Professor Dr. Hans Peter Bull Bundesbeauftragter für den Datenschutz

Verwaltung zwischen Datennutzung und DatenschutzProfessor Dr. Hans Peter Bull Bundesbeauftragter für den Datenschutz

06.02.1981

Thesenpapiere erfreuen sich großer Beliebtheit. Thesen aufzustellen, dokumentiert Diskussionsbereitschaft. Thesen zu widersprechen, lockt sogar den Spezialisten. In den hier abgedruckten zehn Thesen bezieht der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Professor Hans Peter Bull, Stellung zum Fragenkonglomerat "Technisierte Verwaltung" - Entlastung oder Entfremdung des Menschen?". Vorgetragen wurden die Thesen auf der 22sten beamtenpolitischen Arbeitstagung des Deutschen Beamtenbundes in Bad Kissingen (8. bis 10 Januar).

1.

Art und Ausmaß der Nutzung von Daten (im weiteren und treffenderen Sinne: Informationen) durch die Verwaltung sind von der jeweiligen Verwaltungsaufgabe und den für ihre Erfüllung geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen abhängig. Die Beachtung des Datenschutzes - also des Schutzes von Rechten und Interessen betroffener Personen bei der Sammlung und Verwertung von Informationen - ist eine "Bedingung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns.

2.

Selbstverständlich darf nicht jede irgendwie erhältliche Information für jeden beliebigen Verwaltungszweck erhoben, gesammelt, von anderen Stellen angefordert oder durch Datenverarbeitung gewonnen werden. Wo die Grenzen zu ziehen sind, ist jedoch für viele Bereiche noch ungeklärt.

3.

Das Prinzip der Erforderlichkeit, eine zentrale Errungenschaft des Datenschutzrechts, bedarf der Konkretisierung in den verschiedensten sozialen Zusammenhängen. Hinter dem Grundsatz, daß nur die für den jeweiligen Zweck erforderlichen Informationen genutzt werden dürfen, steht das verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsprinzip. Einen weiteren rechtlichen Ansatz stellt das Prinzip der Zweckbindung dar. Dieses ist im Bundesdatenschutzgesetz noch nicht voll durchgesetzt und wird auch künftig nicht ohne Ausnahmen gelten können, aber die Tendenz zu seiner Realisierung ist stärker geworden, zuletzt auch durch internationale Vereinbarungen, an denen sich die Bundesrepublik beteiligt.

4.

Datenbestände müssen ebenso wie Entscheidungskompetenzen auf verschiedene Stellen der Verwaltung verteilt sein und dürfen nicht ohne weiteres zusammengeschaltet werden. Komplexe Datenverbundsysteme. sind besonders kritisch zu beobachten; sie bedürfen gesetzlicher Regelung.

5.

Inwieweit der Informationsbedarf der Verwaltung erfüllt werden kann, ergibt sich im einzelnen aus den verschiedensten Rechtsnormen über Ermittlungsbefugnisse von Behörden, Auskunfts- und Mitwirkungspflichten von Beteiligten und ausnahmsweise auch von Nichtbeteiligten, öffentliche und interne Register und Informationssysteme. Das Recht der Informationsbeziehungen weist aber noch erhebliche Lücken auf.

6.

Wie die Verwaltung ihre Informationsbeziehungen zum Bürger gestaltet, das darf nicht von der aktuellen oder geplanten technischen und organisatorischen Ausstattung her bestimmt werden. Die große Leistungsfähigkeit der

Informationstechnik darf zum Beispiel nicht dazu verleiten, sich durch Datensammlungen " auf Vorrat " für alle möglichen Bedürfnisse zu rüsten oder Sammlungen, die für bestimmte Zwecke angelegt sind, ohne weiteres für andere Verwaltungsaufgaben zu nutzen. Ziel der Verwaltungspolitik muß vielmehr die bürgernahe und bürgerfreundliche Informationsverarbeitung sein.

7.

Der Computer muß in menschliche Aktivitäten eingebunden bleiben; nicht etwa dürfen umgekehrt seine Eigenheiten die Informationsverarbeitung der Verwaltung bestimmen. So darf die dem Computer eigentümliche Fomalisierung von Informationen nicht auf die Informationsbeziehungen zwischen Verwaltung und Bürger durchschlagen. Soziale und rechtliche Beziehungen dürfen nicht auf ihre technisch darstellbaren Elemente verkürzt werden. Es ist auch zu vermeiden, daß durch die Ordnung von Informationssammlungen nach Durchschnittswerten und Häufigkeiten faktisch Anpassungszwang und Konformitätsdruck entstehen.

8.

Diese Überlegungen haben Folgen auch für die Gestaltung und Verwendung von Formularen. Wo keine Erfassung und Speicherung der Daten notwendig ist, bedarf es auch nicht der "computergerechten" Vordrucke. Wo es auf genaue Feststellung des Sachverhalts in seiner Besonderheit ankommt, sollte die Informationserhebung nicht starr vorstrukturiert seine es kann Fälle geben, in denen das Formalisierungsverbot zu einem Formularverbot wird.

9.

Während in der Öffentlichkeit der Eindruck vorherrschen dürfte als würden immer mehr Daten automatisch verarbeitet und stünden "auf Knopfdruck" für zahllose Verwaltungszwecke zur Verfügung, erklären Datenverarbeitungsexperten, die Ausbreitung der DV-Technik innerhalb der öffentlichen Verwaltung sei im wesentlichen beendet. Tatsächlich dürfte es nur noch wenige Verwaltungsaufgaben geben, die künftig zusätzlich zu den bereits ganz oder teilweise automatisierten Verwaltungsaufgaben hinzukommen könnten. Doch bestehen wahrscheinlich erhebliche Möglichkeiten einer Qualitätsveränderung mit Hilfe neuester Technik, so zumindest auf dem Fach der Dokumentation und der Dokumentation und der Datenfernübertragung- womit die weitere Verknüpfung von Datenbanken wahrscheinlicher wird. Die Diskrepanz zwischen öffentlicher Diskussion und Experteneinschätzung zeigt überdies, daß erst heute manche sozialen Probleme von größeren Gruppen der Bevölkerung aufgearbeitet werden, die von der Verwaltung selbst entweder seit längerer Zeit als gelöst betrachtet werden oder aber vernachlässigt worden sind.

10.

Aus all dem folgt, daß mehr Transparenz des Informationswesens unverändert nötig ist. Der Bürger hat Anspruch darauf, daß ihm deutlich und ernsthaft gesagt wird, zu welchen Zwecken Daten erhoben und verarbeitet werden sollen, und um der demokratischen und rechtsstaatlichen Entwicklung willen ist darüber hinaus unvermindert Aufklärungsararbeit der öffentlichen Verwaltung über ihr Informationswesen erforderlich. Die Verwaltung selbst sollte sich auch die Forderung nach Klärung rechtlicher Zweifelsfragen und gesetzlicher Entscheidung wesentlicher Probleme zu eigen machen.