Voraussetzungen sind IT-Integration und standardisierte Abläufe

Via Web strafft Babcock auch externe Prozesse

01.09.2000
Im Rahmen ihrer E-Business-Strategie wird die Babcock Borsig AG im kommenden Oktober einen globalen Online-Marktplatz für den Anlagen- und Maschinenbau eröffnen. Das Thema Online-Beschaffung hat beim Oberhausener Technologiekonzern bereits Tradition. Von Holger Eriksdotter*

Vor geschichtsträchtiger Kulisse in der Gebläsehalle eines ehemaligen Duisburger Stahlwerks verkündete Vorstandsmitglied Gisbert Rühl den Umbau des Unternehmens "von einem hardwaregetriebenen Maschinen- und Anlagenbauer zu einem Web-getriebenen Technologiekonzern". Nun will die Gesellschaft, die mit den Sparten Energietechnik, Schiffbau und technologische Spezialleistungen einen Jahresumsatz von etwa 14 Milliarden Mark erzielt, keineswegs ihr Kerngeschäft verlagern. Vielmehr geht es ihr darum, ihre Wertschöpfungsketten zu verändern; denn im Internet-Zeitalter liegt der Fokus laut Rühl nicht mehr auf dem Re-Engineering der internen Abläufe, sondern auf der Gestaltung von unternehmensübergreifenden Geschäftsprozessen.

Der zügige Ausbau von E-Business-Lösungen ist also, so der Babcock-Borsig-Vorstand, unabdingbar. 15 bis 20 Millionen Euro werde der Konzern dafür bis Ende 2003 ausgegeben haben - ohne die Entwicklungskosten des elektronischen Marktplatzes "E-Commerce for Engineered Components", kurz: EC4EC. Aber die geplanten Projekte werden sich nach Angaben des Topmanagers rechnen: Von 2003 an seien jährliche Einsparungen in Höhe von etwa 150 Millionen Euro kalkulierbar. Vor allem die Optimierung der Beschaffungs-, Engineering- und Fertigungsprozesse enthalte ein gewaltiges Sparpotenzial.

Dazu müssen die vielfältigen E-Business-Initiativen aber erst einmal ihre Wirkung entfalten. Derzeit befinden sie sich in unterschiedlichen Entwicklungsstadien - von der Konzeptionsphase bis zum konzernweiten Betrieb.

Sämtliche E-Business-Aktivitäten werden bei Babcock Borsig zentral gesteuert, aber üblicherweise dezentral umgesetzt. Ein vierköpfiges Team bildet den Kernbereich, dessen weiterer Ausbau und spätere Ausgliederung als Dotcom-Unternehmen geplant ist. Die wichtigsten Aufgaben dieser Organisation sind die Integration und Standardisierung aller E-Business-Aktivitäten, die Koordination und Zeitüberwachung der einzelnen Projekte, der Transfer von Wissen und Projekten in andere Geschäftsfelder sowie die Entwicklung marktfähiger Lösungen.

Der konzernweite Rollout von E-Business-Lösungen erweist sich oft als schwierig, was angesichts der heterogenen DV-Landschaft, zu der mehr als 200, häufig autark gewachsenen Tochterunternehmen beitragen, kaum verwundert. Eine tragende Rolle in der E-Business-Strategie des Konzerns spielt deshalb die Vereinheitlichung der DV-Landschaft.

In der Durchsetzung konzernweiter Standards sieht der für die IT-Infrastruktur verantwortliche Chief Information Officer (CIO) Lothar Dietrich folglich seine Hauptaufgabe. Eine homogene IT-Landschaft bildet seiner Ansicht nach die notwendige Grundlage für die Standardisierung der Geschäftsprozesse. So legt Babcock Borsig denn auch großen Wert darauf, dass die E-Business-Aktivitäten mit den Back-end-Systemen integriert werden.

In dieser Hinsicht setzt Dietrich auf Bewährtes: Im Zentrum der IT-Struktur soll künftig überall die Business-Software R/3 von SAP stehen, die bei vielen Konzerntöchtern auch schon installiert ist. Derzeit gibt es aber im Gesamtunternehmen noch mehr als 30 verschiedene ERP-Basissysteme. Bei der Auswahl von Komponenten ist eine Schnittstelle zur ERP-Software aus Walldorf unverzichtbare Voraussetzung.

