Starre Hierarchie und Probleme mit den Tools

Viele Unternehmen tun sich mit der Realisierung von EIS schwer

19.03.1993

Erste erfolgreiche EIS-Projekte sind bereits abgeschlossen, und das, obwohl viele Unternehmen Schwierigkeiten haben, ihre Daten zu verdichten und zu brauchbaren Informationen aufzubereiten. Ausserdem ist in vielen Faellen die Organisation zu hierarchisch, und auch die verfuegbaren Tools halten noch nicht das, was ihre Anbieter versprechen.

Trotz dieser Probleme ist der Reiz sehr gross: Ein EIS verspricht Information, Kontrolle und Steuerung auf einen Blick. Fuer Georg Marlarciuc, Fachgebietsleiter bei der Kienbaum Unternehmensberatung, sind Fuehrungsinformations-Systeme nicht neu. Seit vier Jahren beschaeftigt er sich fast ausschliesslich mit diesem Thema und hat sich so ein ueberdurchschnittliches Know-how erworben.

Datendefinition bereitet Probleme

Laut Marlarciuc ist EIS schon laengst kein Kuerzel mehr, mit dem nur wenige Spezialisten etwas anzufangen wissen. Fuehrungsunterstuetzungs-Konzepte wuerden zunehmend als Chance gesehen, das strategische und operative Management besser in den Griff zu bekommen: "Mittlerweile beschaeftigen sich hierzulande die meisten Grossunternehmen sowie viele Mittelstaendler intensiv mit dem Thema. Sie haben entweder bereits mit dem Aufbau eines EIS begonnen oder planen diesen Schritt in den naechsten zwei Jahren", lautet die Markteinschaetzung des Kienbaum-Mitarbeiters. Marlarciuc bezieht sich bei seiner Prognose auf eigens durchgefuehrte Befragungen von Unternehmen in ganz Deutschland.

Obwohl das Interesse gestiegen ist, tun sich noch viele Unternehmen mit der Realisierung schwer. Die Gruende sind vielfaeltig und liegen nach Kienbaum-Erfahrungen am wenigsten im technischen Bereich. Das bestaetigt auch Beat Michel, der bei den Winterthur-Versicherungen fuer die EIS-Organisation zustaendig ist. Ausserordentlich schwierig und zeitraubend gestaltet sich seinen Angaben zufolge der Prozess der Datendefinition.

"Auch wenn die modernsten EIS-Tools zum Einsatz kommen, fuehrt leider kein Weg daran vorbei, gewisse Definitionen unternehmensweit einheitlich festzulegen", so Michel. Schwierig gestalte sich auch die Datenbeschaffung. In der Regel seien noch immer gigantische Datenmengen auf dem Grossrechner abgelegt. "Den Topmanager, der sich bequem seine gewuenschten Informationen aus dem Mainframe via Server auf seinen PC laedt, sehe ich beim heutigen Entwicklungsstand der Tools noch immer nicht", bilanziert der Organisationschef.

Fuer ihn ist klar, dass sich mittelfristig nichts am Status quo aendern wird. Der sieht so aus, dass wenige Spezialisten mit Hilfe moderner Tools innerhalb kurzer Zeitraeume fuer die Executive die gewuenschten Informationen aufbereiten. Michel warnt: "Die mit dem EIS-Begriff verbundenen Erwartungen koennen heute bei weitem noch nicht erfuellt werden."

Das Problem sehen Spezialisten wie Marlarciuc im Fehlen angemessener Werkzeuge: "Dass zur optimalen Entwicklung von Informationssystemen adaequate Tools gehoeren, ist offensichtlich. Ein Technischer Zeichner kaeme auch nicht auf die Idee, ein Grafikprogramm zu benutzen - er wird sich immer fuer ein spezielles CAD-Programm entscheiden."

Wird heute ein EIS eingefuehrt, so liegen nach Recherchen der Kienbaum-Berater meist folgende Situationen vor:

- allgemeine Unzufriedenheit mit der Qualitaet der Fuehrungsinformationen,

- Wechsel im Management sowie

- Unternehmensakquisition oder Veraenderung der Fuehrungsorganisation.

Dass ein EIS allerdings auch ohne einen aussergewoehnlichen Anlass zum Einsatz kommen kann, beweist die auf elektrische und elektronische Verbindungstechnik spezialisierte Weidmueller-Gruppe in Detmold. Der "Interface-Bereich" des Unternehmens setzt seit 1988 Fuehrungsinformations-Systeme fuer die Geschaeftsleitung und den Bereich Verkauf und Marketing ein. Nach nur einem Jahr wurde das System auf den Controlling-Bereich ausgedehnt.

