Kolumne

"Verwaschene Abziehbilder"

18.04.1997

Es läßt sich trefflich darüber streiten, welches Arbeitsmarktmodell das bessere ist - das deutsche oder das amerikanische. Stellt sich nur die Frage, ob uns diese Diskussion entscheidend weiterhilft.

Nach dem Motto: Während in Villariba noch über Arbeitszeiten diskutiert wird, verstärken in Villabacho schon längst neue Industrien das Wachstum. Einem Bericht des amerikanischen Wirtschaftsmagazins "Business Week" zufolge hat die IT-Branche in den letzten drei Jahren mit 27 Prozent zur Steigerung des Bruttoinlandsproduktes der USA beigetragen; 1996 sogar mit 33 Prozent. Ohne den High-Tech-Sektor wäre die amerikanische Wirtschaft nur um 1,8 Prozent gewachsen - trotz unreglementiertem Arbeitsmarkt auf nicht mehr als hiesigem Niveau also.

Diese Zahlen legen den Schluß nahe, daß die Diskussion um den Standort Deutschland von Thesen beherrscht wird, die kaum etwas zur Lösung der Wachstumsschwäche beitragen. Ein frühkapitalistisch organisierter Arbeitsmarkt ohne Kündigungsschutz, Tarifverträge etc. bringt uns nicht weiter. Der neueste Vorschlag der Gewerkschaften, die Wochenarbeitszeit auf 32 Stunden zu verkürzen, hilft allerdings ebensowenig.

Zugegeben, auch unsere Wirtschaftsbosse und Politiker wissen, daß mit überkommenen Industrien kein Staat mehr zu machen ist. Allerdings sind die Aktionen erbärmlich, die aus diesem Wissen resultieren. Als Beispiel mag das in der vergangenen Woche in Bonn abgehaltene G7-Treffen gelten, mit dem vor allem die mittelständische Industrie von den Segnungen der modernen Informationsgesellschaft überzeugt werden sollte. Weil sie offensichtlich zuwenig über diese Technologien und ihre Auswirkungen wissen, waren die Reden von Wirtschaftsminister Günter Rexrodt und DIHT-Präsident Hans Peter Stihl nicht mehr als verwaschene Abziehbilder früher amerikanischer Visionen. Doch Stihl und Rexrodt sind nicht die einzigen, die unzureichend über wachstumsträchtige Industrien nachdenken. Wenn in Umfragen unter Studenten herauskommt, daß fast 50 Prozent von ihnen in den Staatsdienst wollen, über 30 Prozent in der Großindustrie arbeiten möchten und nur 15 Prozent überhaupt darüber nachdenken, sich selbständig zu machen, ist es vielleicht vermessen, in Deutschland überhaupt noch mit Innovationen zu rechnen.