Auf dem Weg zum holografischen Datenspeicher:

Vier Milliarden Bit im "Würfel-Chip"

22.08.1980

Hologramme, auf einer zweidimensionalen Fotoplatte gespeicherte dreidimensionale Abbildungen, haben in den letzten Jahren vor allem als Gag auf Messeständen breite Kreise zu faszinieren vermocht. Fachleute sehen in der Holografie aber noch viel faszinierendere Perspektiven, nutzt man sie beispielsweise als Speichermedium für Computersysteme. Wie solche Anwendungen zu realisieren wären, untersucht ein Team am Karlsruher Fraunhofer-Institut für Informations- und Datenverarbeitung (IITB) im praktischen Experiment.

Hermann Bolle und Peter-J. Becker befassen sich mit "volumenholografischen Assoziativspeichern", die vom Prinzip her große Vorzüge im Vergleich zu magnetischen Speichern und Halbleiter-Speichern versprechen. Sie bieten nämlich hohe Speicherdichten, eine "ideal verteilte Redundanz", und, was heute wohl besonders interessiert, inhaltsadressierte, also assoziative Auslesemöglichkeiten. Bei den Karlsruher Experimenten geht es nun um die Frage, wie die entsprechende Speicher-Hardware am zweckmäßigsten aufgebaut wird.

Will man die Bits einer Datenseite (in zeilen- oder matrixförmiger Anordnung) als Hologramm speichern, so muß man sie als kohärent strahlende, also Licht gleicher Wellenlänge und gleicher Phase aussendende Punkte darstellen. Überlagert man das so gebildete Bit-Lichtwellenmuster einer kohärenten Referenzwelle, so kann man das sich bildende Interferenzmuster beider Wellenzüge auf einer lichtempfindlichen Platte aufzeichnen. Beleuchtet man diese Platte später wieder mit der gleichen Referenzwelle wie beim Aufzeichnen, so erhält man am Ausgang das ursprüngliche Bit-Muster zurück.

Die bei der Aufnahme eines Hologramms entstehenden Interferenzmuster müssen nun nicht immer auf einer ebenen Foto-Platte aufgezeichnet werden - man kann sie auch in einem dreidimensionalen Material als "Volumenhologramm" aufzeichnen. Und dieses Prinzip bietet für Zwecke der Daten-Kompaktspeicherung entscheidende Vorteile.

Das holografische Arbeitsprinzip gestattet es, in ein und demselben Volumen eine große Zahl unterschiedlicher Bitmuster (beziehungsweise Interferenzmuster) ohne wechselseitige Störung unterzubringen, sie quasi "ineinander verschlungen" abzuspeichern. Der einzige Unterschied zwischen ihnen: Der Winkel, unter dem die oben erwähnte kohärente Referenzwelle mit der Bitmuster-Welle interferiert, ist für jedes einzelne der übereinandergeschriebenen Interferenzmuster ein etwas anderer - und entsprechend entsteht beim Auslesen je nach Winkelrichtung des Lese-Referenzstrahls am Ausgang exakt nur wieder das zugehörige Bitmuster. Alle anderen im Gesamt-Volumenhologramm abgespeicherten Bitmuster bleiben unsichtbar und stören das Ausgangs-Bitsignal nicht.

Als Speichermaterialien denken die Karlsruher Wissenschaftler in erster Linie an fotorefraktive Kristalle wie etwa Lithiumniobat und Lithiumtantalat, denn mit ihnen können die einzelnen Bits einer Datenseite sequentiell geschrieben und parallel ausgelesen werden, ohne daß es eines besonderen Page Composers bedürfte.

Experimentieren mit Computerhilfe

Soweit grob skizziert das Wichtigste über die Theorie - betrachten wir nun den konkreten Versuchsaufbau in Karlsruhe, bei dem übrigens ein Kleinrechner (8K, 16-Bit-Worte Hauptspeicher) wesentliche Routine- und Auswertefunktionen vollführt.

Geschrieben und gelesen werden die Daten-Hologramme mit Licht von 488 Nanometer Wellenlänge aus einem Argon-Laser, das in zwei Strahlen aufgespalten wird; wahlweise dient jeweils der eine als Objekt- und der andere als Referenzstrahl. Als Speichervolumen dient ein fünf Millimeter Kantenlänge messender Würfel aus eisendotiertem Lithiumniobat, auf den die beiden Strahlen in getrennt einstellbaren Neigungswinkeln von maximal ± 10 Grad von der Senkrechten auftreffen. Die Halterung des Spiegels ist auf etwa 300 Grad Celsius erwärmbar, was das Einschreiben und Löschen thermisch fixierter Hologramme ermöglicht.

