Studie der Frankfurter Fachhochschule

Viele Überstunden und Streß belasten die Servicetechniker

18.09.1992

Gunter Lange arbeitet als Redakteur bei der Zeitschrift "Standort" in Hamburg.

Fällt das DV-System aus, bricht unter den Verantwortlichen schnell Panik aus. Können sie den. Schaden nicht selbst beheben, muß der Servicetechniker Feuerwehr spielen. An ihn werden hohe Anforderungen gestellt: er soll möglichst sofort zur Stelle sein, innerhalb kürzester Zeit den Schaden orten und beheben. Gunter Lange beschreibt, welchen Belastungen die Servicetechniker aufgrund dieser Erwartungen ausgesetzt sind.

"Die Computer laufen heute Tag und Nacht. Damit sind die Ansprüche der meisten Kunden gewachsen: Wenn die Firma X einen kompletten Service rund um die Uhr bietet, muß ihn auch die Firma Y anbieten, um Kunden in halten. Für uns Servicetechniker ist die Arbeitsbelastung dadurch gravierend gestiegen", beschreibt Helmut Spickmann von Digital-Kienzle seine Erfahrungen.

Er ist kein Einzelfall: Neun von zehn Servicetechnikern der Computerbranche klagen über wachsende Arbeitsbelastungen durch Termindruck, lange Fahrzeiten und Streß. Aus den Arbeitsbedingungen folgen innere Unruhe, Konzentrationsstörungen bis hin zu Herzbeschwerden. Darauf weist eine Studie hin, die im Auftrag des Rationalisierungskuratoriums der Wirtschaft (RKW) und der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG) von Sozialwissenschaftlern der Frankfurter Fachhochschule erstellt worden ist.

Die Lernfähigkeit läßt noch

Der Wartungstechniker von einst hatte einen festen Kundenstamm, den er in Inspektionsintervallen aufsuchte, wobei er sich vor allem der Hardware widmete. Inzwischen müssen die Techniker ein relativ großes Gebiet abdecken und sich zudem durch die rasche Innovationsfolgen der Hard- und Software ständig weiterbilden. Ein 51jähriger Spezialist für Peripheriegeräte definiert seine Belastungen so: "Besonders anstrengend ist das Autofahren. Wir haben ja zwei Berufe, einmal sind wir Autofahrer und einmal sind wir Techniker. Zudem stehen wir ständig unter Zeitdruck, was zu noch mehr Streß führt."

Ein Servicetechniker für Großsysteme beklagt sich über die Situation, wenn der DV-Leiter am Einsatzort alle fünf Minuten fragt, wie lange es noch dauere. "Da muß man schon sehr zurückhaltend sein, um nicht zu sagen, daß es für alle Seiten besser wäre, wenn er mich in Ruhe arbeiten ließe."

Ältere Servicetechniker nennen einen weiteren Belastungsfaktor und stellen erschreckt fest: "Die Lernfähigkeit läßt nach." In diesem Job veraltet das Fachwissen innerhalb kürzester Zeit. Einerseits habe, so die Frankfurter Studie, die weitgehende Standardisierung der Computer die Qualifikationsanforderungen reduziert, andererseits erfordern die unübersichtlichen Netzwerke ein enormes Fachwissen. Das Wissenschaftlerteam unter Leitung von Professor Werner Wilkening faßt die Belastungen so zusammen: zunehmende Arbeitsintensivierung, wachsende Anforderungen an Flexibilität und Sozialkompetenz, immer ausgedehntere Fahrtrouten, tendenzielle Auflösung des Normalarbeitstages bis zur ständigen Verfügbarkeit und damit zunehmende Flexibilisierung der Normalarbeitszeit. Von den 91 Prozent der befragten Servicetechniker, die wachsenden Arbeitsdruck reklamierten, führten 86 Prozent die Ursache auf Personalmangel zurück. So schiebt beispielsweise Techniker Spickmann von Digital-Kienzle einen gewaltigen Berg von Überstunden vor sich her.

Mehr als zwei Drittel arbeitet trotz Krankheit

Als Betriebsrat hat er da natürlich ein schlechtes Gewissen: "In der betrieblichen Realität sieht das ja so aus: Verweigern wir unsere Zustimmung, wird unseren Kollegen nicht geholfen. Denn es wird nicht zusätzlich Personal eingestellt!" Mindestens 300 000 Mark mehr Umsatz im Jahr müßte ein zusätzlich eingestellter Techniker im Jahr schon einbringen, lautet in der Branche eine Vorgabe der Unternehmensleitung an örtliche Geschäftsführer.

Über die gesundheitlichen Konsequenzen der Arbeitsbedingungen heißt es in der Studie: "An der Spitze stehen Störungen des psychischen Befindens: innere Unruhe und Anspannung, Konzentrationsstörungen, Reizbarkeit und vorzeitige Müdig- und Mattigkeit, Nervosität sowie Niedergeschlagenheit. Gleichzeitig werden Beschwerden des Stütz- und Bewegungsapparates angegeben. Rücken-, Kreuz- und Schulter- sowie Nackenschmerzen plagen die Techniker, die überwiegend auf lange Autofahrten und Hockstellungen an den Maschinen zurückzuführen sind."

Bemerkenswert sind auch die Störungen im Herz-Kreislaufsystem: Herzbeschwerden, Stechen in der Brust.

Mehr als zwei Drittel dieser Computerspezialisten gehen auch dann zur Arbeit, wenn sie sich krank fühlen, und leisten Überstunden.

Allen Belastungen zum Trotz denken die Servicetechniker in der Computerbranche aber kaum an einen Berufswechsel. So fanden die Frankfurter Sozialwissenschaftler bei ihren Intensivinterviews heraus, daß diese Berufsgruppe ihre Arbeitsmotivation aus der Lösung komplexen technischer Probleme zieht, sich aber auch darüber bewußt ist, daß sie dafür einen hohen Preis zahlt.

Auch zuhause schalten die Techniker kaum ab. Sie bereiten Reisekostenabrechnungen und Berichte vor, lesen Fachliteratur hauptsächlich in der Freizeit, und in den heimischen vier Wänden beantworten sie zuweilen noch Anfragen von Kunden sowie von Kollegen.

Zu den Konsequenzen schreiben die Autoren der Studie: "Nicht nur Zeiteinbußen führen zu einer Veränderung der Sozialbeziehungen. Für die Partnerschaft bewirkt der häufig verlängerte Arbeitstag einen Verlust gemeinsamer Aktivitäten. Der Zeitmangel und die Unvorhersehbarkeit unregelmäßiger Arbeitsverlängerung führt zu Konflikten. Die relativ hohe Scheidungsrate (40 Prozent) könnte in diese Richtung weisen."

Über die Studienergebnisse meint Heino Rahmstorf, Referatsleiter für die Computerbranche bei der DAG: "Die Servicetechniker sind die Underdogs der Branche. Da gibt es für Betriebsräte und Gewerkschaften großen Handlungsbedarf." Gesundheitsorientierte Betriebsumfragen und Gesundheitszirkel könnten einige Schritte in die richtige Richtung sein. Der Digital-Betriebsrat setzt zuerst auf Schadensbegrenzung: "Wir haben eine Betriebsvereinbarung über Leasingverträge durchgesetzt. Danach können nur noch Fahrzeuge geleast werden, die mit Antiblockiersystem ausgestattet sind. Diese Formel zwingt zu komfortableren Autos."