Realisiert ist das System ueber ein Apple-Macintosh-Netz, einen Anschluss an eine externe Wirtschaftsdatenbank und eine Verbindung zum Host-Rechner, einem IBM-Mainframe der ES-9000-Reihe. "Vom Host werden taeglich vorverdichtete Massendaten aus Kundenauftraegen, Rechnungen oder Bestaenden in das Mac-Netz uebertragen und in der EIS-Umgebung Maccontrol - auf dem PC aufbereitet", erklaert Hans- Dieter Peemoeller, Geschaeftsfuehrer der Get Consulting GmbH, die sich als Unternehmen der Weidmueller-Gruppe um die Informatik, Logistik und Organisation des Firmenverbundes kuemmert.

"Wir haben in den vier Jahren, in denen wir uns jetzt mit EIS beschaeftigen, folgende Erfahrung gemacht: Das richtige System erhoeht in der Praxis die Qualitaet der Informationsnutzung und senkt die Kosten der Aufbereitung." Allerdings ist Peemoeller davon ueberzeugt, dass dies nur dann funktioniert, wenn Hard- und Software extrem einfach zu bedienen sind. "Das EIS muss beruecksichtigen, dass der Anwenderkreis schon immer einen hohen Bedarf an Informationen, aber in der Regel kein Interesse an Computern hatte und haben wird."

Wie bei jedem anderen Werkzeug, liege es am Anwender, ob der EIS- Einsatz zu einem Wettbewerbsvorteil fuehre. Bei Weidmueller hat es sich offensichtlich gelohnt, denn mit dem EIS und einer Reorganisation im Bereich Marketing-Dienste war es moeglich, die Abteilungskosten drastisch zu senken und die Informations- Aufbereitungszeit von drei Tagen auf eine Stunde beziehungsweise von 14 Tagen auf zwei Tage zu reduzieren. "Bei richtiger EIS- Auswahl und professioneller Projektorganisation koennen EIS-Investitionen nach zwoelf bis 24 Monaten eingespielt werden", ist sich Consultant Peemoeller sicher: "Unsere nachweisbare Pay-back-Periode lag bei 18 Monaten."

Flache Hierarchien und schlanke Organisation

Trotz verschiedener Erfolge haelt Juergen Schroeder, Leiter der Organisation und Datenverarbeitung bei der Sandoz AG in Nuernberg, EIS in vielen Faellen eher fuer "schmueckendes Beiwerk". Verantwortlich fuer die Bereitstellung entscheidungsrelevanter Daten, klagt Schroeder ueber das Fehlen einer integrierten und in sich konsistenten Datenbasis. Nur aus einem solchen Pool heraus koennten durch Konsolidierung Fuehrungsinformationen generiert werden, die keine Zweifel mehr zuliessen.

Als Loesung empfiehlt der DV/Org.-Leiter integrierte Standardsoftware fuer das operationale Geschaeft, vor allem auch vor dem Hintergrund, dass sich die Management-Strukturen entscheidend veraendern. Er ist ueberzeugt davon, dass im Zuge der Einfuehrung flacher Hierarchien und schlanker Organisationen das mittlere Management zumindest ausgeduennt, wenn nicht sogar weitgehend abgeschafft wird.

Diesen Trend sieht auch die Gartner Group, die bereits Ansaetze einer neuen "EIS-Zeit" erkennt. Je mehr sich offene Systeme und Technologien der dritten IT-Generation durchsetzen, so erlaeutert Deutschland-Chef Frank Sempert, desto groesser sei die Chance, dass alle Mitarbeiter mit den fuer sie relevanten Informationen versorgt wuerden. Komplexe mehrdimensionale Abfragen seien ebenso moeglich, wie die Nutzung von Expertensystemen und Spreadsheets.

Natuerlich werde es auch in diesem Umfeld Hierarchien geben - allerdings keine starr strukturierten, sondern in der Regel einsatzbedingte. Der Topmanager werde seine Tools anders definieren und waehlen als zum Beispiel der Produktionsleiter. Dabei sei die Interoperabilitaet eine unabdingbare Voraussetzung fuer die unternehmensweite EIS-Versorgung in offenen Systemen.

Die entscheidenden Schluesselprodukte dazu werden zur Zeit auf dem Gebiet der sogenannten Middleware entwickelt und zum Teil bereits in den Markt eingefuehrt. "Genau hier werden die Weichen fuer das zukuenftige EIS nach dem Modell einer Business-Intelligenz gestellt", betont Sempert.

