e-commerce ist mehr als warenverkauf mit anderen mitteln

Virtuelle Einkaufswelten für das Erlebnis - Shopping von morgen

20.10.1999
Bücherkauf per Internet liegt im Trend, ist aber nur der Anfang. Virtuelle Marktplätze beherrschen zukünftig den Online-Handel.

in deutschland boomen IT-gestützte Services wie noch nie. Das zeigen Online-Buchshops wie Amazon oder Bertelsmanns BOL, die zweistellige Wachstumsraten aufweisen. Auch die Umfrage-Ergebnisse sind beeindruckend: Wollten vor drei Jahren 63,3 Prozent der befragten WebSurfer in den nachfolgenden sechs Monaten bestimmt oder zumindest vielleicht online einkaufen, so sind es im Frühjahr 1999 82,4 Prozent, so das Ergebnis der W3B-Auswertung des Marktforschungsinstitutes Fittkau & Maaß.

Online-Auktionen als vergleichsweise junger Web-Dienst bilden den aktuellen Hype der Internet-Welt. Sie erreichten dank PR, Werbung und Events einen hohen Bekanntheitsgrad. Call-Center sind wiederum ein anderes Nutzungsfeld computergestützter Dienstleistungen. Sie haben unter anderem Direktverbindung zum Produkt-Marketing, das die jeweiligen Kundenwünsche oder -kritiken für die Produktweiterentwicklung aufnimmt.

Innovative Web-Auftritte, die über Produktinformation oder -kauf hinausgehen und Mehrwertdienste anbieten, erweitern die Produktpalette. Ziel ist dabei nicht nur, den Menschen mitneuen Medien das Leben leichter zu machen, sondern auch Angebot und Nachfrage so exakt zusammenzuführen, daß die Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil erreichen.

Das Maggi-Kochstudio zum Beispiel bietet dem Verbraucher nicht nur Rezepte an, sondern auch die Möglichkeit zur interaktiven Teilnahme am Kochstudio. Dies erhöht die Kundenbindung und schafft eine größere Nähe zu den Produkten des Anbieters. Weitere Einsatzfelder der IT zur Unterstützung bei Dienstleistungen sind computergestützte Telematikdienste.

Noch kein großes Interesse am Medium Internet

Mit ihnen läßt sich nicht nur die Produktionssteuerung optimieren. Auch der Güterverkehr profitiert davon. Von der Bundesregierung geförderte Projekte haben beispielsweise die minutengenaue Steuerung der Warenanlieferung durch Verfolgung von LKW und Bahn über Satellitennavigationssysteme und Computereinsatz zum Ziel.

Rosig sehen manche Auguren die Marktchancen für computergestützte Dienstleistungen. Einer Frost-&-Sullivan-Erhebung vom September 1998 zufolge sollen Services rund ums Interneteuropaweit umsatzmäßig von 9,9Milliarden Dollar auf insgesamt 51,7 Milliarden im Jahr 2004 anwachsen.

Es gibt aber nicht nur Positives. Eine im Juni dieses Jahres veröffentlichte Studie des Verbandes der Internet-Wirtschaft in Deutschland, eco Electronic Commerce Forum e.V., kommt zu dem Schluß, daß nur sieben Prozent der Privathaushalte in Deutschland einen Internet-Zugang besitzen und 68 Prozent kein Interesse an dem neuen Medium haben.

Im Gegensatz zum Bekanntheitsgrad steht die tatsächliche Teilnahme an Online-Auktionen in Deutschland: Nur 3,8 Prozent der WWW-Anwender besuchen diese regelmäßig. Online-Auktionen bieten aus Sicht der Nutzer derzeit keine attraktive Alternative zum direkten Online-Einkauf. Der Erlebnischarakter fehlt. Dies ist ein Ergebnis der oben zitierten W3B-Umfrage.

Die meisten IT-Dienstleistungen, insbesondere Web-basierte, orientieren sich an traditionellen Konzepten. Beispiel Online-Shops: Sie bieten in elektronischen Katalogen Produkte ohne Ladenöffnungszeiten und mit geringeren Kosten an. Meistens verfügen sie über die Möglichkeit zur sicheren Online-Zahlung. Einkaufen über’s Internet hat da seine Vorzüge, wenn’s schnell gehen soll.

Neue Erlebniswelten durchComputer-Dienstleistungen

Der Online-Käufer bleibt aber in der Regel anonym und das Angebot auf einer Website ist meist von einem Anbieter allein. Diese mangelnde Kundenorientierung ist ebenso ein Manko, wie die oft zu geringe Flexibilität. Auch fehlen Preismodelle, die maßgeschneiderte Angebote erlauben.

