Spekulationen um Reintegration oder Verkauf der IT-Service-Tochter

Verliert Siemens die Geduld mit SBS?

25.06.2004
MÜNCHEN (wh) - Nach dem überraschenden Abschied von Bereichsvorstand Paul Stodden sorgen sich Mitarbeiter um die Zukunft von Siemens Business Services (SBS). Im Zusammenhang mit der geplanten Regionalorganisation der Siemens AG rechnen Insider mit tief greifenden strukturellen Veränderungen. Auch eine teilweise Wiedereingliederung des IT-Dienstleisters in den Konzern scheint nicht mehr ausgeschlossen.

"Wir befürchten, dass SBS auseinander gerissen werden könnte", kommentiert Michael Leppek von der Münchner IG Metall den Wechsel an der Unternehmensspitze. In einer knappen Personalmeldung teilte die Siemens AG vergangene Woche mit, Stodden werde SBS verlassen und bereits zum 1. Juli den Vorstandsvorsitz des Stuttgarter Mobilfunkdienstleisters Debitel AG übernehmen. Seine Nachfolge tritt Adrian von Hammerstein an, bislang Chef des japanisch-deutschen Gemeinschaftsunternehmens Fujitsu-Siemens Computers (FSC).

Stoddens Entscheidung, zu gehen, stehe in Zusammenhang mit dem geplanten Umbau des bisher dezentral organisierten Inlandsgeschäfts der Siemens AG, berichten Mitarbeiter. Dies könne bedeuten, dass SBS deutlich kleiner werde und als eigenständige Gesellschaft an Bedeutung verliere. Für den karrierebewussten Stodden sei diese Perspektive nicht akzeptabel gewesen. In einer neuen Regionalorganisation für Deutschland fasst Siemens zum 1. Oktober Vertrieb und Service aller Konzernsparten zusammen. Damit sollen der Markt besser ausgeschöpft, aber auch "Kostensynergien" genutzt werden.

"Wegen der hohen strategischen Bedeutung dieser Einheit" übernimmt Zentralvorstand Johannes Feldmayer interimsweise die Leitung, so die offizielle Ankündigung.

Internen Quellen zufolge hätte Stodden nach der Reorganisation zwar weiterhin SBS-Chef bleiben können, allerdings unter veränderten Bedingungen: Zumindest was das deutsche Geschäft anbelangt, hätte der 56-Jährige künftig an den Chef der Regionalorganisation und damit an einen noch zu benennenden Nachfolger Feldmayers berichten müssen. Stodden selbst sei dieser Posten nicht angeboten worden.

Wird SBS integriert?

Welche Konsequenzen die Bündelung der Vertriebs- und Servicebereiche für SBS haben könnte, ist derzeit Gegenstand intensiver Diskussionen am Münchner Hauptsitz. Schon länger gibt es auf Konzernebene Überlegungen, den IT-Dienstleister oder Teile davon wieder in die Muttergesellschaft einzugliedern. Eine denkbare Option wäre die Reintegration des SBS-Vertriebs in die neue Regionalgesellschaft, ist zu hören.

"Wenn es so käme, wäre damit auch der Traum beendet, aus SBS mehr zu machen als nur ein Anhängsel der Siemens AG", urteilt Helmuth Gümbel von der Unternehmensberatung Strategy Partners. Aus seiner Sicht würde eine Reintegration aber kaum Vorteile bringen. So verringerten sich etwa die Chancen auf einen Verkauf des Dienstleisters.

Offiziell äußert sich SBS nicht zu derlei Spekulationen. Weder Stodden noch von Hammerstein waren zu einer Stellungnahme bereit. Inwieweit das Unternehmen vom Umbau der deutschen Siemens-Organisation betroffen sei, könne man noch nicht beantworten, erklärte eine Sprecherin.

Durchwachsene Bilanz

Trotz einiger Erfolge fällt die Bilanz Stoddens durchwachsen aus: "Er war ein verlässlicher Soldat, der sich dadurch ausgezeichnet hat, Dinge umzusetzen, die ihm aufgetragen wurden", resümiert Gümbel. Tatsächlich gelang es dem gebürtigen Kölner seit seinem Amtsantritt im Dezember 2001, die Profitabilität von SBS deutlich zu verbessern. Sein Vorgänger Friedrich Fröschl hatte ihm hohe operative Verluste hinterlassen. Für die erste Hälfte des laufenden Geschäftsjahres meldete er eine Umsatzrendite von drei Prozent. Kritiker monieren indes, Stodden habe diese Ergebnisse in erster Linie durch ein straffes Kosten-Management erreicht. Der viel beschworene Wachstumskurs sei dagegen nicht erkennbar.

"Die Probleme bei SBS sind schon länger bekannt", kommentiert Andreas Zilch vom Kasseler Marktforschungs- und Beratungshaus Techconsult. Dies betreffe nicht nur das Umsatzwachstum, sondern auch andere Finanzkennzahlen. Angesichts der anhaltenden Flaute im Beratungs- und Projektgeschäft setzt SBS ähnlich wie die Konkurrenz auf das Outsourcing-Segment. Dennoch sind Erfolgsmeldungen rar, "man hört sehr wenig", so Zilch. Auch die Hoffnungen, im Finanzsektor zu wachsen, beurteilt er kritisch: "Dort hat niemand auf SBS gewartet."

Vor diesem Hintergrund bezeichnet auch Berater Gümbel die Zukunftsperspektiven als "nicht besonders rosig. Die Chancen, dass aus SBS ein Weltklasse-Spieler im Servicemarkt wird, haben sich mit dem Personalwechsel sicher nicht verbessert."

Wie es mit dem IT-Dienstleister weitergeht, entscheidet letztlich der Siemens-Zentralvorstand. Doch die Meinungen im obersten Führungsgremium gehen auseinander und wechseln häufig - je nach Befindlichkeit der Mitglieder, wie interne Kritiker bemängeln. Die Optionen reichten vom Verkauf über eine teilweise Reintegration bis hin zu einer größeren Übernahme. Auch eine Fusion sei nicht auszuschließen. "Den Mitarbeitern fehlt ein klares Bekenntnis", klagt Gewerkschafter Leppek. Die Zukunft von SBS sei noch immer ungewiss.

Das könnte sich bald ändern. Angesichts der zahlreichen Baustellen im Siemens-Konzern rechnen nicht wenige mit größeren Veränderungen noch in diesem Jahr. Selbst der Zentralvorstand sei davon nicht ausgenommen. Gümbel: "Da bleibt kein Stein auf dem anderen."

Paul Stodden

- geboren 1947 in Köln;

- Ausbildung zum Maschinenschlosser;

- Studium Informatik und Betriebswirtschaft an der Universität Siegen;

- 1974 Vertriebstätigkeit bei IBM Deutschland;

- 1980 Wechsel zu General Electric, 1982 bis 1987 Leiter Medical Systems in Deutschland;

- 1987 Wechsel zu Siemens Medizintechnik, Bereich Vertrieb;

- 1996 Leiter der Siemens IT Service GmbH;

- April 2000 bis November 2001: CEO des Gemeinschaftsunternehmens Fujitsu-Siemens Computers (FSC);

- Dezember 2001 bis Juni 2004: Vorsitzender des Bereichsvorstands von Siemens Business Services (SBS).