Vier Wege zu VoIP - die Qual der Wahl

10.08.2006
Voice over IP stößt auf großes Interesse. Einen Königsweg der Realisierung gibt es allerdings nicht.
IP-Telefonie im Hosted-Betrieb sowie als IP-Centrex-Lösung.
IP-Telefonie im Hosted-Betrieb sowie als IP-Centrex-Lösung.
Foto: Andamus Consult

Von CW-Redakteur Manfred Bremmer

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Wege zu VoIP - Die Charakteristika

Eigenbetrieb Managed IP PBX Hosted IP PBX IP Centrex

Inhouse Inhouse im Rechenzentrum im Rechenzentrum des Dienstleisters des Dienstleisters

Verwaltet von Verwaltet von Verwaltet von Verwaltet von externem eigenem Personal externem Dienstleister externem Dienstleister Dienstleister

Dedizierte Hardware Dedizierte Hardware Dedizierte Hardware Virtuelle TK-Anlage

Hier lesen Sie …

• welche Technikansätze es für VoIP im Unternehmen gibt;

• wo die Vor- und Nachteile der Varianten liegen;

• wie die Anbieter auf das gestiegene Interesse reagieren.

Es existiert inzwischen eine Reihe Möglichkeiten, der klassischen Festnetztelefonie mit VoIP den Rücken zu kehren. Die populärste Lösung ist die Web-basierende Internet-Telefonie auf Basis eines proprietären Protokolls, wie sie Skype bietet. Im privaten Umfeld ist sie noch akzeptabel, von einem Einsatz im Business-Umfeld rät aber nicht nur Gartner wegen mangelnder Sicherheit ab. Etwas besser sind Softphones auf Basis des Session Initiation Protocol (SIP) oder - inzwischen weniger gebräuchlich - H.323. Diese Lösungen bieten vor allem kleinen Nebenstellen einen kostengünstigen Einstieg in die IP-Telefonie, funktionieren allerdings nur in Verbindung mit einem (angeschalteten) PC.

Die Technikansätze für größere Unternehmen und Zweigstellen sehen anders aus. Dazu zählen neben dem Eigenbetrieb einer IP-basierenden Telefonanlage (PBX = Public Branch Exchange) in erster Linie Managed- oder Hosted-Lösungen.

Home, sweet home

Bei einer Inhouse-Lösung befinden sich der Call Control Server und entsprechende Anwendungen am Ort des Endkunden. Der Übergang in das öffentliche Telefonnetz erfolgt über Gateways an den jeweiligen Standorten der PBX, die über Mietleitungen oder mit virtuellen privaten Netzen (VPN) angeschlossen sind. Sind die Anfangsinvestition für den Kauf der Telefonanlage und die mitunter langwierige, schwierige sowie kostspielige Implementierung überstanden, kann der Nutzer - zumindest potenziell - von den niedrigen laufenden Kosten profitieren. Außerdem behält er die komplette Kontrolle über das System und bleibt flexibel - selbst gemischte Lösungen sind möglich. Andererseits können Flexibilität und Kontrolle aber auch zur Last und teuer werden.

Die Alternativen

Alternativen zum Eigenbetrieb sind die Managed- beziehungsweise Hosted-IP-PBX. In beiden Fällen wird die TK-Anlage von einem Service-Provider betrieben und gewartet. Unabhängig davon, ob sich der Call Control Server samt Applikations-Server physikalisch noch beim Anwender befindet oder im Rechenzentrum des Dienstleisters steht, mieten die Anwender lediglich eine Anzahl von Ports mit einem vereinbarten Funktionsumfang an. Je nach Anforderung kann die Menge der Anschlüsse erhöht oder gesenkt werden, was - wenn auch nur in einem bestimmten Rahmen - zu einer höheren Flexibilität führt.

