterogene DV-Landschaft - und trotzdem mußten wir eine einheitliche technische Plattform schaffen", beschreibt Conceptware-Geschäftsführer Stefan Utzinger die Problematik. Zudem waren nicht alle Anforderungen zu Beginn bekannt - ein Internet-Projekt entwickelt sich in der Regel nach dem Gesetz des Appetits, der beim Essen kommt. Künftige Module sollten eingebunden, dabei trotzdem auf dieselbe Benutzerverwaltung zugegriffen werden.

Daß angesichts des Wunsches nach flexibler Recherche keine statische, sondern nur eine datenbankbasierte Lösung in Frage kam, war von vornherein klar. Um redundante Datenhaltung zu vermeiden, waren Schnittstellen zu externen Host-Datenbanken (etwa Mitgliedern, Produkten etc. ) auf unterschiedlichen Plattformen notwendig, deren Daten ständig zu übernehmen sind.

DV-technisches Herzstück dieser Lösung ist "ein sauberes Datenmodell, das offen ist für Erweiterungen". Mit dem Sybase-Analyse- und Design-Tool "Power Designer", bei dem konzeptionelle Ebene und physikalisches Modell getrennt sind, konnte es zunächst unabhängig von der Datenbank gestaltet werden. Um die hohen Benutzerzahlen zu bedienen und zum permanenten Abgleich der unterschiedlichen Quellen Replikationsmechanismen zu benützen, entschied man sich für die bereits eingeführte Datenbank von Oracle.

Alle Module zur Pflege oder Dateneingabe wurden mit dem objektorientierten Sybase-Tool "Power Builder" entwickelt. Die damit erstellten Programme können sowohl in 16-Bit- als auch in 32-Bit-Umgebungen problemlos ablaufen, was angesichts der heterogenen Client-Welt des VDMA (teils Windows 3. 11, teils Windows 95, teils Windows NT) wichtig war.

Alle Seiten, die dynamisch im Internet aufgebaut werden, basieren auf dem Web-Werkzeug "Cold Fusion" von Allaire. Das ist eine Entwicklungsumgebung mit einer Sprache für Datenbankabfragen im Web, die über Open Database Connectivity (ODBC) an zahlreiche gängige Datenhaltungssysteme angebunden werden kann.

Mit diesen Entwicklungswerkzeugen wurde zunächst ein weiteres Tool erfunden, mit dem dann die Kernanforderung des neuen Marktinformationssystems gemeistert werden konnte: Die Kombination von zentralen und dezentralen Funktionen. "Easyweb" besteht aus insgesamt fünf Modulen. Die gesamte Rechtevergabe an die Benutzer, die Definition der Seitentypen und damit die Steuerung des Systems wird zentral im Administrationsmodul vorgenommen. Den eigentlichen Inhalt liefern die Benutzer durch die Eingabe und Pflege der Daten vor Ort. (Ein ausführliches Informationsblatt dazu ist unter http://www.conceptware.de erhältlich. )

Einheitlicher Auftritt, individuelles Angebot

Die Benutzer erhalten - je nach Seitentyp - Layout-Vorlagen, in deren Rahmen sie Überschriften und Texte eingeben (beziehungsweise per Kopier- und Einfügebefehl aus der Textverarbeitung importieren), ebenso Tabellen, Grafiken etc. Zentral wird wiederum festgehalten, wer welche Seiten angelegt, geändert oder erweitert hat.

Bei einer Modifikation der Layout-Vorlage aktualisiert das System automatisch alle verbundenen Seiten. Per Markierung können Links zu anderen Web-Pages definiert werden, deren Integrität automatisch überprüft wird. Alle Elemente legt das System in der Datenbank ab; beim Aufruf baut sich die Seite dynamisch auf.

Die Fachgemeinschaften und Abteilungen des in Franfurt beheimateten Verbands können so - bei einheitlichem Auftritt - ihre jeweiligen Seiten völlig autonom pflegen. Damit bleibt die Verantwortung vor Ort, und Änderungen sind mit minimalem Aufwand sehr schnell zu realisieren. Möchte ein Anbieter eine Pressemitteilung, ein Rundschreiben, einen Veranstaltungstermin oder ähnliches auf eine der zentralen Seiten http://www.vdma.org stellen, richtet er einen entsprechenden Antrag an den Administrator, der darüber entscheidet.

Wichtige Nachrichten und Dokumente (zum Beispiel Reden, Ereignisse, Branchenkennzahlen, Formulare etc. ) werden zentral veröffentlicht, ebenso Kataloge, etwa ein zweisprachiges Verzeichnis aller Publikationen des Verbandsverlags mit "elektronischer Bestellkarte". Ist eine Nachricht für die Hauptseiten freigegeben, erscheint die Überschrift automatisch im Ticker (einem Java-Applet). Der Administrator kann auch Erscheinungsfristen festlegen, nach deren Ablauf die Nachricht automatisch ins Archiv überführt wird.

Flexible Recherchestrategien

Im Mittelpunkt der gesamten Anwendung steht natürlich der Herstellernachweis, der die weltweite Recherche nach Maschinen erlaubt. Die Mitgliedsfirmen geben in der entsprechenden Maske die Nomenklatur des Produkts (zum Beispiel Raupenlader), eine Kurzbeschreibung, Synonyme (in unserem Fall zum Beispiel Kettenlader, Gleiskettenlader) sowie weitere Parameter ein.

