Interview

"Verteilte Server führen zum Informationschaos"

25.09.1998

CW: Wodurch unterscheidet sich Oracles Enterprise-Strategie vom Ansatz Microsofts?

Ellison: Durch Wirtschaftlichkeit, Zuverlässigkeit und Sicherheit. Vor kurzem hat mir ein Verantwortlicher bei Burger King erzählt, er implementiere Microsofts "SQL Server" in sämtlichen Filialen, weil diese Datenbank sehr viel billiger sei als die von Oracle. Das stimmt so nicht. Abgesehen davon, daß unser Produkt ebenso kostengünstig ist, spielt dieser Umstand keine wirklich entscheidende Rolle. Vielmehr gilt: In einer einfachen Hamburger- Filiale sollte keine Datenbank stehen. Es ist keine gute Idee, komplexe Server-Software auf alle Filialen eines Unternehmens zu verteilen. Die heute existierenden Desktop-Applikationen sind ohnehin schon kompliziert genug. Kleine PC-Server kosten auf den ersten Blick nicht soviel wie starke Unix-Server, die Haltungskosten sind allerdings genauso hoch.

CW: Und in strategischer Hinsicht?

Ellison: Wenn Burger King nicht in jede Filiale einen Server stecken und statt dessen einen vernünftigen Web-Zugriff auf einen zentralisierten Oracle-Server bieten würde, ließe sich mühelos folgende Frage beantworten: "Wie viele Hamburger haben wir in der letzten Stunde weltweit verkauft?" Mit der derzeitigen Strategie der verteilten Server kann man das nicht zufriedenstellend herausfinden, weil Hunderte oder gar Tausende Datenbank-Server durchsucht und die Daten analysiert werden müßten. Das würde unweigerlich zu einem Informationschaos führen. Was Anwender brauchen, sind verteilte Zugriffsmöglichkeiten auf das Web und nicht verteilte Datenbanken oder verteilte Komplexität, zumal die Web-Lösung wesentlich einfacher administriert werden kann. Die Wirtschaftlichkeit des Web ist überwältigend, die Server sicher, und Informationen lassen sich leichter finden. Microsofts Vision mit unzähligen PC-Servern führt hingegen zu isolier- ten Informationsinseln. Nicht nur, daß unser Ansatz letztlich zehnmal kostengünstiger ist, der wahre Nutzen liegt in der besseren Beschaffung der benötigten Informationen. Web-Everywhere wird bald NT-Everywhere überflügeln.

CW: Zu Ihrer neuen Strategie mit "Oracle 8i" gehört ein eigenes Dateisystem, das Applikationen völlig unabhängig vom Betriebssystem machen soll. Datenbanken eigneten sich in der Vergangenheit allerdings kaum als starke File-Server. Was hat sich verändert?

Ellison: Nun, einerseits sind die Prozessoren schneller geworden. Außerdem ist das datenbankeigene Ein-Ausgabe-System für die Geschwindigkeit verantwortlich. Datenbanken verwalten Files heutzutage schneller als Dateisysteme.

CW: Also gibt es künftig womöglich keine Unterschiede mehr zwischen Datenbanken und Datei-Servern?

Ellison: Meinetwegen nicht. Es wird immer schwieriger, die benötigten Informationen auf PCs zu finden. In dieser Hinsicht stimme ich Bill Gates voll und ganz zu, der sagt, alles sollte in einer Datenbank aufgehoben werden. Mit Oracle 8i bringen wir ein Internet-File-System, das es ermöglicht, einen Ordner auf dem Desktop per Drag and drop in ein anderes Verzeichnis zu ziehen. Der Ordner befindet sich dabei auf einem Laufwerk mit der Oracle-Datenbank. Dort läßt sich dieses Verzeichnis von allen anderen Anwendern nutzen und darüber hinaus professionell verwalten und sichern.

CW: Vor nicht allzu langer Zeit gehörten Sie zu den Fürsprechern des Client-Server-Computings. Heute propagieren Sie das Internet-Computing. Weshalb dieser abrupte Sinneswandel?

Ellison: Client-Server setzt einen Server voraus, der zusammen mit einem Client in einem Local Area Network (LAN) fungiert. Mainframes und Terminals hingegen ermöglichen den Datenzugriff auf der gesamten Welt via Wide Area Network (WAN). Client-Server ist tot, weil dieses DV-Konzept WANs nicht effizient genug unterstützt. Client-Server wurde speziell für LANs entwickelt. Der große Nutzen, den uns das Web bringt, ist die Effizienz dieser WANs. Nun können wir auf das Beste zweier Welten bauen - ein großartiges Benutzer-Interface, tolle Entwicklungsumgebungen, billige Hardware und den Zugriff von jedem Ort auf der Welt.