IT in der öffentlichen Verwaltung

Viele Kommunen sind schon "internetional"

02.01.1998

Neu in der Stadt. Gestern erst mit Sack und Pack angekommen, fürs erste mit der frisch bezogenen Heimstatt zufrieden. Aber der Gang zu den Ämtern bereitet noch Unbehagen. Schlange stehen, zuhören müssen, wie die Damen am Schalter ihre Wochenenderfahrungen austauschen, während andere Termine drängen.

Doch es kommt anders. Dem verdutzten Antragsteller teilt ein freundlicher Zeitgenosse im kommunalen Zentrum mit, man könne alles bei ihm erledigen. Eine knappe halbe Stunde später ist der Neubürger ordentlich angemeldet, hat eine Telefonnummer, verfügt über ein Abonnement der Lokalzeitung und ein Konto bei der Sparkasse. Auch das Auto ist bereits umgemeldet, die frisch gedruckten Kennzeichen und Papiere liegen zum Abholen bereit. Mit der Citizen Card, dem maschinenlesbaren Zahlungs- und Legitimationsmedium mitsamt allen relevanten Angaben zur Person, kann man sich künftig das Ausfüllen von Formularen ersparen. Daß die Post im alten Wohnort ganz nebenbei noch einen Nachsendeauftrag erhält, hätte der von soviel Bürgerservice schier überwältigte Zeitgenosse fast vergessen zu erwähnen.

Manche kommunale Entscheidungsgremien würden solche Träume gerne verwirklichen. Denn auch in der öffentlichen Verwaltung wird über umfassende Restrukturierungen nachgedacht. Laut Angaben des Deutschen Städtetages planen knapp 200 der etwa 270 Mitgliedskommunen, ihre Verwaltung grundlegend zu modernisieren. Vorgänge einfacher, schneller und billiger zu gestalten lautet das Credo von Bürgermeistern und Behördenchefs. Computer, professionell gestaltete Netze und IT-Dienstleistungen sollen den Dienst am Bürger verbessern.

Ein Beispiel ist das Stadtbüro in Rüsselsheim. Das moderne Bürgerinformationszentrum ist zentrale Anlaufstelle für den ratsuchenden Bürger, der dort gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen kann. Unter einem Dach kann er seinen Wohnsitz ummelden, einen neuen Paß anfordern, seine Kinder in der Kindertagesstätte anmelden, die Hundesteuer bezahlen, einen Gas- oder Stromanschluß beantragen und Theaterkarten der Städtischen Bühnen kaufen.

Entscheidenden Anteil an dem ungewohnten Komfort hat laut Pressesprecher Karsten Groß die konsequente Umstellung auf moderne IT. In der Regel können sich Kommunen aus Kostengründen nicht erlauben, ihren veralteten Sytemen, die den gestiegenen Anforderungen nicht mehr standhalten können, Lebewohl zu sagen. Auf der anderen Seite beanspruchen Wartung und Pflege der Altlasten die ohnehin knappen Budgets über Gebühr.

"Anbandeln" mit Bürgern ist noch problematisch

Die hessische Autometropole ging das Risiko einer erheblichen IT-Investition ein: Heute präsentiert sie ein ausgetüfteltes Netz als leistungsfähiges Rückgrat der bürgerfreundlichen Benutzer-Schnittstelle. Während sich die Kommunale Informationsverarbeitung (KIV) in Darmstadt im Hintergrund als Rechenzentrum für Sicherheit und Stabilität der Daten verbürgt, pumpt ein Server des Ordnungsamtes die im Front-Office benötigten Informationen in die Workstations der Sachbearbeiter.

Auf derzeit acht Rechnern laufen die Fäden zusammen. "Lotus Notes 4.5" als Kommunikationsplattform liefert den Mitarbeitern die benötigten Personendaten samt Statistiken aus dem Einwohnermeldewesen und stellt ihnen alle Formulare bereit, die bis dato auf weite und zeitraubende Unterzeichnungswege geschickt wurden.

1998 soll der komplette Verwaltungsapparat vernetzt werden, wozu auf Empfehlung des Consulting-Unternehmens Electronic Data Systems eine NT-Lösung mit Intranet-Oberfläche zur Debatte steht. Um auch die dezentralen Verwaltungsstandorte einzubinden, wird über die Investition in Lichtwellenleiter ebenso nachgedacht wie über die Einrichtung eines weitgespannten Netzes mit Servern und Hubs in allen Gebäuden.

Im rund 80 Kilometer entfernten Mannheim ist man unter dem Schlagwort "Mannheim Internetional" noch weiter. Im Internet-Rathaus kann sich der Surfer über Notdienste informieren, dem städtischen Gemeinderat bei der Arbeit über die Schulter schauen oder gleich selbst in die Tasten greifen. Sei es die Bestellung eines Aufgebots, Abfallbehälters oder Kfz-Wunschkennzeichens, sei es ein Wohnungswechsel oder die Fristverlängerung für entliehene Bücher der Stadtbücherei - per Mausklick können sich die Bürger zahlreiche Behördengänge sparen.

Wie der für den Internet-Auftritt verantwortliche Referent Dirk Adam erzählt, versucht man bereits seit 1994, mit dem Bürger übers Netz ins Gespräch zu kommen. Was seinerzeit in Btx mangels grafischer und interaktiver Kompetenz scheiterte, später bei der Alternative Compuserve aus Kostengründen verworfen wurde, hat sich 1995 endgültig etabliert. Ohne Sponsoren hob das Lenkungsgremium aus Stadtverwaltung, Hochschulen, Energieversorgern und der Tageszeitung "Mannheimer Morgen" das Internet-Baby aus der Taufe.

