Verkehrte Welt

03.07.1987

Die Marketing-Manager der DV-Branche reden nur ungern darüber: OSI wird heute von den Herstellern noch kaum unterstützt. Es gibt so manche, die meinen, sie hätten seit langem ausgereifte Produkte für transaktionsorientierte Datenverarbeitung, da käme es (für den Anwender) auf "Open Systems Interconnection" nicht an. Und im übrigen gäbe es Gateways zu, SNA, das als De-facto-Standard anerkannt wird. Der IBM selbst ist OSI natürlich so egal wie die Portabilität im Unix-Lager.

Verkehrte DV-Welt: Während Nixdorf, Siemens, DEC, Tandem, Unisys, Hewlett-Packard, Wang, Bull, ICL, Ericsson, NCR und Philips auf der einen Seite auf jede Kritik an ihrer eigenen OSI-Schaukelpolitik mit äußerster Aggressivität reagieren (der Kolumnist kann ein Lied davon singen), nehmen sie auf der anderen Seite, widerspruchslos hin, daß die Netz-Standardisierung durch den Mainframe-Monopolisten IBM ständig weiter ausgehöhlt wird.

Bei so viel OSI-Scheinheiligkeit drängt sich die Frage auf: Sind die IBM-Wettbewerber so dumm, oder tun sie nur so? Zugegeben: Es muß die großen Anwender-Unternehmen und Netz-betreiber nicht interessieren, wie sich die Nicht-IBM-Anbieter ihr eigenes Grab schaufeln. Es sollte sie aber sehr wohl interessieren, wer ihnen (SNA-)Sand in die Augen streut.

Verkehrte DV-Welt: Transaction Processing war lange Zeit IBMs Sache nicht. Die Super-duper-Ankündigung im SNA- und 9370-Bereich (Seite 1) steht doch nur dafür, daß sich die IBM auf ihre Communications-Hausaufgaben besinnt, Connectivity und Ease-of-Use in der 370-Welt verspricht, ohne schon etwas vorweisen zu können. Tandem etwa, aber auch Nixdorf (Targon) und DEC sind eindeutig weiter, können handfeste Ergebnisse vorzeigen. Wer das leugnet, heuchelt.

Der IBM nahestehende Analysten werden einwenden, Big Blue sei stets ein Transaction-Processing-Anbieter par excellence gewesen. Schon ein Beispiel zeigt, daß solche Behauptungen haltlos sind. Die Schwäche von Mother Blue im einschlägigen Markt (der verteilten Systeme) wird sofort klar, wenn man an das System 8100 denkt: Da geisterten vor ein paar Jahren Meldungen wie "8100 für Endbenutzer zu anspruchsvoll" durch die DV-Fachpresse - die Geschichte endete, wie wir wissen, mit einem Begräbnis erster Klasse.

Heute ist die Situation der IBM eher schlechter als zu den Zeiten des Systems 8100. Kein Wunder: Die Altlasten der 370-Architektur sowie der diversen inkompatiblen Betriebssysteme (VSE, MVS/SP, MVS/XA, TPF) und Kommunikations-Subsysteme (VTAM etc.) sind mittlerweile ins Unermeßliche gestiegen - man frage Softwerker, die in derartigen Umgebungen interaktive Anwendungen entwickeln (müssen).

Um so erstaunlicher: Die deutsche Lufthansa, ein Betrieb des Bundes, hat sich im Verein mit drei weiteren europäischen Airlinern für Transaction Processing nach Art der blauen IBM entschieden - gewiß ein Prestige-Erfolg für den Mainframer. Dem Marktführer bietet sich damit obendrein die einmalige Gelegenheit, von all seinen TP-Mißerfolgen abzulenken, vom Trauerfall 8100 (siehe oben) oder vom Bildschirmtext-Debakel. Nur: Hat der Btx-Flop dem Computermulti geschadet? Wohl kaum. Das ist eine verkehrte Welt.