Viel Arbeit und wenig Partystimmung

16.01.2001
Von Angelika Fritsche
In ihrem Metier leisten sie Spitzenarbeit, immer auf der Spur nach neuen technologischen Entwicklungen und Dienstleistungen. Die „Neuen Selbständigen“ nutzen ihr Know-how, um die Potenziale des IT-Marktes voll auszuschöpfen. Die Schattenseite: Jede Menge Überstunden, permanenter Dauerstress und das Risiko, über fehlende wirtschaftliche und juristische Kompetenzen das eigene Geschäft zu gefährden.

Die Zahl der „Freelancer“ in der Informations- und Multimediabranche wächst – und damit auch der Beratungs-, Betreuungs- und Qualifizierungsbedarf in diesem Sektor. „Nach anfänglicher Partystimmung ist bei den ‚neuen Helden‘ der Internet-Ökonomie Ernüchterung eingetreten, und der Blick wird freier für die Risiken dieser Erwerbsform“, so das Ergebnis einer Untersuchung, die das Institut Arbeit und Technik (IAT), Gelsenkirchen, und das DGB-Bildungswerk NRW e.V.

Achim Vanselow

Anfang Dezember 2000 präsentierten. Seit 1999 haben die beiden Kooperationspartner die Lebens- und Arbeitssituation von Einzel- und Kleinstunternehmern in der Informationstechnologie und den Neuen Medien genauer unter die Lupe genommen. Insgesamt 205 Selbständige haben sich an einer Online-Befragung des IAT beteiligt. Demnach ist der „typische Freelancer“ männlich, zwischen 30 und 50 Jahre alt, weist einen Hochschul- oder Fachhochschulabschluss auf und arbeitet vorwiegend in den Bereichen Projekt-Management, Webdesign oder Softwareentwicklung. 47 Prozent der Befragten haben als Quereinsteiger den Schritt in die Selbständigkeit gewagt.

Gerade im IT- und Multimediabereich kursiert das Bild von den „Wirtschaftswunderkindern“, die direkt von der Schulbank oder aus dem Hörsaal heraus ihre eigene Firma gründen. Achim Vanselow, der das Projekt beim IAT betreut, hat andere Erfahrungen gemacht: „Tatsächlich gibt dieses Klischee nur einen kleinen Ausschnitt des Gründungsgeschehens wieder.“ Die Befragten verfügten meistens über zum Teil langjährige Berufspraxis in einer Angestelltentätigkeit, oft in einer Leitungsfunktion. Und ein weiteres Ergebnis, das den Klischees widerspricht: Drei Viertel der Befragten leben in einer festen Partnerschaft, davon 38 Prozent mit Kindern. „Die Erwartung, der Single sei die vorherrschende Lebensform der neuen Selbständigen, bestätigte sich also ebenfalls nicht“, stellt Vanselow fest.

Ein weiteres Vorurteil – viele Freelancer würden aus der Not heraus selbständig arbeiten – lässt sich aus den Befragungsergebnissen ebenfalls nicht bestätigen. 80 Prozent bejahten die Frage, ob sie mit ihrer Selbständigkeit zufrieden sind. Befragt nach ihrer Perspektive für die nächsten fünf Jahre gaben 50 Prozent an, auch weiterhin selbständig tätig sein zu wollen. 41,5 Prozent verfolgen das Ziel, ein Unternehmen zu gründen. Nur drei Befragte zogen es vor, (wieder) als Angestellte tätig sein. Auch die Auftragslage und die Verdienstmöglichkeiten sehen die Neuen Selbständigen weitestgehend positiv, wobei die Sondereinflüsse der Jahr-2000-Umstellung und die Euro-Umstellung eine wichtige Rolle gespielt haben dürften. Als problematisch empfindet jeder Zweite die hohe Arbeitsbelastung. Immerhin 44 Prozent halten ihre Arbeitszeit für zu lang. 43 Prozent gaben an, länger als 50 Stunden in der Woche zu arbeiten,

davon 7,3 Prozent sogar mehr als 70 Wochenstunden. Dabei dürfen diese Angaben zu den Arbeitszeiten nicht mit den Stundensätzen verwechselt werden, die dem Kunden in Rechnung gestellt werden können.

Neben der Tätigkeit für den Kunden müssen sich die Selbständigen vor allem fachlich auf dem Laufenden halten, was in diesen schnelllebigen Branchen überlebenswichtig ist. Hier wurde der größte Weiterbildungsbedarf angemeldet. Auch aus den steuerlichen und juristischen Fragen, mit denen Selbständige konfrontiert werden, resultiert Schulungsbedarf. Viele Befragte benannten gleich ein ganzes Bündel an Aspekten. 60 Prozent der Befragten gaben an, Unterstützungsangebote zu kennen. Doch Zeitmangel, die hohen Preise der vorhandenen Angebote und schlechte Erfahrungen verhindern oft, dass solche Angebote in Anspruch genommen werden. In Gesprächen wurde zudem kritisiert, dass zwar mittlerweile sehr viele Angebote für Existenzgründer bestehen, aber im Fall der Selbständigen, welche die Gründungsphase hinter sich gelassen haben und „klein“ bleiben wollen, eine Beratungslücke klafft.

