Vietnam mausert sich zum Offshore-Land

06.08.2007
Von Jan  Boluminski
Vor allem bei einfachen Programmiertätigkeiten bietet Vietnam ein gutes Preis-Leistungsverhältnis.

Angesichts des zunehmenden Wettbewerbsdrucks gilt die Globalisierung als Schlüssel zum Unternehmenserfolg. Asiatische Länder wie China und Indien versprechen niedrige Kosten bei hoher Qualität. Einer Studie der Beratungsfirma Booz Allen Hamilton zufolge entwickeln sich derzeit vor allem Vietnam und Osteuropa zu bevorzugten Ländern für die Erbringung von Offshore-Entwicklungsleistungen. Auch im Global Services Location Index von A.T. Kearney liegen mittlerweile alle südostasiatischen Ländern unter den Top 20.

Nach dem Global Services Location Index von A.T. Kearney zählt Vietnam gemeinsam mit Indonesien, Thailand, Brasilien, Chile, Bulgarien, Mexico, Slowakei, Polen, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Argentinien zu den 20 derzeit aufstrebenden Offshore-Ländern (grün gekennzeichnet. Rot bedeutet Rückgang, blau: keine Veränderung).
Nach dem Global Services Location Index von A.T. Kearney zählt Vietnam gemeinsam mit Indonesien, Thailand, Brasilien, Chile, Bulgarien, Mexico, Slowakei, Polen, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Argentinien zu den 20 derzeit aufstrebenden Offshore-Ländern (grün gekennzeichnet. Rot bedeutet Rückgang, blau: keine Veränderung).

Investitionen immer noch um einiges kostengünstiger sind als in der aufstrebenden Wirtschaftsmacht China, verfügt über regelrechte "Programmierhochburgen" in den Industriestädten Saigon und Hanoi. Nach Angaben der Vietnam Software Association sind dort derzeit rund 800 Softwareentwicklungsfirmen aktiv, darunter auch die Client Vela GmbH, ein IT-Dienstleister, der deutsche Firmen im Bereich Kunden-Management unterstützt. Client Vela kooperiert dabei mit einem lokalen Partner in Ho Chi Ming Stadt. 350 Vietnamesen arbeiten in zwei Schichten von sieben Uhr morgens bis 23 Uhr abends an gemeinsamen Projekten.

Qualifizierte Fachkräfte, niedrige Löhne

Neben den stabilen politischen Rahmenbedingungen locken vor allem die kostengünstigen und qualifizierten Fachkräfte immer mehr deutsche IT-Unternehmen nach Vietnam. Die meisten Programmierer des Landes haben eine ausgezeichnete Ausbildung an einer der staatlichen Universitäten in Saigon oder Hanoi absolviert. Wegen des Booms in der IT-Industrie sind die Löhne in den letzen beiden Jahren zwar massiv gestiegen, aber immer noch vergleichsweise günstig: Derzeit verdient ein Programmierer im Schnitt 200 bis 800 Euro im Monat. Davon kann er sich immerhin ein Mofa und ein eigenes Zimmer leisten, was in Vietnam schon zum gehobenen Lebensstandard gehört.

Ein weiterer Vorteil von Vietnam ist das hohe Engagement der Mitarbeiter. Die meisten stecken voller Tatendrang, bemühen sich bei jedem neuen Auftrag um eine schnelle Lösung und liefern gute Ideen zur technischen Umsetzung. Dahinter steht in der Regel ein Fachwissen, das in etwa dem eines Informatikers in Deutschland entspricht. Trotz ihrer guten Ausbildung sind die vietnamesischen Mitarbeiter nicht sehr anspruchsvoll in Bezug auf ihre Arbeitstätigkeit und lassen sich flexibel einsetzen. Vor diesem Hintergrund bietet Offshoring in Vietnam ein aus deutscher Sicht hervorragendes Preis-Leistungsverhältnis.

Kulturelle Unterschiede erschweren die Projekte

Allerdings ist ein längerfristiger Erfolg ist nur dann garantiert, wenn die deutschen Firmen gewisse Spielregeln beachten. Vor allem die kulturellen Unterschiede können zu Missverständnissen und Problemen führen. Ein Beispiel hierfür ist die in Industrieländern weit verbreitete "Wegwerfmentalität", die viele Asiaten nicht nachvollziehen können: Funktioniert etwa der PC im Büro nicht mehr, wird er in Deutschland entsorgt und mit relativ geringem Aufwand durch einen neuen ersetzt. In Asien gilt ein solches Verhalten als "Verschwendung". Hier würde man erst einmal versuchen, den Rechner selbst zu reparieren - notfalls mit Hilfe des örtlichen Elektro-Schrotthändlers.

Entsprechend müssen die Teams anders angeleitet werden. Vor allem bei persönlicher Kritik gilt es, die kulturellen Besonderheiten des jeweiligen Landes zu berücksichtigen: Kritik sollte immer positiv formuliert, Fehler nicht allzu direkt aufgezeigt werden, damit der asiatische Kollege nicht "sein Gesicht verliert". Denn in Asien ist es nicht üblich, Fehler offen zuzugeben. Extrem wichtig sind dagegen Höflichkeit und Respekt im Umgang mit anderen Menschen. In Vietnam wird man auch in den schwierigsten Situationen nicht laut oder ausfallend. Diese Mentalität gilt es zu respektieren, auch wenn es aus westlicher Sicht manchmal produktiver wäre, Probleme offen anzusprechen.

