Videokonferenz fürs Wohnzimmer

27.01.2010
Von 
Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 
Auf der Anwenderkonferenz "Cisco Networkers" in Barcelona präsentierte der Netzhersteller erstmals seine "Telepresence for Consumers".

Eine Collaboration-Welt ohne Video? Für Marthin De Beer, Cisco Senior Vice President Emerging Technologies und bekannt als Vater der Telepresence-Systeme, ist dies unvorstellbar. "Video ist wie Schokolade", umschreibt der Manager den Reiz der bewegten Bilder. Dabei ist für De Beer Video nach dem direkten Gespräch die zweitnatürlichste Art zu kommunizieren, "gleichzeitig lassen sich komplexe Sachverhalte mit einem Video schneller und effizienter erklären". Glaubt man De Beer, so werden 2013 etwa 90 Prozent des Internet-Verkehrs Video-Inhalte sein.

Zu diesem Aufkommen dürfte auch Cisco selbst beitragen, denn für eine weitere Verbreitung von Highend-Konferenzsystemen hat das Unternehmen jetzt auf der Networkers-Konferenz einen entscheidenden Schritt angekündigt: Es lizenziert sein Telepresence Interoperability Protocol gebührenfrei an andere Hersteller. Lifesize, Tandberg und Radvision haben bereits ihre Absicht bekundet, das Protokoll in Lizenz zu nehmen. Eine Entwicklung, die vor allem Enterprise-Anwendern entgegenkommen dürfte, die Videokonferenzen plattformübergreifend zwischen verschiedenen Unternehmen betreiben wollen.

Zusätzlichen Auftrieb könnte das Thema Videokonferenz durch eine Consumer-Variante von Ciscos Highend-System Telepresence erhalten. In Barcelona lüftete Cisco jetzt das Geheimnis und zeigte ein erstes Telepresence-Modell für das Wohnzimmer. Voraussetzung zur Nutzung der Videokonferenzplattform ist ein HDTV-Fernseher. Auf diesem wird eine HD-Kamera platziert. Die Netzlogik etc. findet Platz in einer Blackbox, die sich zu den anderen Settop-Boxen des digitalen Medienzeitalters gesellt. Die Präsentation machte einen guten Eindruck. Schon zeichneten sich Bilder ab, wie beispielsweise künftig Pressekonferenzen mit Partnern in den USA abends gemütlich im heimischen Wohnzimmer stattfinden statt im sterilen Büro. Doch De Beer riss den Chronisten unsanft aus seinen Träumen und holte ihn auf den Boden der Tatsachen zurück: "Die Home-Variante von Telepresence benötigt in beiden Richtungen eine Bandbreite von etwa 1,5 Mbit/s." Damit kommt die Plattform in der Breitbandwüste Deutschland derzeit nur für wenige VDSL- oder Kabel-TV-Internet-Nutzer in Frage, denn die typischen DSL-Angebote haben im Upstream noch eine zu niedrige Bandbreite.

Produkte in der Pipeline

Erweiterte Telepresence-Services: Als Ergänzung zu den Telepresence-Systemen offeriert Cisco gemeinsam mit Partnern Zusatzfunktionen wie den "Classroom of the future", der interaktive Lehrveranstaltungen erlaubt. Der "Active Collaboration Room" soll dagegen die Zusammenarbeit bei Videokonferenzen mit virtuellen Whiteboards oder Dokumentenkameras fördern. Für Produktvorführungen über größere Distanzen ist das "Remote Demonstration Center" konzipiert. Einen Concierge-Dienst via IP-Netz ermöglicht der "Live Desk". Per "Streaming Service" können Videokonferenzen auf mobile Endgeräte oder andere Videosysteme übertragen werden.

Telepresence 3D: Das holografische Videosystem befindet sich nach wie vor in der Entwicklungsphase. Cisco geht davon aus, dass es in drei bis fünf Jahren Marktreife erlangen könnte.

Content Pulse: Weiter ist das Unternehmen mit seiner Suchplattform "Content Pulse", die Inhalte (Video, Audio etc.) automatisch während ihrer Übertragung durchs Netz taggt und eine inhaltsbezogene Suche ermöglicht. Eine Roadmap soll in den nächsten zwölf Monate stehen.

25 Prozent weniger Energie

Dieser Problematik scheint sich auch De Beer bewusst zu sein: "Ich schätze das Potenzial derzeit auf etwa 50 Millionen Haushalte in den USA und Europa."

Offen ist zudem noch, welches Business-Modell Cisco bei dieser Telepresence-Variante verfolgt: Wird der Vertrieb nur über Service-Provider laufen, oder werden künftig "Videoconferencing-Kits" in den Regalen der Elektromärkte liegen?

Dessen ungeachtet stellte Cisco "zwei erweiterte Versionen" seiner Telepresence-Flaggschiffe 3000 und 3200 vor. Man könnte die neuen Systeme 3010 und 3210 auch als zweite Generation bezeichnen, denn sie sollen rund 25 Prozent weniger Energie verbrauchen und sich schneller installieren lassen. (hi)