„Mein eigener Chef wollte ich schon immer sein, also warum nicht sofort nach dem Studium“, meinte Frank Hilliger und gründete 1998 das Softwareunternehmen C/S Sol Client/Server Solution GmbH in Wächtersbach. Dazu nahm er sich einen starken Partner ins Boot: Siegfried Czakay, Inhaber der ctc Computertechnik GmbH, Anbieter von Spezialschulungen im Bereich Unix, Softwareentwicklung und Netzwerk-Management, lieferte das Startkapital und das betriebswirtschaftliche Know-how. Neben der Personalrekrutierung hilft er bei der Preisgestaltung, beim Vertrieb und beim Markteintritt. Der Deal: Die ctc hält 50 Prozent des neuen Unternehmens und somit auch des Unternehmenserfolges. Die Investition lohne sich, meint Czakay. Auch Hilliger ist zufrieden: „Für mich war es wichtig, jemanden zu haben, der einen an die Hand nimmt. Außerdem brauchte ich mir keine Sorge über zu wenig Aufträge machen.“ Kennen gelernt haben sich

die beiden Partner während eines Praktikums, das der damalige Informatikstudent Hilliger 1995 bei ctc absolvierte. Der kluge Kopf fiel auf und passte in die Vision des Mathematikers Czakay: einen Betrieb aufzubauen aus Kleinunternehmen, die bis zu 20 Mitarbeiter haben und Spezialdienstleistungen anbieten. Gewusst wie – die richtig gewählte erste Hilfestellung kann die Einstiegsprobleme der Marktneulinge abfedern: „Das Problem vieler Existenzgründer sind die fehlenden Referenzen“, hat IAT-Mann Vanselow beobachten.

Um Aufträge erfolgreich zu akquirieren, müssten sie ihren Kunden vorweisen können, dass sie ein Projekt bereits erfolgreich zu Ende gebracht haben. Zudem müssten die Jungunternehmer die ökonomischen Zahlen im Griff haben und den Markt richtig einschätzen können. Genau daran mangelt es nach den Erfahrungen des Sponsors Czakay so manchen Existenzgründern. Viele hätten zwar guten Ideen, könnten aber nicht einschätzen, ob diese auch verkaufbar sind. Die meisten Kleinunternehmer greifen auf lokale Netze zurück und arbeiten mit Leuten zusammen, die sich untereinander kennen. Auf diese Art und Weise werden auch die ersten Kundenkontakte geknüpft. In diesen Strukturen sind weniger die großen Marketing-Kampagnen als gut funktionierende Beziehungsgeflechte wichtig, so die Gelsenkirchener Studie. Eine weitere Möglichkeit, Aufträge an Land zu ziehen, bieten die Projekt- und Internet-Börsen sowie die Zusammenarbeit mit Agenturen.

Denn viele Kunden arbeiten nicht gerne mit einzelnen Freiberuflern zusammen, sondern wollen zur Absicherung größere Ansprechpartner im Hintergrund haben.

Pia Bohlen

So denkt auch der 28-jährige Ulrich Louis, der sich mit seiner Louis Internet Agentur in Detmold selbständig gemacht hat und seit vier Jahren erfolgreich mit einem DV Unternehmen kooperiert. Louis konzipiert und programmiert Homepages, seine Kunden erhält er über seinen Kooperationspartner. Auch er arbeitet ausschließlich mit Freelancern aus der Region zusammen, um die Kosten bei Auftragsleerlauf im Griff zu haben – ein typisches Verhalten, wie die Umfrageergebnisse zeigen: Auch viele Freiberufler bevorzugen die Zusammenarbeit mit anderen Freien. Feste Mitarbeiter einzustellen wird oftmals als zu großes Risiko eingeschätzt, berichtet Vanselow aus der Studie. Das hänge aber auch davon ab, wie lange sich ein Unternehmen bereits am Markt halte und auf welche finanzielle Polster es zurückgreifen könne. Ein Dilemma, das den kleinen Firmen vor allem in der Startphase zu schaffen macht: Die potenziellen Auftraggeber scheuen sich, große Aufträge an

sie zu vergeben – so die Erfahrungen von Pia Bohlen, Mitinhaberin der Düsseldorfer Fullservice-Internet-Agentur Xbyte Online Communication, Bohlen & Mayen.

Eine zweite Hürde, die es in der Anfangsphase zu überwinden gilt: die Kunden vom Vorteil der neuen Technologien zu überzeugen. Viele – so Bohlen – glaubten immer noch nicht, dass sie mit einem guten Internet-Auftritt Geld erwirtschaften können, und seien deshalb sehr sparsam. Ein knappes Budget der Kunden und fehlendes Personal verhinderten zunächst das Wachstum von Xbyte. Also entschlossen sich die Jungunternehmer dazu, einen Schritt nach vorne zu wagen, und besorgten sich bei ihrer Hausbank und innerhalb der Familie eine Finanzspritze. Obendrein stellten sie weitere sechs Fachkräfte ein. Die Strategie ging auf. Heute überlegen sich die Düsseldorfer, welche Kunden für sie die richtigen Partner sind und zu ihren Geschäftszielen beitragen können. Ein wichtiger Schritt, den auch der erfahrene Unternehmer Czakay gegangen ist. „Unser Hauptproblem ist, unternehmerisch geschickt zu entscheiden, welche Aufträge wir ablehnen“,

erzählt Czakay. Dies entscheide er nach den strategischen Interessen seines Unternehmens und nicht allein nach der Frage der Rentabilität. Das sei ein bisschen wie Schachspielen.