Der Nutzer kann nun über ein Stichwort per Freitextrecherche suchen. Erhält er keinen Treffer, steht ihm alternativ der Suchbaum zur Verfügung. Dessen Nomen-klatur wird von den Fachgemeinschaften definiert.

Beispielsweise findet der Anwender unter "Keramikmaschinen" die Untergruppen "Komplette Anlagen" sowie "Maschinen und Teilanlagen"; klickt er die erste an, erscheint wiederum eine lange Liste. Wählt er darunter etwa "Wand- und Bodenplattenwerke", werden schließlich die in Frage kommenden Hersteller präsentiert, deren Produktbeschreibung (oder Homepage, sofern vorhanden) er sich dann anschauen kann. Per Klick kann er diese Firmen auch via E-Mail um weitere Informationen bitten. Auch wenn der Nutzer überhaupt nicht fündig wird, kann er sich per E-Mail an den VDMA wenden.

Hinter dem Suchbaum verbirgt sich ein "hochkomplexer Aufbau", so Utzinger. Beim Anklicken einer Kategorie werden zum Erstellen der Folgeseite mehrere Datenbankabfragen generiert. Damit ist zugleich die Grundlage für die eingangs beschriebene Recherche nach Problemgebieten gelegt. Statt nach Produkten können solche Hierarchien auch nach "Dimensionen" aufgebaut sein, das sind entsprechende Anwendungsfelder.

In diese Richtung geht beispielsweise der Motorenkatalog der Fachgemeinschaft Kraftmaschinen, der bis zur Hannover-Messe fertig sein soll. Dabei wird unter anderem der Motorentyp eingegeben, der verbrannte Stoff (Benzin, Diesel, Gas), die PS-Zahl und eventuell der Hersteller. So kann sich der Nutzer zum Beispiel allein durch Angabe des Kraftstoffes und der Leistungsklasse an die gewünschte Maschine herantasten.

Ziel ist es, komplexe Problemstellungen zuzulassen, die den Sucher systematisch zu den in Frage kommenden Herstellern führen. "Wir binden so den Informationshungrigen an unser Angebot", umschreibt Posselt die Strategie, die dem deutschen Maschinenbau hohen Rücklauf sichern soll.

Systematische Optimierung

Die Infrastruktur des Marktinformationssystems besteht aus vier Servern: zwei Datenbank- und zwei Applikations-Servern, jeweils für Intra- und Internet. Um Daten und Texte kümmern sich die Mitglieder und Fachgliederungen im Intranet. Neue Daten (zum Beispiel Adreßänderungen) und Seiten werden nachts per Replikation ins Internet überführt. Über dieses Medium sind auch die Außenstellen (etwa Brüssel oder Tokio) ins Pflegesystem eingebunden.

Derzeit liegt die Nutzung bei rund 2000 Besuchern pro Woche. Da der Herstellernachweis erst seit Dezember in Deutsch, seit Ende Januar in Englisch läuft, erwartet Posselt noch einen starken Zuwachs. Mit ausführlichen Analysefunktionen - etwa Nutzung nach Ländern, Regionen und Städten, am meisten verwendete Plattformen und Browser, Akzeptanz neuer Angebote etc. - ist die statistische Grundlage für eine systematische Verbesserung gelegt.

Das für diese Anwendung eigens entwickelte Easyweb wiederum mauserte sich zum allgemein verwendbaren Tool, das mittlerweile schon weitere Einsätze hinter sich hat. Die beim VDMA besonders stark ausgeprägte Problematik - zentraler Auftritt und dezentrale Pflege - scheint bei den meisten Firmen, die ins Internet wollen, eine Rolle zu spielen. Offenbar hat die Verbandsanwendung eine grundsätzliche Fragestellung beantwortet.

ANGEKLICKT

Mit einem Marktinformations- system im Internet gibt der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e. V. (VDMA) seinen Mitgliedsfirmen die Möglichkeit, ihre rund 20000 Produkte weltweit anzubieten. Zugleich informiert das System über Aktivitäten des Verbands und seiner Gliederungen. Das Besondere: Einheitliches Design und zentrale Administration werden mit dezentraler Eingabe und autonomer Verwaltung der Inhalte kombiniert. Eine weitere Innovation sind die Abfragestrategien: Der Nutzer wird in absehbarer Zeit allein durch die Beschreibung seines Fertigungsproblems die geeigneten Maschinen finden können.

Der Verband (VDMA)

Seit über hundert Jahren ist der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e. V. (VDMA) der Zentralverband des deutschen Maschinenbaus. Rund 2900 Mitgliedsfirmen, organisiert in 33 Fachgemeinschaften, sind hier zusammengeschlossen. 15 Abteilungen und Referate sowie sieben spezielle Dienstleistungsorganisationen bieten Unterstützung bei den verschiedensten Problemen. In der Frankfurter Zentrale, den acht Landesgruppen und zwei Auslandsbüros (Brüssel und Tokio) sind rund 360 Mitarbeiter beschäftigt.

Rolf Bastian ist freier Journalist in Mainz.