Für eine Outtasking- beziehungsweise Outsourcing-Lösung sprechen auf der finanziellen Seite geringere Setup-Investitionen, keine Wartungskosten, dafür möglicherweise höhere laufende Servicegebühren als im Eigenbetrieb. Auch eine Erweiterung ist prinzipiell möglich und eventuell sogar mit weniger Risiko und Komplikationen verbunden, wenn auch auf Kosten einer schnellen Umsetzung. Andererseits kann sich die interne IT-Abteilung bei Abgabe der Kontrolle auf das Wesentliche konzentrieren. Ein mögliches Argument gegen eine Hosting-Lösung ist die fehlende Unterstützung bei Problemen, die im LAN auftreten - hier ist ein Unternehmen mit einem Dienstleister im Vorteil, der diesen Bereich bereits als Managed Services betreut.

Wie Alexandra Ernst, Leiterin Produkt-Management VoIP im Emea-Raum bei Verizon Business, berichtet, entschieden sich für die Managed-Version häufig Kunden - typischerweise mit mehr als 200 Anwendern je Niederlassung - , die bereits eine IP PBX gekauft haben oder die Hardware unbedingt im Haus behalten wollen.

VoIP aus der Steckdose

Mit zunehmender Verbreitung von VoIP feiert außerdem das klassische TDM-basierende (Time-Division-Multiplexing) Centrex-Prinzip (Central Office Exchange) in Form des "IP Centrex" fröhliche Urständ: Bei dieser Sonderform des Hosted-Betriebs mietet oder kauft der Kunde keine eigene TK-Anlage, sondern bezieht entsprechende Services zusammen mit anderen Nutzern über ein IP-Backbone von einem lokalen oder regionalen Netzdienstleister. Es handelt sich damit praktisch um eine virtuelle TK-Anlage im Netz. Der Anwender bezahlt dabei nur die Kommunikationsapplikationen, die er aktuell benötigt, sowie für die Zahl der Anschlüsse, die er anfordert. Dank der möglichen Skaleneffekte - das Highend-System "Hipath 8000" von Siemens ist beispielsweise auf bis zu 100 000 Anwender skalierbar - soll dabei ein Einsparungspotenzial von bis zu 30 Prozent gegenüber einer herkömmlichen Telefonielösung möglich sein.

IP Centrex ist inzwischen ein fester Bestandteil im VoIP-Portfolio, erklärt Verizon-Managerin Ernst. Der Dienst sei in der Vielfalt der IP-Zugangsprodukte unter anderem wichtig für Unternehmen, die VoIP in kleineren Niederlassungen testen wollen. Abnehmer seien häufig auch Kunden mit einer traditionellen TK-Anlage und länger laufenden Wartungsverträgen. Diesen werde als Lösung vorgeschlagen, einen Router vorzuinstallieren und den Sprachverkehr über VoIP abzuwickeln.

Neben den potenziellen Kostenvorteilen und der Möglichkeit der "sanften Migration" nennt Ernst die einfache Administration per Mausklick als weiteres Argument für IP Centrex. So sei es dank der Web-basierenden Verwaltungs-Tools von Deutschland aus möglich, in der Filiale am anderen Ende der Welt neue Funktionen zu aktivieren oder weitere Nutzer einzurichten.

Funktionsvielfalt inklusive

Außerdem werden Leistungsmerkmale moderner Telefonanlagen wie "Find me, follow me" (Anrufweiterleitung aufs Handy oder den privaten Festnetzanschluss), Makeln, Rückruf, Anrufweiterleitung, Konferenzschaltungen oder Rufnummern- und Namensanzeigen unterstützt. Mit der Funktion "Remote Office" kämen zudem Anwender im Home-Office oder im Hotel in den Genuss kostengünstiger IP-Telefonie, so Ernst.

Allgemein scheinen die Ser- vice-Provider sehr bemüht, die gängigen Argumente gegen das klassische Centrex zu entkräften, nämlich es sei nur wenig flexibel, verfüge über eine geringe Funktionalität und reagiere nur langsam auf Wünsche der Anwender. Der Kunde muss sich jedoch vergegenwärtigen, dass der Dienstleister über mehr Ressourcen verfügt, um eine Lösung zu integrieren, als der Kunde sich allein leisten könnte. Jedoch: Es gibt keine individuell zugeschnittene Lösung. Entsprechend gilt es für den IP-Centrex-Kunden abzuwägen, ob die angebotenen Features gerade noch ausreichen, nice-to-have sind oder deutlich über den Anforderungen liegen.

