IT im Handel/Neue Software bringt Logistik voran

Versandhaus Otto optimiert Warenlager

30.07.2004

Ein Ausbau des Kommissionierlagers im Distributionszentrum Haldensleben war ausschlaggebend dafür, dass der Versandhandelskonzern Otto GmbH & Co. KG eine Softwarelösung eingeführt hat, die seine logistischen Prozesse weiter verbessern und verfeinern sollte. Ziel war, die Anzahl der auf einer einzigen Tour eingesammelten Artikel zu erhöhen, obwohl die Wege im Lager weiter geworden waren. Dabei stieß die intern entwickelte Lösung an ihre Grenzen. Anders die Software "Orion-Pi" des Münchner Softwarehauses Axxom, zu deren Einführung Otto sich 2002 entschloss. Mit Hilfe eines Optimierungsalgorithmus veränderte sie die Auftragsreihenfolge so, dass die Zahl der eingesetzten Kommissionierwannen deutlich reduziert werden konnte.

Rund 200000 Bestellungen mit jeweils durchschnittlich drei Positionen gehen täglich im Distributionszentrum Haldensleben ein. Zusammengefasst werden sie in Serien beziehungsweise Batches zu 800 Sendungen. Die einzelnen Positionen innerhalb eines Batchs werden bei der Kommissionierung zunächst gemeinsam in die Kommissionierwannen gepackt, um dann in der Packerei mit drei Hochleistungs-Sortiermaschinen den einzelnen Kundensendungen zugeordnet zu werden. Die derzeitige Picking-Crew von 200 Mitarbeitern je Schicht arbeitete bisher unter großem Zeitdruck. Mit der neuen Software wird die Arbeitszeit besser ausgenützt. Dazu werden die Sendungen bestmöglich auf die Batches verteilt. Je mehr Aufträge innerhalb des Batchs aus dem gleichen Bereich kommissioniert werden, desto höher ist der Füllgrad der Wannen und entsprechend kürzer die Kommissionierwege je Teil. Volumen und Gewicht der Artikel sowie spezielle Restriktionen werden jetzt bei der Kalkulation berücksichtigt.

Zusätzlich sorgt die Software für eine gleichmäßigere Auslastung der Ressourcen in Kommissionierung und nachgelagerter Packerei. Voraussetzung hierfür ist eine möglichst konstante Artikelanzahl pro Batch - die Software sorgt daher dafür, dass sowohl Kommissionierung als auch Packerei eine übergreifend verbesserte Abwicklungsmenge angeboten wird. Ergebnis: Die Wannenanzahl konnte um rund 20 Prozent reduziert werden. Dies führte zu einer deutlich geringeren Belastung des technischen Systems. Und: Durch die geringere Tourenzahl - trotz der jetzt längeren Einzelwege - war eine Netto-Leistungsverbesserung in der Kommissionierung von drei bis fünf Prozent erreichbar. Wegen dieses Erfolgs wurde entschieden, die Lösung nun auch im Hamburger Distributionszentrum einzusetzen.

Mathe macht den Unterschied

Dass die neue Software solche Ergebnisse ermöglicht, liegt an dem patent-geschützten mathematischen Verfahren, auf dem sie basiert: kombinatorische Optimierung. Es ist eine Mischung aus exakten und genetischen Verfahren, Heuristiken und Suchbaumverfahren und funktioniert ähnlicher wie ein Schachprogramm: mehr Restriktionen bei der Suche nach der optimalen Lösung eines Planungsproblems zu berücksichtigen sind, desto schneller wird sie gefunden. Denn im Suchverlauf begrenzen diese den Weg zum Optimum. Solche Restriktionen sind bei Otto zum Beispiel vorgegebene Kommissionierwege in U- oder W-Schleifen sowie Serien beziehungsweise Batches, die im Rahmen bestimmter Grenzen gebildet werden.

Millionen von Positionen

Ein weiterer Vorteil der Lösung ist die Geschwindigkeit, in der die Software die jeweils beste Lösung ermittelt. Nur fünf Minuten benötigt sie für die zwei Millionen Positionen - zum Beispiel zur Zuteilung von Artikeln auf Kommissionierwannen oder Aufträgen auf verschiedene Regionallager -, und dies bei hochwertigen Ergebnissen. Gerade in der operativen Planung der Distribution spielt der Zeitaspekt eine wichtige Rolle, denn die Nachfrage ist von großer Dynamik gekennzeichnet. Folglich stehen für alle Softwareprozesse fest definierte und knapp bemessene Zeitfenster zur Verfügung - zum Beispiel x Minuten für die Prüfung des Zahlungsverhaltens der bestellenden Kunden und y Minuten für den der Kommissionierung vorausgehenden Bestandsabgleich.