Zur vietnamesischen Kultur gehört auch ein ausgeprägtes Hierarchiedenken, das sich in vielerlei Alltagssituationen äußert: Betritt etwa eine Führungskraft das Büro, unterbrechen die Mitarbeiter ihre Arbeit und begrüßen sie ihrer Position entsprechend. Aus diesem Grund entwickeln die Vietnamesen auch schnell ein Gespür für die Hierarchien in einer deutschen Firma. Wenn sie herausgefunden haben, welche Position ihre deutschen Ansprechpartner jeweils innehaben, hinterfragen sie die ihnen zugewiesenen Aufgaben sehr viel aktiver. Allerdings kann diese Haltung unter Umständen dazu führen, dass sich die vietnamesischen Kollegen nicht mehr an die Vorgaben der deutschen Kontaktperson halten.

Kommunikation – das leidige Thema

Die Zeitverschiebung zwischen Europa und Asien hat Vor- und Nachteile für das Projekt: Einerseits arbeiten die Kollegen in Fernost durch den Zeitvorsprung administrative Tätigkeiten "wie die Heinzelmännchen" über Nacht ab. Andererseits kann es vorkommen, dass die Vietnamesen bei Schwierigkeiten, die ein deutscher Entwickler während seiner Arbeitszeit entdeckt, nicht zu erreichen sind, weil sie bereits Feierabend haben. Da der Kontakt von Deutschland nach Vietnam zudem nur über Skype und E-Mail abgewickelt wird, unterliegt die Kommunikation auch regelmäßigen technischen Ausfällen. So passiert es immer wieder, dass auf eine Anfrage keine Reaktion erfolgt. Trotz einer gemeinsamen Verkehrssprache – in der Regel Englisch – ist die Verständigung auch deshalb problematisch, weil sie für Vietnamesen und Deutschen eine Fremdsprache ist und dementsprechend nicht unbedingt gut beherrscht beziehungsweise durch individuelle Aussprache verfremdet wird. Außerdem geben Skype und E-Mail keine Hinweise auf Mimik und Gestik. Vor dem Hintergrund, dass allein schon durch die kulturellen Unterschiede zu Missverständnissen entstehen können, führt die erschwerte Kommunikation häufig zu Problemen, deren Behebung wiederum Kapazitäten bindet.

Erschwerend kommt hinzu, dass dem Projektleiter in Deutschland häufig der Überblick über die Anwesenheit der Mitarbeiter fehlt. So kann es passieren, dass ein vietnamesischer Entwickler, mit dem man eben noch zusammengearbeitet hat, von einem Tag auf den anderen nicht mehr in der Firma beschäftigt ist. In Asien wechseln qualifizierte Fachkräfte weit häufiger als hierzulande den Arbeitgeber, was die Zusammenarbeit behindert. Und letztlich lässt sich aufgrund der geografischen Distanz nur schwer ein direkter Einfluss auf die Arbeit des vietnamesischen Partners nehmen. Eine diplomatische, aber regelmäßige Kommunikation ist daher unerlässlich. Empfehlenswert ist ein Entwickler vor Ort, der die Leistungen überprüft und das Team bei Fragen und Problemen betreut. Auch regelmäßige Tests in der Entwicklung sind sinnvoll.

Wann Offshoring in Vietnam zum Erfolg führt

Damit die Zusammenarbeit von deutschen und vietnamesischen IT-Unternehmen erfolgreich verläuft, müssen die geografischen, sprachlichen und kulturellen Differenzen zwischen beiden Ländern berücksichtigt werden. Ratsam ist zudem, den Outsourcing-Auftrag auf den Ausbau eines bestehenden Entwicklungsgrundkonzepts zu beschränken beziehungsweise das Projekt in mehrere Komponenten zu unterteilen, so dass einfache Erläuterungen ausreichen. Nach der Einführungsphase arbeiten vietnamesische Entwickler in der Regel sehr zuverlässig. Um Fehler zu vermeiden, sollte man aber auch hier dafür sorgen, dass es sich um häufig wiederkehrende Aufgaben handelt. Ratsam ist zudem, die Implementierung an Hand von ausführlichen Pflichtenheften festzulegen und die Ergebnisse permanent zu kontrollieren. Je klarer die Aufgaben strukturiert und dokumentiert sind, desto besser und schneller können sie die Outsourcing-Partner erledigen.

Vor allem wenn der Auftraggeber mehrere Standorte unterhält, sollte er auf gemeinsame und einheitliche Standards achten - etwa bei der Konzepterstellung, Modellierung sowie beim Reporting. Generell ist eine detaillierte und saubere Dokumentation bereits in der Planungsphase sowie eine klare Definition und Zuordnung der Aufgaben eine entscheidende Voraussetzung für den Erfolg eines Offshore-Projekts. Idealerweise bereitet ein deutscher Ansprechpartner die vietnamesischen Mitarbeiter vor Ort auf ihre Aufgaben vor.

Das Auslagern von IT-Entwicklungsprojekten lohnt sich - allerdings erst ab einer gewissen Auftragsgröße. Als Rentabilitätskennzahl eignet sich folgende Faustregel: Werden für den Auftrag weniger als 100 Manntage durch einen Entwickler in Deutschland benötigt, rechnet sich die Auslagerung nach Vietnam nicht. Offshore-IT-Entwicklung gleicht dabei dem Schwimmen Lernen: Man mag noch so viel darüber lesen – was es wirklich bedeutet, lernt man erst, wenn man selbst ins Wasser steigt. (sp)