Neue Nutzerschichten und Aufgabenfelder lassen sich erst dann erschließen, wenn IT und Internet nicht einfach Warenverkauf mit anderen Mitteln sind, sondern sinnvolle neue Services ermöglichen. Auch sollte der Einsatz von Computertechnologie kein Selbstzweck sein, sondern das Ziel verfolgen, dem Menschen zu dienen. Vor diesem Hintergrund arbeiten Forscher aus Institutionen und Unternehmen an entsprechenden Pilotprojekten für den kommer-ziellen, den nicht-kommerziellen Einsatz und die Erleichterung der Kommunikation mit Hilfe von IT.

Gemeinsam ist allen Projekten die Erkenntnis, daß dafür die direkte Interaktion zwischen Mensch und Maschine vereinfacht werden muß. Nur so lassen sich nicht IT-gewohnte Bevölkerungsgruppen an das Medium heranführen. Auch sollten virtuelle Welten mit interaktiven Kommunikationsmöglichkeiten geschaffen werden. Es muß möglich sein, in einer Einkaufsstraße zwischen unterschiedlichen Anbietern vergleichen zu können oder Verhandlungen über den Warenpreis zu führen.

Aktuelle Pilotprojekte der Fraunhofer-Gesellschaft werden diesen Ansprüchen gerecht : Die beiden Projekte Virtually Reality-Shop (VR Shop) und Wettbewerbsagenten für sichere Geschäftsanwendungen, Competitive Agents for Secure Business Applications (Casba), versprechen elektronische Marktplätze zu werden. Sie sollen Online-Shopping mit Erlebnischarakter vermitteln.

VR-Shop läuft seit Dezember 1997 als Bestandteil des europäischen ForschungsprogrammsEsprit. Ein Konsortium aus Forschungs- und Industrieunternehmen untersucht die technischen Potentiale für Virtual-Community-Technologien und deren kommerzielle Anwendungen. Besonders wurden bei der Konzeption des Projektes die Schwierigkeiten einzelner Anbieter mit bisherigen virtuellen Einkaufsstraßen berücksichtigt.

Demzufolge mangelte es diesen an einfachen, nachvollziehbaren Möglichkeiten bei der Navigation durch die Shops sowie fehlender Anschaulichkeit und Realitätsnähe bei der Produktpräsentation. Weitere Nachteile waren die Isoliertheit des Kunden und dessen fehlende Bindung zum Shop-Betreiber sowie eingeschränkte Zugangsmöglichkeiten.

Ganz anders jedoch bei VR-Shop. Dort sollen zur Erhöhung der Kundenbindung dem Shop-Betreiber verschiedene vordefinierte Instrumente zum Aufbau beziehungsweise der Pflege von Kundengemeinschaften angeboten werden. Das reicht vom Erfahrungsaustausch unter Nutzern bis hin zum Schwarzen Brett. Auch sollen regelmäßige Clubtreffen und Newsforen stattfinden, um so einen weiteren Anreiz zu bieten.

Eine weitere Möglichkeit besteht bei VR-Shop auch darin, den Interessenten ein Bonussystem wie Rabatte einzuräumen, oder ihn durch Serviceprivilegien und Vorkaufsrechte gezielt anzusprechen. Produktpräsentationen, Modenschauen, Autorenlesungen oder Lotterieveranstaltungen, um nur einige Möglichkeiten zu nennen, wären außerdem bestens dazu geeignet das Gefühl des echten Erlebens zu vermitteln.

Die Verwendung neuer Technologien und Prgrammiersprachen, virtueller Gemeinschaften, von Agenten und interaktivem Fernsehen (I-TV) soll zum Erfolg des Projektes und damit zu Web-gestützten neuen Dienstleistungen führen. So ist das virtuelle Einkaufszentrum als Echtzeit-Welt für das gleichzeitige Shopping mehrerer Benutzer konzipiert.

Die Anwesenden können alle Objekte und Ereignisse gleichzeitig wahrnehmen. Selbst die Kommunikation unter den Besuchern wird durch Text oder Audio-Chat ermöglicht.

Avatare helfen beimInformationssuchen

Um dem fehlenden Ereignischarakter beim herkömmlichen Online-Aktienhandel zu begegnen, benötigt man sogenannte Avatare - kleine Programme, die Informationen über den jeweiligen Benutzer aufnehmen und über ihre grafische Oberfläche darstellen. Diese Bausteine machen erst die aktive Beteiligung in der Online-Welt möglich. Verschiedene Rollen lassen sich ebenso definieren wie das Aussehen der virtuellen Erscheinung des Shopping-Straßen-Flanierers. Mit vordefinierten Gesten wie Bieten und Zuschlagerteilen kann im Auktionsbereich realitätsnah Verschiedenstes ersteigert werden.