Und auch für die Suche nach einer optimalen Lösung ist die Zeit begrenzt. Softwaresysteme mit exaktem Ansatz scheiden daher in der Regel aus, da sie häufig mehrere Stunden oder Tage dafür benötigen - sofern sie überhaupt in endlicher Zeit zu einem Ergebnis kommen - statt der paar Minuten, die im Distributionsalltag genügen müssen. Schneller kommt der heuristische Ansatz zum Ziel. Jedoch: Wer hier zur selbst programmierten Lösung greift, verschenkt Potenzial. Viele dieser Programme gehen wie Buchhaltungssysteme vor und realisieren Zu- und Abbuchungen. Die einzelnen Aktionen wie beispielsweise die Zuteilung der Artikel auf die Wannen oder die der Aufträge auf verschiedene Lager werden getrennt und nacheinander geplant statt gesamtheitlich. Ergebnis: mehrere Einzeloptima und noch mehr Sub-Optima - zum Beispiel halbleere Wannen, die durch das Lager rollen. Besser fährt man mit einer Lösung, die einen intelligenten, gesamtheitlichen Abgleich der Lösungsalternativen ermöglicht.

Nach dem erfolgreichen Einsatz von Orion-Pi in Haldensleben wurden noch weitere Distributionsprozesse unter die Lupe genommen. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage, wie sich die Zahl der Splittsendungen, also der Versand von zusammen bestellten Artikeln aus mehreren Lagern, deutlich reduzieren ließe. Der Hintergrund: Die Otto-Gruppe umfasst neben dem Otto Versand noch weitere Firmen im Konzernverbund, darunter Schwab, Heine und Bauer. Jede verfügt über ein oder mehrere Distributionszentren.

Lösung im Gesamtzusammenhang

Durch die Vielzahl an Lagerbetrieben und eine Zunahme an Sortimentsüberschneidungen erhöhte sich die Anzahl der Splittsendungen. Immer häufiger mussten die Bearbeitung eines Auftrags auf mehrere Distributionszentren verteilt und die bestellten Artikel getrennt an den Kunden verschickt werden. Folge: Eine deutliche Zunahme der Transportkosten. Ferner schwankte die Nachfrage stark, so dass nicht alle Artikel in der benötigten Menge zu jeder Zeit in jedem Distributionszentrum vorrätig waren.

Auch hier schaffte die neue Software Abhilfe. Die Suche nach der besten Lösung geschieht im Gesamtzusammenhang und nicht isoliert. Unter Umständen ist es vorteilhafter, einen Großauftrag zu splitten und aus verschiedenen Distributionszentren zu verschicken. So ist gewährleistet, dass der Bestand in allen Betrieben relativ gleichmäßig abgebaut beziehungsweise genutzt wird und mehrere kleinere Aufträge komplett aus einem einzigen Lager kommissioniert werden können.

Splittsendungen stark reduziert

Aber auch die restlichen Splittsendungen sollen noch verringert werden. Erreichbar wäre dies durch die richtige Auswahl von einzelnen Artikeln und Aufträgen zur Umfuhr zwischen den Distributionszentren. Die Kosten für den Transport einzelner Sendungsteile zwischen den Distributionszentren wären weitaus geringer als der getrennte Versand an den Endkunden.

Fazit: Otto ist zufrieden. Im Vergleich zu den bisherigen Ergebnissen ging die Zahl der Splitt-Sendungen in allen Distributionszentren um zehn Prozent zurück, zusätzlich konnten in Haldensleben die Kommissionierwannen um rund 20 Prozent reduziert werden. Otto kann auf das kostenspielige und kontinuierliche Aufrüsten von Fördertechnik und anderer Hardware durch bessere Nutzung der bereits vorhandenen Kapazitäten verzichten. (bi)

*Hans-Joachim Schröder ist Leiter Projektteam Konzernlogistik der Otto GmbH & Co. KG. in Hamburg.

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- Warum die neue Softwarelösung nun auch im Hamburger Kommissionierungszentrum eingesetzt wird.

- Warum eine selbst programmierte Lösung Potenzial verschenkt hätte.

- Wie hoch die Einsparungen für Transport und Verpackung bei Otto waren.