Die dritte Generation der Informationstechnologie

Diese Business-Intelligenz setze sich aus einem breiten Portfolio an Softwarewerkzeugen und -systemen zusammen und sei auf die Nutzung vieler Endanwender, nicht nur Topmanager, ausgelegt. "Die dritte Generation der Informationstechnologie", so Sempert, "oeffnet den Anwendern von Business-Intelligenz-Programmen ganz andere, bisher nicht beruecksichtigte Technologien, die weit ueber das bisher angedachte biedere Modell des Executive Information Systems hinausgehen."

Zu diesen Technologien zaehlt etwa eine multidimensionale Datenbank, die in ihrer Kombinationsfaehigkeit und Darstellungskraft vollkommen neue Perspektiven der Unternehmensenwicklung zulaesst. Parallel dazu koennte die perfekte Momentaufnahme der Unternehmenslage unter Ausleuchtung saemtlicher Risiken und Finanzfallen durch Ad-hoc-Abfragen Wirklichkeit werden. Das Schlagwort Sekundenbilanz veranschaulicht laut Sempert, wie heute schon Statusberichte aussehen koennten.

Dazu liessen sich kurz- und mittelfristige Prognosen der abschaetzbaren Zukunft mittels Expertenprogrammen und lernfaehigen neuronalen Netzen einspiegeln - etwa zur Kurseinschaetzung der eigenen oder der Portfolio-Aktien. Spreadsheets fuegen sich in dieses Szenario ganz selbstverstaendlich ein. Wenn das Ganze dann noch vierfarbig und dreidimensional ueber einen Plotter ausgedruckt werde, sei das Szenario perfekt.

Ganz im Geiste dieses Entwurfs hat die Sony Europa GmbH vor drei Jahren mit einer gesamteuropaeischen EIS-Planung begonnen. Erstes Ziel war damals die schnelle Unterstuetzung des Managements mit Fuehrungsinformationen. So ist bei Sony die Organisation und das Management wichtiger Fuehrungsinformationen ueber viele Gesellschaften hinweg im Rahmen moderner Berichts- und Entscheidungssysteme unter Einbeziehung von Datenbanken und eines weltweiten Computernetzes realisiert worden.

Das Wissen um den Marktanteil eines strategischen Produktes in einem bestimmten Markt oder Land sei fuer viele Fuehrungskraefte des Konzerns an ganz unterschiedlichen geographischen Standorten gleichermassen von Bedeutung. Entsprechend sei fuer die "Worldzone" Europa eine Fuehrungsdatenbank entstanden, auf die weltweit jeder Manager zugreifen koenne.

Festlegung der Leistungskennzahlen

Nach Ansicht von Europa-Geschaeftsfuehrer Peter Maier ist bei Erarbeitung und Definition konzernweiter Critical success factors der wichtigste Schritt, Leistungskennzahlen festzulegen, die entweder eine weltweite Bedeutung haben beziehungsweise fuer den gemeinsamen Markt in Europa gelten oder ausschliesslich zur Steuerung bestimmter Landesgesellschaften dienen. Zu diesem Zeitpunkt war auch schon klar, welche Informationen der Controller, der Marketing-Chef, der Produktleiter oder der Logistikchef ueberhaupt benoetigen.

"Waehrend EIS-Systeme heute hauptsaechlich Notstaende ueberlasteter Controller beheben, verstehen wir darunter das glatte Funktionieren der Unternehmensplanung oder des Controlling", definiert Sony-Chef Maier.

Die Aufmerksamkeit des Topmanagements liege auf der ganzen "Business Pipeline". Bei den einzelnen Unternehmensinstanzen gaelten jedoch unterschiedliche Massstaebe. "Es ist nicht noetig, jedes Segment der Pipeline nach derselben Methode, mit denselben informationstechnologischen Tools auszustatten", erlaeutert Maier.

Was fuer den Konzern-Controller gut sei, entspreche noch lange nicht den Erfordernissen des Marketing-Managements oder des Produktionsleiters. Kritische Erfolgsfaktoren unterschiedlicher Unternehmensfunktionen bildeten den gesamtheitlichen Zusammenhang im Konzern und damit die notwendige Informationsbasis fuer den Vorstand.

Zentrale Fuehrungsdaten gewaehrleisteten dabei den vollen Zugriff der verantwortlichen Fuehrungskraefte. "Damit ist bei Sony das EIS nicht ausschliesslich ein Instrument des Controllers oder Finanzvorstands, sondern das Eigentum aller Ressortchefs."

*Nicole Winkler ist freie Journalistin in Muenchen.