Vernuenftige Rationalisierung bedeutet: Aktivieren statt Amputieren

03.03.1995

Juergen Fuchs, Generalbevollmaechtigter der Ploenzke AG, Kiedrich

Der Begriff "Rationalisierung" kommt von Ratio, die Vernunft. Rationalisierung heisst also, Menschen vernuenftig machen - und dies auf vernuenftige Art und Weise. Informations- und Kommunikationstechnik (IuK-Technik) kann dabei helfen, Menschen in den Unternehmen in diesem Sinne vernuenftiger und kompetenter zu machen, zum Beispiel:

- den Bankberater, der jetzt einen Kleinkredit in zehn Minuten seinem Kunden auszahlen oder eine komplexe Baufinanzierung mit allen steuerlichen Konsequenzen fuer seinen Kunden in Alternativen durchrechnen kann, sogar mit seinem Laptop im Wohnzimmer des Kunden;

- den Verkaeufer von Werkzeugmaschinen, der im Buero seines Kunden in Hongkong die Aenderungswuensche auf seinem Laptop grafisch zeichnen, im Zentralrechner in Frankfurt berechnen und sofort ein Angebot mit verbindlichen Preisen und Terminen ausdrucken kann;

- den Schadensregulierer einer Versicherung, der am Unfallort auf seinem PC die beschaedigten Teile in der Explosionszeichnung des Kundenautos markieren, ein Regulierungsangebot ausdrucken und dem Kunden sofort einen Scheck ueberreichen kann.

Diese und viele andere Menschen handeln vernuenftig, weil sie viele buerokratische Blindleistungen in Unternehmen vermeiden. Sie erbringen Dienstleistung "just in time". Sie dienen und leisten etwas im Hinblick auf ihre Kunden. IuK-Technik erleichtert und ermoeglicht diese vielgepriesene Kundenorientierung.

Leider haben viele, besonders Dienstleistungsunternehmen grosse Schwierigkeiten bei der Umgestaltung ihrer Geschaeftsprozesse, weil die Ablaeufe in Beton gegossen sind, in die Anwendungssoftware fuer die klassische Master-Slave-Architektur. Bei ihr liegen Informationen zentral auf dem Host als "Master" und erscheinen draussen auf dummen Bildschirmen, den "Slaves" - mit dem Menschen als "Be-Diener". Er dient dem Computer und wird durch die Software "dressiert", vordefinierte Taetigkeiten zu verrichten, die sich das Management und die Organisatoren ueberlegt haben. Diese Masters denken, die Slaves bedienen, und der Kunde hat als derjenige, der am Ende der Wertschoepfungskette steht, das abzunehmen, was sich der Produzent fuer ihn ausgedacht hat.

Heute spueren wir aber eine Renaissance der Kunden. Satelliten, Fax, Telefon und Computernetze haben ihn kundig gemacht. Er hat sich erkundigt und gibt jetzt Kunde - per Fax oder Telefon. Er gibt der Bank eine Wertpapier-Order, kurz einen "Befehl".

Die IuK-Technik ist Ausloeser der Marktdynamik, die den Konzernbuerokratien zu schaffen macht, die sich auf Kosten der Kunden und zu Lasten der Mitarbeiter entwickelt haben. Informations- und Kommunikationstechnik kann aber auch intern die Loesung sein - um die Mitarbeiter kundig zu machen. Sie entwickeln sich dann von "Be-Dienern" zu "Be-Nutzern", die den Computer nutzen, um ihren Kunden Dienste zu leisten.

Dazu muessten sie sich aber auch aus den Faengen der Master-Slave- Organisation und -Architektur befreien. Client-Server- Architekturen machen es moeglich: Der PC ist der Client, das heisst der Kunde. Das Rechenzentrum ist der Server, der Dienstleister. Auch der Chef bekommt jetzt Kunden: seine Mitarbeiter. Er wird auch zum Dienstleister. Er dient seinen Mitarbeitern und leistet etwas im Hinblick auf sie, damit sie gut und viel "Dienst" an ihren Kunden "leisten" koennen.

Er rationalisiert quasi seine Mitarbeiter, damit sie mehr vermoegen und bei ihren Kunden fuer das Unternehmen viel verdienen: Dann koennen sie auch selbst mehr verdienen. Die wirklich vernuenftigen Chefs machen den Menschen Mut, etwas zu unternehmen - als Unternehmer im Unternehmen, also ueber sich selbst, aber auch ueber sie selbst hinauszuwachsen.

Unser Streben nach Sicherheit und Ordnung hat zu Strukturen und Fremdsteuerungsmechanismen gefuehrt, die die Kreativitaet, Initiative und Eigenverantwortung des einzelnen laehmen. Wir brauchen wieder Fitness, und zwar fuer die Kunden. Vier Uebungen sind deshalb angesagt:

- Die Kunden ins Unternehmen holen; das heisst: Kundenorientierung auch durch interne Kunden-Lieferanten-Beziehungen und Reduzierung aller Leistungen, die nicht honoriert werden.

- Freizuegigkeit der Information auch innerhalb der Unternehmen; das Prinzip Offenheit (mitteilen statt abteilen) ist durch IuK- Technik zu unterstuetzen. Der Computer wird vom Job-Killer zum Job- Knueller.

-Leistungsprinzip und Wettbewerb muessen auch innerhalb des Unternehmens stattfinden. Die Arbeitskraft darf nicht laenger durch starre Strukturen und unflexible Tarifsysteme dem marktwirtschaftlichen Prinzip entzogen werden.

- Flexibilitaet und stetiger Wandel muessen zum Gestaltungsprinzip der Unternehmen erhoben werden. Gefordert sind: Flexibilitaet der Strukturen, Maschinen, Arbeitszeiten, der Entlohnungssysteme und - last, but not least - der Menschen.