Verteilte Verantwortung - Viele Köche verderben das System

20.07.1984

Wolfgang Schönfeld Geschäftsführer des Systemhauses GEI - Gesellschaft für Elektronische Informationsverarbeitung mbH, Aachen

Es gibt viele Wege zur modernen Informationsverarbeitung. Der Weg der Wege ist häufig dubios: Eine unbekannte Abkürzung ist oft der längste Pfad zum Ziel.

Schaut man sich beispielsweise die Beschaffungspraxis für EDV-Systeme in einigen Unternehmen an, so kann man dem Management einen gewissen Masochismus nicht ab sprechen. Da wird versucht, Problemlösungen möglichst gleichmäßig auf recht viele Lieferanten zu verteilen. Die CPU von x, die DFÜ von y, die Anwenderprogramme von z und die Peripherie von nebenan. Offenbar hat man da bei gewissen öffentlichen Förderungsprogrammen abgeguckt und treibt eine Art eigener Gießkannenpolitik. Ob das sozial gedacht ist, mag dahingestellt bleiben: Die Auswirkungen jedenfalls könnten ein Sozialplan für das eigene Unternehmen sein. . .

Übertragen wir diese Beschaffungspolitik der "verteilten Verantwortung" einmal auf einen anderen Bereich, sagen wir die Automobilbranche: Die Karosserie wird, weil sie so platzsparend ist, von einem Hersteller aus Wolfsburg geliefert, dazu kommt als Motor ein Sechstakter aus Stuttgart. Die Lieferanten garantieren die Funktionstüchtigkeit ihrer Produkte und haben beste Referenzen. Die Schnittstelle ist durch "Vierganggetriebe" genauestens charakterisiert. Kleinere Anpassungsarbeiten übernimmt die eigene Spezialabteilung, die den Ölwechsel für den gesamten Fuhrpark ja auch hervorragend meistert. Was kann also noch schiefgehen? Froh erwartet das Management das schnellste Auto mit dem geringsten Raumbedarf - und wird lange warten.

Denn die Rechnung geht nicht auf. Bei den Mobilisten genausowenig wie in der Informationstechnologie. Die Folge solch kongenialer Praktiken sind nämlich unüberschaubare Aufwendungen für Anpassungen und Abstimmungen aller Art bei gleichzeitiger Unlust aller Liferanten, auch nur die geringste Verantwortung für ein irgendwie geartetes Funktionieren des Gesamtsystems zu übernehmen.

Notwendiger Blick über den Tisch

Natürlich hat der gut reden, der bei Null anfangen, in den EDV-jungfräulichen Betrieb eine reinrassige Anlage setzen kann und auch noch genau die richtige Software von der Stange findet. Nur: Wo gibt es so etwas? Und selbst wenn man quasi bei Null anfangen könnte, so kennt jeder Eingeweihte die Ambivalenzen: Der Rechner von xyz ist genau das, was wir brauchen. Aber der Drucker! Und die Platten sind zu klein und zu teuer. Dann doch lieber die großen und preiswerten! Aber das ist erst der Anfang. Je komplizierter die Systeme, desto komplexer die Probleme. Kassenterminals an dieses ausfallsichere System? Gibt's nicht! DFÜ von Rechner x an Rechner y? Unmöglich, sagt Hardwareproduzent x, aber könnten sie Rechner y nicht gegen Rechner Super-x austauschen? Natürlich kostet der mehr, aber doch nicht viel! Und schon hat wieder ein Verkäufer den Fuß in der Tür und weigert sich hartnäckig, einzusehen, daß mit der Verschrottung von Rechner y auch System- und Anwendungsprogramme als geistiger Sperrmüll anfallen.

Bei all diesen Problemen bleibt unklar, weshalb man hierzulande nicht den einfachen Weg geht: Warum wälzt man seine Probleme nicht auf ein Systemhaus ab, das sich dann gefälligst um das Zusammenspiel von Hard und Soft, von Hard-x und Hard-y und alle Potenzen dieser Aufgaben zu kümmern hat? Aus welchem Grund guckt man nicht wenigstens in diesem Punkt über den Teich und praktiziert, was in L. A. und Frisco schon vor Jahren erkannt wurde?

Namen sind Schall und Rauch

Sicher gibt es auch bei den Systemhäusern einige, die äußerst aggressiv akquirieren. Manche Würste, nach denen eifrig geschnappt wurde, liegen später schwer im Magen. Und mancher Anbieter, der stolz den Namen Systemhaus führt, stellt sich beim näheren Hinsehen als System-Doppelgarage heraus. Aber das sind Randerscheinungen, Untypisches, mit dem sich jede Branche herumplagen muß. Tatsache ist, daß es eine solide Schicht von Unternehmen gibt, die EDV-Systeme besser planen, konfigurieren, entwickeln können, als das die Hardwareproduzenten vermögen. Ganz einfach deshalb, weil sie Hardware verschiedenster Hersteller kennen und ständig damit arbeiten. Weil sie nicht auf ein spezielles Namensschild spezialisiert sind, sondern auf spezielle Probleme.

Die Rollen neu verteilen

Auf dem deutschen Markt wird dieses Spezialistentum noch zu zögernd honoriert. Viele Energien werden verschlissen, indem man Unternehmen Leistungen abverlangt, die sie gar nicht bieten können. Und nur deshalb dann doch anbieten, weil das für sie die einzige Chance ist, den Auftrag zu bekommen. Aus diesem Zwang heraus beginnen die Fehler schon vor der Auftragsvergabe, wenn nämlich Leistungen "gepreist" werden. Der Verkäufer kennt sie so wenig, daß er nicht einmal näherungsweise den Aufwand dafür schätzen kann. Später führt das zu Überziehungen, Nachforderungen, Verzögerungen. Der Dumme ist dann oft die EDV-Abteilung, die den Karren aus dem Dreck ziehen muß.

Die EDV-Welt ändert sich rasch und wird zunehmend vielfältiger. Ebenso das Spezialistenwissen und die Strukturen, innerhalb derer Fachleute gewinnbringend arbeiten können. Das sollte bei Ausschreibungen bedacht werden, in denen die Hardwareproduzenten heute noch die Rolle spielen, die die Hardware schon seit zehn Jahren nicht mehr spielt.