Viele Freiberufler kennen ihren Marktwert nicht

11.09.2001
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Ina Hönicke ist freie Journalistin in München.
IT-Freiberufler lieben ihre Unabhängigkeit und genießen es, selbst Kunden und Projekte auszusuchen. Familie und Freizeit spielen beim Schritt in die Selbständigkeit kaum eine Rolle. Unsicher sind die Einzelkämpfer allerdings über ihren Marktwert, wie eine aktuelle Befragung der COMPUTERWOCHE und der Freiberufler-Jobbörse Freelance.com ergab.

Das Alter scheint bei der Entscheidung selbständig zu arbeiten eine wichtige Rolle zu spielen. Während die unter Dreißigjährigen nur mit elf Prozent vertreten sind, stellen die Dreißig- bis Vierzigjährigen mit 45 Prozent die größte Gruppe dar. Weitere 40 Prozent sind über 40 Jahre alt und können demzufolge als sehr berufserfahren bezeichnet werden. Aufgrund der Altersstruktur der befragten IT-Profis überrascht es nicht, dass drei Viertel von ihnen eine Familie haben und nur ein Viertel allein lebt. Anscheinend lassen sich Freiberuflichkeit und Familie doch besser vereinbaren, als oft angenommen wird. Noch weniger überraschend ist indes die Tatsache, dass die Frauen nur mit einem geringen Anteil, nämlich weniger als zehn Prozent, vertreten sind. Schließlich entspricht diese Zahl in etwa dem Anteil der weiblichen Computerprofis in der gesamten IT-Branche.

Weitere Ergebnisse liefert die Frage nach dem Bildungsabschluss. Insgesamt 55 Prozent der Freelancer verfügen über einen Hochschulabschluss, der Rest kann zumindest Abitur oder eine abgeschlossene Berufsausbildung vorweisen. Damit steht außer Frage, dass sich unter den Interviewteilnehmern viele "Hochkaräter" befinden. Dass das Groß der Freelancer (70 Prozent), aus einer Festanstellung in die Freiberuflichkeit gewechselt hat, lässt den Schluss zu, dass praktische Erfahrung aus dem Angestelltenverhältnis beim Schritt in die Selbständigkeit hilfreich ist. Interessant ist, dass sich immerhin elf Prozent der Befragten direkt nach der Ausbildung selbständig machten. Diese Zahl könnte einen Trend bestätigen. Laut Untersuchungen des Bundes Deutscher Unternehmensberater (BDU) und der Gesellschaft für Informatik (GI) streben tatsächlich immer mehr Hochschulabsolventen sofort die Selbständigkeit an.

Dazu passen auch die Antworten auf die Frage nach dem Grund für die Freiberuflichkeit. Über 70 Prozent betrachten "Freelancing als ihr persönliches Arbeitsmodell und nicht etwa als Not- oder Übergangslösung". Für zehn Prozent ist die Selbständigkeit "eine gleichberechtigte Alternative zur Festanstellung".

Das Vorurteil, dass freiberufliche Tätigkeit in den meisten Fällen lediglich ein "Notnagel" sei, lässt sich nicht bestätigen. Dagegen spricht auch die Länge der Selbständigkeit. 41 Prozent der Befragten sind zwischen einem und fünf Jahren ihr eigener Chef, 38 Prozent sogar über seit mehr als fünf Jahren.

Die meisten der Projekte (37 Prozent) akquirieren die Computerexperten selbst oder erhalten sie von ihrem ehemaligen Arbeitgeber (acht Prozent), beziehungsweise von dessen Kunden (zehn Prozent). Dass zwölf Prozent ihre Projekte durch die Empfehlung eines Kollegen und acht Prozent über ein Freelancer-Netzwerk erhalten haben, spricht für das schon lange vorausgesagte Ende des Einzelkämpfertums in diesem Bereich. Schließlich werden auch bei den Freiberuflern Vernetzung und Teamarbeit zunehmend wichtiger. Die Internet-Jobbörsen scheinen sich in diesem Zusammenhang ebenfalls auf Erfolgskurs zu befinden. Immerhin haben 16 Prozent der Befragten ihre Projekte durch eine Jobbörse vermittelt bekommen.

Bei der nachgefragten Art der Tätigkeit setzen Freelancer vor allem aufs Bewährte. Vorwiegend sind sie im IT-Consulting tätig (35 Prozent). 20 Prozent arbeiten hauptsächlich konzeptionell und weitere 20 Prozent sind mit der Umsetzung von Projektplänen beschäftigt. Aber für die Welt der Wartung und Systempflege werden IT-Spezialisten benötigt. Immerhin gaben 16 Prozent der Befragten an, laufende Systeme zu betreuen. Dennoch liegt der Schluss nahe, dass IT-Freiberufler künftig verstärkt in Beratung und bei der Umsetzung von Konzepten eingesetzt werden.

Zu den Auftraggebern der Freelancer zählen nach wie vor eher die großen Unternehmen. Über die Hälfte der Befragten (52 Prozent) arbeiten vorwiegend für sehr große Kunden (über 500 Angestellte), weitere 29 Prozent für Kunden über 50 Angestellte und nur 17 Prozent für Firmen unter 50 Mitarbeitern. Ein Problem scheint indes die zeitliche Verteilung der eingehenden Aufträge zu sein. Typische Projektlaufzeiten dauern drei bis neun Monate (42 Prozent) oder sogar länger (38 Prozent). Nur ein geringer Teil der Projekteinsätze dauert länger als anderthalb Jahre. Da die durchschnittlichen Pausen zwischen den Projekteinsätzen häufig bei einem Monat liegen, ist es kein Wunder, dass sich 27 Prozent der Freiberufler ungleichmäßig ausgelastet fühlen und ihre Auftragslage gerne verbessern würden.