Auch bezüglich der Betriebs- und Datenbanksysteme sowie bei den Front-Office-Anwendungen macht Dietrich keine Experimente: Mit Windows NT/2000, Unix, Oracle, dem CAD-System "Autocad", der Groupware-Plattform "Lotus Notes", dem "Office2000"-Paket sowie "Outlook" und "Internet Explorer" von Microsoft verlässt sich der CIO auf gängige und weltweit verfügbare De-facto-Standards.

Das Rückgrat der Konzernkommunikation bildet ein unternehmensweites Intranet mit personalisierbarer Oberfläche, das den Zugriff auf das Informationsangebot der Muttergesellschaft wie auf die Seiten der einzelnen Konzerntöchter erlaubt. Für eine bessere Kommunikation mit den Kundenunternehmen sollen "Extranet-Services" mit individuellem Informationszuschnitt sorgen. Ergänzt werden sie durch "Teleservices", eine hochverfügbare Serviceplattform, die der Erfassung und Weiterleitung von Anlagenbetriebsdaten - beispielsweise für die Fernwartung - dienen soll. Beide Projekte sind jedoch noch im Aufbau begriffen.

Zum Tragen kommt die Online-Strategie des Konzerns aber besonders bei der Beschaffung. Hier blickt Babcock Borsig auf eine sechsjährige Geschichte zurück: Seit 1994 ist das "Babcock Borsig Online Shopping System" (BBOSS) bei der Muttergesellschaft im Einsatz. Das Beschaffungssystem für C-Materialien wird von der Tochtergesellschaft Babcock Dienstleistungs GmbH (BDL) weiterentwickelt. Es basiert auf Lotus Notes, ist mittlerweile über einen Web-Browser bedienbar und verfügt über eine Standard-Schnittstelle für die SAP-Systeme R/2 und R/3. Der größte Einspareffekt ergibt sich hier nicht etwa aus den verringerten Beschaffungskosten - sie liegen nur sechs bis acht Prozent unter dem Ausgangswert. Signifikanter ist vielmehr die etwa 65-prozentige Senkung der Prozesskosten. Das System ist nicht nur bei vielen Konzernunternehmen im Einsatz, sondern wurde auch mehr als 40-mal an externe Anwender verkauft.

Ebenfalls seit 1994 versorgt das "Beschaffungs-Informations-System" (BIS) Einkäufer, Projektierer und die Qualitätsstelle mit allen für den Einkauf relevanten Informationen. Neben Datenbanken der Lieferanten, Bestellvolumina, Rahmenverträgen und Umsätzen können die Benutzer über Schlüsselwörter jedes Produkt mit dem jeweiligen Lieferanten und Einkäufer finden.

Für weitere Einsparungen soll ein Internet-Auktions-Tool sorgen, das sich derzeit in der Testphase befindet; Pilotversionen des Browser-bedienbaren Systems führten im Testbetrieb zu Preisreduzierungen von etwa zehn Prozent. Zusätzliche Kostensenkungen erwartet Babcock Borsig durch einen verringerten Prozessaufwand, der sich aber erst nach dem konzernweiten Rollout auswirken kann.

Auch bei der Optimierung der Engineering-Prozesse tut sich einiges: Ein interaktives und intelligentes "Konfigurator"-Tool soll den Kunden die Auswahl von Anlagenkomponenten erleichtern und die Anfrageprozesse vereinfachen. Es ist im Augenblick erst als Prototyp online. Von seinem Einsatz verspricht sich der Konzern kürzere Lieferzeiten und weniger Vielfalt bei den Teilen.

In einem aktuellen Kraftwerksprojekt kommt bereits das System "Virtual Reality" zum Einsatz. Es soll helfen, die Prozesse im Konstruktionsbüro um zehn Prozent schlanker zu machen, indem es die globale Kommunikation zwischen Planung/Konstruktion, Behörden, Lieferanten und Betreibern mit der Möglichkeit der 3D-Darstellung von Produkten, Anlagen und Komponenten verknüpft.