Virtuelle TK-Anlage

Andreas Schulz von Andamus Consult vertritt die Auffassung, dass Hosted IP PBX im Laufe der Zeit keine Bedeutung mehr besitzen und mit IP Centrex verschmelzen wird. "Die Nutzer wollen IP-Telefonie aus der Steckdose", erklärt Schulz. Dem Kunden sei nur wenig daran gelegen, dass im Rechenzentrum des Providers seine eigene Telefonanlage steht, eher im Gegenteil: Er setzt auf den Masseneffekt. Wenn bei einem Ausfall viele Kunden gleichzeitig betroffen sind, wird der Provider schon dafür sorgen, dass das System läuft. In puncto Ausfallsicherheit habe die klassische Festnetztelefonie die Latte hoch gelegt, so Schulz. So seien 2003 alle Vermittlungsstellen in Deutschland zusammen insgesamt nur zehn Minuten offline gewesen.

Generell erreichen Hosted-Lösungen nicht die 99,999 Prozent Ausfallsicherheit von herkömmlichen TK-Leitungen. Bei IP Centrex kommt erschwerend hinzu, dass sich das zentralisierte Modell nur schwer mit dem Prinzip von verteilten IP-Netzen vereinbaren lässt: Bei einem Ausfall sind gleich alle Zweigstellen betroffen, was bei verteilten IP-PBX nicht passieren kann.

Unklarheit bei Anbietern

Jede Option besitzt einen gewissen Charme, weist aber auch Schwächen auf. Als Konsequenz hängt die Entscheidung primär von der Situation beim Anwender ab. Wichtige Faktoren sind dabei die strategische Rolle der Telefonie im Unternehmen und wie es um die internen Kapazitäten und die IP- und TK-Kompetenz der Serviceteams bestellt ist. Gerade hier herrsche in Unternehmen große Verwirrung, bemerkt Kenn Walters, TK-Spezialist bei der Experton Group. Da sich der VoIP-Markt zurzeit drastisch verändere, wüssten die Anwender oft nicht, für welche Lösung sie sich entscheiden sollen.

Auch bei den Herstellern von TK-Equipment herrscht offenbar Unklarheit, weshalb sie zunehmend zweigleisig fahren. So hatte Siemens Communications jahrelang das Carrier- und Enterprise-Geschäft streng voneinander getrennt, bemängelt IP-Centrex-Berater Schulz. Nun biete Siemens sowohl kleine IP-basierende TK-Anlagen als auch Lösungen nach dem Managed/Hosting-Modell an. Gemäß dem Motto "Egal wie, Hauptsache im Geschäft bleiben" habe die Sparte des Münchner Elektrokonzerns damit verspätet die Entwicklung der Konkurrenten Alcatel und Avaya nachgeholt, so der Andamus-Geschäftsführer.

VoIP und insbesondere IP Centrex ermöglichten aber auch Internet-Service-Providern wie DNS:Net, Berlin, oder dem Systemhaus Computacenter den Einstieg in ein neues Geschäftsfeld, erklärt Schulz. Weitere Beispiele seien der Carrier Broadnet oder die Outbox AG. Wie Mike Behrendt, Vorstand Marketing, Vertrieb & Finanzen von Outbox, bestätigt, läuft das VoIP-Geschäft hierzulande allerdings langsam an, was er unter anderem mit dem nur allmählich steigenden Vertrauen in die neue Technik begründet. Derzeit würden noch mehr Hosted- als IP-Centrex-Lösungen nachgefragt.

Tschechien als Vorbild

Wohin die Reise gehen könnte, verrät ein Blick nach Tschechien, erklärt Andamus-Chef Schulz: Der dortige Anbieter Contactel schalte je Woche 100 bis 150 mittelständische Unternehmen auf IP Centrex um.