Auf "nahezu jedem Arbeitsplatz", so Adam, steht mittlerweile ein ins Novell-Netz eingebundener Rechner mit eigener E-Mail-Adresse. Für die Zukunft ist die Erfassung des städtischen Bibliotheksbestands vorgesehen, ferner will sich das Amt für Wirtschaftsförderung mit einer interaktiven Produkt- und Auftragsbörse auf einem eigenen Server in die virtuelle Welt begeben.

Wer allerdings glaubt, die IT schaffe das im Selbstlauf, sieht sich getäuscht. Von elementarer Bedeutung für die Akzeptanz von "bürgernaher Verwaltung" und "schlankem Staat" ist Prima, eine Initiative der Mannheimer Kommune zur kontinuierlichen Verbesserung ihrer Dienste am Bürger. Vom Oberbürgermeister selbst gestartet, soll das an der japanischen Philosophie des Kaizen orientierte Projekt auch die Zufriedenheit der Angestellten heben und nachhaltig zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit beitragen.

Einer, der sich als Berater in der öffentlichen Verwaltung gut auskennt, ist Hartmut Storp aus Ahrensburg. "Reden wir zusammen mit den Amtsleitern über die zeitraubenden Unterzeichnungsorgien, herrscht Einvernehmen - zumindest in der Theorie." Gehe es aber an die praktische Umsetzung, können die Statthalter des Staates aus ihrer Beamtenmentalität nicht heraus: "Da wollen wir doch lieber nochmal drüberschauen." Für Storp liegt hier das eigentliche Problem aller Anbandelungsversuche gegenüber dem Bürger. Bevor Antwortzeiten sinken und sich das in der Wirtschaft etablierte Prinzip "One face to the customer" durchsetzen könne, sollten zunächst die internen Abläufe auf leistungsfähige IT-Konzepte wie Dokumenten- und Workflow-Management umgestellt werden.

"Die Technik ist nur Plattform der Dienstleistung gegenüber dem Bürger", bekräftigt auch Manfred Klenke, Leiter des Projekts "Bremen online". Im Vordergrund der kommunalen Bemühungen stehe die Entwicklung eines neuen Mitarbeiterprofils. In der Praxis sei es nicht immer einfach, die allenthalben geforderte Servicebereitschaft in den öffentlichen Verwaltungen zu ermöglichen: "Der bisherige Amtsleiter avanciert zum strahlenden Geschäftsführer, aber wird er auch anders handeln als vorher?" Bremen will sich wie zum Beispiel Bielefeld mit virtuellen Bürgerämtern in Szene setzen, aber auch Informations- und Kommunikationsplattformen für Touristen, die ansässige Wirtschaft und gemeinnützige Initiativen und Verbände errichten. "Ein Kessel Buntes" soll Farbe in die eher düstere Amtsstubenwirklichkeit bringen.

Da ist vielerorts noch einiges zu tun. Vor allem in München ist die DV Zielscheibe der Kritik. Wie auch andere Abteilungen des riesigen bürokratischen Apparats, so die Vorgabe des Stadtrats, muß das Amt für Datenverarbeitung, das knapp 200 Mitarbeiter beschäftigt, in den kommenden Jahren seine Konkurrenzfähigkeit unter Beweis stellen. Effiziente Arbeitsstrukuren, die strengen Kosten-Nutzen-Vorgaben standhalten, sind gesuchter denn je. "Zwar verlieren wir auch den einen oder anderen Auftrag", räumt Amtsleiter Wilhelm Hoegner ein. Dies machten aber Vertragsabschlüsse über Neuprogrammierungen wieder wett. Die Dezentralisierung auf Client-Server und der Einsatz von Standardprodukten hätten sich gelohnt.

Daß man sich für den Bürgerservice besonders ins Zeug legt, zeige die Kooperation mit dem Presseamt bei der inhaltlichen und technischen Ausgestaltung des Internet-Auftritts. Jeder Arbeitsplatz werde, abgesichert durch eine solide Firewall, ins Netz eingebunden. Damit sollen die Stadtbediensteten leichter erreichbar werden, außerdem könne sich der Sachbearbeiter über das Internet schneller mit neuen Gesetzesvorlagen und Beschlußlagen vertraut machen. Problematischer hingegen gestalten sich die Pilotprojekte, in denen auch rechtsförmige Verwaltungsverfahren wie zum Beispiel die Reservierung von Wunschkennzeichen über das Internet möglich werden sollen. Hoegner möchte damit gerne warten, bis sich die digitale Signatur bei Banken und Versicherungen als hinreichend stabil und sicher erwiesen hat.

Mehrinvestitionen

Wie das Marktforschungsinstitut Tech Consult in Kassel in einer Umfrage unter kommunalen Behörden ermittelte, wollen die Verwaltungen 1998 insgesamt 3,3 Milliarden Mark in IT-Projekte investieren und damit ihre Budgets gegenüber 1997 um sechs Prozent erhöhen. Während die Ausgaben für Hardware stagnieren, nehmen Investitionen in Software und Services zu. Schwerpunkte sind der Aufbau beziehungsweise die Erweiterung von LAN- und WAN-Netzen, Standardsoftware sowie Internet/Intranet-Projekte.

*Winfried Gertz ist freier Journalist in München.