Rekonstruiert man die abgespeicherten Hologramme, so werden die aus dem Speicherkristall kommenden Strahlen von zwei Detektor-Arrays in elektrische Signale umgewandelt. Diese Arrays sind vorerst einfach nur lineare Zeilen von ladungsgekoppelten Speicherelementen (CCD) mit je 1024 Bildpunkten von jeweils 16 Mikrometer Durchmesser. Von ihnen gelangen die Signale an den schon erwähnten Kleinrechner, der die Versuchsabläufe steuert und die Ergebnisse auswertet; er ist dazu mit einem Video-Terminal, einem Fernschreiber, einem x-t-Schreiber und zwei Floppy-Laufwerken ausgestattet.

Der Kleinrechner

- regelt die Intensität des Laserstrahls;

- stellt die Strahl-Einfallswinkel über entsprechende Scanner ein;

- steuert Verschlüsse, die selektiv nur bestimmte Strahlenwege freigeben;

- kontrolliert die Aufheizung des Speicherkristalls;

- liest die CCD-Zeilen aus und schaltet automatisch von der einen zur anderen

- und besorgt die Auswertung und Datenaufbereitung (Signaladdition, Maximasuche etc.).

Der Rechner gestattet einen weitgehend automatischen Versuchsbetrieb, da er auch größere Mengen Hologramme selbsttätig einschreiben, auslesen und auswerten kann.

Welche Resultate lieferten die Karlsruher Experimente nun bislang? Ohne auf die Details einzugehen, läßt sich festhalten, daß die eingangs erwähnte Winkelselektivität der Volumenhologramme - also die Unterdrückung aller Informationen, die nicht zum eingestellten Auslesewinkel gehören - für alle Hologramme gleich hoch ist, also nicht etwa selber mit dem Winkel des Referenzstrahls variiert. Weicht der auslesende Referenzstrahl etwas vom richtigen Winkel ab, so hat das keine Richtungsänderung der rekonstruierten Strahlen zur Folge, man muß also keine Informationsverfälschung befürchten. Und auch die "Divergenz" der rekonstruierten Strahlen ist vom Winkel unabhängig und gleich jener der aufgezeichneten Strahlen

Aus diesen Beobachtungen errechnete das Karlsruher Team, daß es möglich sein müsse, in jeden Speicherkristall etwa 2 000 Einzel-Hologramme einzuschreiben deren Referenzstrahl-Winkel jeweils 0,04 Grad voneinander abweichen und die einen Gesamt-Winkelbereich von ± 40 Grad ausfüllen. Da jedes Hologramm (flächig) etwa zwei Millionen Datenpunkte enthalten kann, dürfte die beugungsoptische Kapazitätsgrenze eines solchen volumenholografischen Speichers etwa bei vier Milliarden Bit liegen, in der Praxis wohl um einiges darunter.

Extrem schnelle Verarbeitung

Fragt man nach praktischen Einsatzgebieten für holografische Systeme, so fällt vor allem ihre parallele Arbeitsweise ins Auge: eine zweidimensionale Fourier-Transformation mit 10 000 bis 1 Million Punkten läßt sich hier - im Prinzip - mit Lichtgeschwindigkeit durchführen.

So stellt beispielsweise ein Dokumentationssystem eine interessante Anwendung dar, denn hier ist die Datenrate bei Ein- und Ausgabe meist niedrig, während intern eine große Datenmenge zu bewältigen ist: etwa, wenn nach Eingabe einiger Stichworte die gesamte Datei nach den zugehörigen Dokumenten abgesucht werden muß.

In einem volumenholografischen Speicher könnte man nun jedem Dokument eine spezifische Richtung von Strahl 1 und jedem Stichwort eine typische Referenz-Richtung von Strahl 2 zuordnen, erläutern Bolle und Becker. Enthält Dokument m also das Stichwort n so wird mit den Strahlrichtungen m; und n2 ein Hologramm (des Dokuments) aufgenommen. Das ermöglicht später auf einfache Weise alle zu einem bestimmten Stichwort gehörenden Dokumente oder alle zu einem Dokument gehörenden Stichworte auszulesen.

Der volumenholografische Speicher eignet sich ferner gut für Zwecke des automatischen (assoziativen) Umcodierens, etwa von Zahlen in Buchstaben und zurück. Ebensogut kann man mit beliebigen Zeichenketten arbeiten oder auch beliebige binäre Muster (TV-Bilder) als Daten behandeln: Dann kann man, kennt man irgendeinen Teil des Gesamtbildes, über assoziatives Auslesen dessen Speicher-Adresse ermitteln und dann das vollständige Bild komplett auslesen.

Wie die IITB-Wissenschaftler abschließend bemerken, lassen die bisherigen Versuchsergebnisse bereits erwarten, daß elektronische Systeme die prinzipiellen Grenzen des optischen Systems wohl nie erreichen werden. In weiteren Arbeiten wollen sie nun herausfinden, welche Kapazitäten und Geschwindigkeiten mit volumenholografischen Assoziativspeichern wohl praktisch erreichbar sein dürften und gleichzeitig die Unterschiede dieser Speicher zu herkömmlichen elektronischen Hardware-Konfigurationen herauszuarbeiten.

* Egon Schmidt ist freier Wissenschafts-Journalist in München