Auf den Geldbeutel scheint sich das allerdings nicht auszuwirken. Immerhin verdienen 60 Prozent der IT-Fachleute über 150 000 Mark und 20 Prozent über 250 000 Mark pro Jahr. Damit gehören sie zweifellos den oberen Einkommensklassen an. Nur sieben Prozent der Freelancer müssen sich eigenen Angaben zufolge mit einen Jahresverdienst von weniger als 50 000 Mark zufrieden geben. So kalkuliert ein Junior-Programmierer etwa mit einem Stundensatz von 90 bis 130 Mark während ein Projekt-Manager 200 bis 260 Mark in der Stunde erreichen kann. Wenn der Auftraggeber bereit ist, für länger als sechs Monate den Experten zu beschäftigen, also eine erhöhte Auftragssicherheit bietet, können sich die Sätze um bis zu 20 Prozent reduzieren. Interessant ist, dass ein großer Teil (72 Prozent) glaubt, mehr als in einer entsprechenden Festanstellung zu verdienen. Immerhin 38 Prozent schätzen sogar, dass sie als Freelancer über 30 Prozent mehr einstreichen.

Auch wenn die Befragten sich mit ihrer finanziellen Situation zufrieden zeigen, herrscht bei vielen über die Verhandlungstaktik Unsicherheit. Zwar gibt die Hälfte der Freiberufler an, seinen Wert zu kennen, die anderen 50 Prozent sind jedoch nicht so selbstbewusst - elf Prozent fühlen sich gar "häufig über den Tisch gezogen". Dieses Phänomen ist auch bei Veranstaltungen immer wieder zu beobachten. Die größte Aufmerksamkeit erregen diejenigen Referenten, die den Freelancern Tipps zum Aushandeln ihrer Tagessätze mit auf den Weg geben. Als durchaus überraschend dürfen die Antworten auf die Frage nach der Weiterbildung bewertet werden. Obwohl Freelancer sich immer wieder beklagen, keine Zeit für Training zu haben, scheint das Thema bei den Befragten der CW-Umfrage durchaus Priorität zu besitzen. Lediglich ein Viertel der Teilnehmer gibt an, für die Weiterbildung keine Zeit aufzuwenden. Während 27 Prozent der Qualifizierung nur weniger als zehn Prozent ihrer Zeit widmen, räumen 44 Prozent mit einem Zeitaufwand zwischen zehn und 20 Prozent ihrer Arbeitszeit und ein Fünftel sogar mit über 20 Prozent diesem Bereich einen hohen Stellenwert ein. Dafür spricht auch, dass immerhin 16 Prozent in ihrer freiberuflichen Zeit Zertifizierungen erworben haben. Angeführt wird die Zertifizierungsliste von Microsoft (46 Prozent), danach folgen SAP (13 Prozent) sowie Novell (8 Prozent).

Die Wichtigkeit von Qualifizierung wird ebenfalls aus den Antworten auf die Frage "Welche Dienstleistungen würde ich in Anspruch nehmen" ersichtlich. Neben der Vermittlung von Projekten (59 Prozent), die als wichtig bis sehr wichtig eingestuft wird, folgt an zweiter und dritter Stelle Karriereplanung und -coaching (51 Prozent) sowie Weiterbildung und Zertifizierung (48 Prozent). Offenbar zerbrechen sich die Selbständigen mehr den Kopf über das schwierige Thema der Weiterbildung als häufig angenommen wird. Ihnen bereitet weniger der Zeitmangel als die fehlende Orientierung über nützliche Angebote Probleme.

Schließlich wurden die Freiberufler mit der Frage nach den Vor- und Nachteilen des Arbeitsmodells Freelancing konfrontiert. Für 41 Prozent ist die "Unabhängigkeit" am wichtigsten, gefolgt von der Möglichkeit, "Kunden und Projekte selbst aussuchen zu können", "sein eigener Chef sein" und "die Zeit selbst einteilen zu können". Das "Einzelkämpferdasein" sehen immerhin 20 Prozent als attraktiv an. Erst an vierter Stelle wird "der finanzielle Vorteil" genannt. Interessanterweise fallen Faktoren wie Freizeit und Familienleben so gut wie nicht ins Gewicht.

Als größten Nachteil beim Freelancing empfinden die Befragten - und das kann niemanden überraschen - die Unsicherheit über zukünftige Einnahmen (43 Prozent). Weitere 18 Prozent sehen das "Akquirieren neuer Projekte" als "aufwändig und lästig" an. Nachdem das "Einzelkämpferdasein" in der Frage zuvor von 20 Prozent als positiv eingestuft wurde, wird es bei der Frage nach den Nachteilen von fast genauso vielen (16 Prozent) als Manko gesehen. Diese Gruppe wünscht sich ganz offensichtlich mehr zwischenmenschliche Kontakte während der Arbeitszeit. Kaum ins Gewicht fallen indes "bremsende unprodutive Tätigkeiten" (acht Prozent) sowie die Suche nach Geschäftspartnern für Großprojekte (sechs Prozent).