Zu höherer Transparenz und geringeren Prozesskosten führen soll auch ein System, das den kompletten Lebenszyklus von Wirtschaftsimmobilien - angefangen bei der Ausschreibung und Vergabe über das Projekt-Management bis zum Inter-Company-Handel - abdeckt. Mit diesem "Bau Team Portal" will Babcock Borsig ein Handelsvolumen von 2,4 Milliarden Euro abwickeln, was einem Marktanteil von 20 Prozent des Online-Bausektors entspricht.

Von vornherein eine kritische Masse erreichenDas ehrgeizigste E-Business-Projekt aber ist der virtuelle Marktplatz EC4EC. Nach den Worten des Vorstandsmitglieds Rühl werden sich weltweit kaum mehr als zwei oder drei Online-Börsen für die Engineering-Branche durchsetzen. Deswegen komme es nicht nur darauf an, zügig am Start zu sein, sondern vor allem darauf, starke Partner und gewichtige Teilnehmer zu finden. Nur so lasse sich von vornherein eine kritische Masse erreichen.

Die E-Business-Applikationen für die Online-Börse entwickelt die SAP-Tochter SAP Markets gemeinsam mit dem Softwareanbieter Commerce One auf der Basis der Mysap-Plattform von SAP. Gründungspartner für den Internet-Markt ist die MG Technologies AG, Frankfurt am Main, die bereits Erfahrungen mit einem ähnlichen Vorhaben ("Cheop") für die chemische Industrie gesammelt hat.

Die Entwicklung von EC4EC schlägt laut Rühl mit einem "mittleren zweistelligen Millionenbetrag" zu Buche. Dafür, dass diese Investition nicht in den Sand gesetzt wird, sprechen bereits vorliegende Anfragen einer Reihe anderer Unternehmen, auch aus den USA und dem europäischen Ausland. Der Babcock-Borsig-Vorstand ist optimistisch; bis zum Ende dieses Jahres will er 800 Teilnehmer gewonnen haben.

Mit Funktionen für die kooperative Produktentwicklung, für Ausschreibungen und Versteigerungen sowie für ein Lieferantenverzeichnis und ein Bulletin Board ist das System, das am 1. Oktober dieses Jahres an den Start gehen soll, technisch gut ausgerüstet. "Unser Marktplatz ermöglicht den Einkauf hochspezifischer Maschinen und Dienstleistungen mit intensivem Abstimmungsbedarf", erläutert Rühl. Er sieht gute Chancen, dass EC4EC einen nennenswerten Anteil an dem auf 800 Milliarden Dollar geschätzten Weltmarkt haben wird. Für Babcock Borsig rechnet der CIO schon im ersten Jahr mit Einsparungen in Höhe von 100 Millionen Mark.

*Holger Eriksdotter ist freier Journalist in Hamburg.

DER KONZERNIm Jahre 1898 von den Ingenieuren Alois Seidl und Robert Jurenka als Deutsche Babcock & Wilcox Dampfkessel-Werke Actien-Gesellschaft mit 51 Prozent englischer Beteiligung gegründet, wurde aus dem Oberhausener Kesselwerk in den 60er und 70er Jahren durch diverse Zukäufe ein großer Technologiekonzern. Vor etwa anderthalb Jahren änderte er seinen Namen - in Anlehnung an eine der großen Teilgesellschaften - von Deutsche Babcock in Babcock Borsig, um den globalen Anspruch zu untermauern. Mit etwa 200 Tochtergesellschaften in mehr als 100 Ländern ist der Konzern heute in den Kerngeschäftsfeldern Energietechnik, Schiffbau und technologische Spezialleistungen tätig, wo er im Geschäftsjahr 1999/2000 mit 37000 Mitarbeitern (davon 31000 in Deutschland) einen Umsatz von 14,8 Milliarden Mark erwirtschaftete. Größte Aktionäre des börsennotierten Unternehmens sind die Preussag AG mit 33 Prozent und die Westdeutsche Landesbank mit zehn Prozent der Anteile.

Abb: Genau genommen unternahm die damalige Babcock Deutschland AG ihre ersten E-Business-Aktivitäten 1994, als sie ein Lotus-Notes-basiertes System (heute unter der Bezeichnung BBOSS bekannt) für die Beschaffung von C-Teilen entwickelte. Quelle: Babcock