Casba ergänzt dieses Projekt: Bei dieser neueren Forschung wird ein sogenanntes Framework - eine Grundtechnologie für automatisierte Marktplätze im Internet - entwickelt. Der Unterschied zu herkömmlichen elektronischen Katalogen ist, daß Casba komplexe Verkaufsmechanismen wie Auktionen unterstützt, und diese teils durch Agenten automatisiert.

Die durch Agenten automatisierten Verhandlungen betreffen dabei nicht nur den Preis, sondern auch andere Attribute, wie Lieferdatum, Menge und Produkteigenschaften. Ausgenommen davon sind allerdings Eigenschaften, die sich nicht standardisiert definieren lassen, wie zum Beispiel schönes Design. Dies ist vom individuellen Geschmack abhängig und nicht eindeutig zu beschreiben. Als Entwicklungsplattform dienen die objektorientierten und plattformunabhängigen Programmiersprachen Java und Corba.

Das Besondere bei Casba sind die intelligenten Agenten, die im Auftrag ihrer Benutzer selbständig Verhandlungen mit anderen Agenten in ihrem Marktplatz, zum Beispiel VR-Shops, ausführen. So können vollkommen neue Dienste kreiert werden.

Im Gegensatz zu bisherigen E-Commerce-Systemen, die lediglich Transaktionen unterstützen, die auf festgelegte Preise, eindeutige Verkäufer/Käufer-Beziehungen oder einfache, nicht automatisierte Auktionen ausgelegt sind, wird Casba mehr bieten: Automatische Verhandlungen mit einer breiten Auswahl von Transaktionstypen inklusive Aktienhandel und einer Vielzahl von Agenten-gesteuerten automatischen Auktionstypen. Die Pilotanwendungen sind noch nicht bestimmt. Ein wahrscheinliches Anwendungsgebiet sind automatische Verhandlungen über Werbeplazierungen in TV, Radio, Web und Printmedien.

Die Agententechnologie wird nach Auffassung der Multimedia-Agentur PopNet IT-gestützte Dienstleistungen revolutionieren. Ganz ähnlich wie im Fraunhofer-Konzept können die Agenten als kleine Helferschar selbständig für den Anwender nach Informationen und Produkten suchen. Nach der Definition der zu suchenden Services und Produkte, übernimmt der Agent die Zusammenstellung des auf den Benutzer zugeschnittenen Angebotes.

Schüler verwaltendas Netz allein

Das EU-geförderte Pilotprojekt Home VR schließlich will dem in Informationstechnologien unerprobten Menschen zu Hause virtuelle Internet-Gemeinschaften nahebringen. Diese Kommunikationsplattform soll sowohl im Internet als auch im interaktiven Fernsehen durch attraktive Inhalte die Akzeptanz fördern. Dies trägt dann wiederum zum Entstehen neuer Mehrwertdienste bei. Anwendungen, die den Erwerb von Informationen und Produkten (Information-/Electronic Commerce) ermöglichen, werden ebenso zur Verfügung stehen wie Anwendungen im Bereich "Electronic Finance" (Bank- und Versicherungsdienstleistungen), Entertainment, Teletraining oder "Computer Aided Creativity".

Das Teletraining kann länderübergreifend sein. Im Rahmen des von der Europäischen Kommission geförderten Fraunhofer-Projekts Virlan entsteht ein virtuelles Netzwerk zum Fremdsprachenlernen ab dem Grundschulalter. 25 Schulen aus vier europäischen Ländern haben sich darauf verständigt, eine Web-basierte Lerngemeinschaft für Begegnungen zum Kommunizieren, Qualifizieren und gemeinsamen Arbeiten zu etablieren.

Die Schüler sollen dabei das Netzwerk selbst verwalten und somit dazu beitragen, die Fremdsprache spielerisch zu lernen. Als Lernmittel stehen die Echtzeitkommunikation mit Muttersprachlern anhand folgender Kommunikations- und Interaktionselemente zur Verfügung: Audio-Kommunikation, 3D-Chat mit Avataren mit Gesten und Mimik für die virtuellen Repräsentanten der Lehrer, Tafeln oder die gemeinsame Nutzung von Anwendungen.

Für weitere Informationen zu den oben beschriebenen Projekten hier die Web-Adressen:

www.vr-shop.iao.fhg.de

www.casba-market.org

Der Überblick aller aktuellen

Fraunhofer-Projekte im Web

www.swt.iao.fhg.de/swt/Projekte/ index.html

*Arno Laxy ist freier Journalist in München.