Verhaltensaenderung bei Mitarbeitern und Fuehrung noetig Nach der Abmagerungskur soll Arbeit erst recht Freude machen Von Guenter Damerau*

01.10.1993

Im Sinne von Lean Management mausern sich Workflow-Systeme zum Schlankmacher fuer die Organisation, weil komplexe Routine- und Massen-Vorgaenge automatisiert werden koennen. Software-Module zur Organisations-Modellierung, Vorgangs-Simulation, Vorgangs- Steuerung und Vorgangs-Ueberwachung wirken dabei als Werkzeuge zur Organisationsentwicklung zusammen.

Den Erfolg bestimmen im Praxisbetrieb die Anwender. Von deren aktiver Mitwirkung und Akzeptanz haengt es ab, ob die gewuenschten Nutzeneffekte eintreten. Doch das ist leichter gesagt als getan, denn fuer ein erfolgreiches Business-Re-Engineering sind Verhaltensaenderungen bei den Fuehrungskraeften und Anwendern noetig. Den Mitarbeitern muss auch nach der Abmagerungskur die Arbeit noch Freude machen.

Dieser Beitrag beschreibt die Herausforderung, vor der die Datenverarbeiter, Organisatoren, Betriebsraete und Manager stehen: Die strategischen, organisatorischen und sozio-oekonomischen Veraenderungen lassen sich nur gemeinsam gestalten.

Workflow-Systeme unterstuetzen und beschleunigen die papierlose Bearbeitung komplexer Vorgangsketten.

Workflow-Anwendungen stellen den Anwendergruppen zur richtigen Zeit am richtigen Platz automatisch die vorgangsrelevanten Daten, Archiv-Dokumente, DV-Anwendungen, Kommunika-tions- und Buerowerkzeuge zur Verfuegung. Workflow-Systeme entwickeln sich inzwischen zum integrierenden Element.

Mit "Work-Floh" huepft man von Maske zu Maske

Auch bisher hat es schon Grossrechner-Anwendungen zur vorgangsorientierten Sachbearbeitung gegeben. Der sogenannte "Work-Floh-Anwender" huepft dabei in funktions- und datenorientierten Anwendungen von Maske zu Maske. Diese "festverdrahteten" Vorgangs-Anwendungen verursachen einen erheblichen Programmieraufwand. Aenderungen sind sehr aufwendig, langwierig und werden deshalb oft zu spaet oder gar nicht durchgefuehrt. Starre, aufwendige und unkomfortable Loesungen gefaehrden aber die Akzeptanz bei den Anwendern.

Moderne Workflow-Anwendungen orientieren sich dagegen an Vorgaengen und Ergebnissen, sind anwenderfreundlich und flexibel. Grafische Editoren ermoeglichen eine komfortable Vorgangs-Modellierung. Statt DV-Know-how wird von den Workflow-Entwicklern vor allem Kreativitaet, Teamgeist und Organisationstalent gefordert. Die Organisationsentwicklung wird praxisnah unterstuetzt, denn Aenderungen sind schnell realisiert.

Wird damit die Abhaengigkeit von der zentralen DV gemildert? Diese Frage gibt den DV-Verantwortlichen vor dem Hintergrund der Down/Rightsizing-Welle allerdings auch Grund zu berechtigter Skepsis: Die Gefahr schwer integrierbarer Inselloesungen droht aus unkoordinierter Dezentralisierung.

Komfortable Workflow-Systeme zeichnen sich durch einen modularen Aufbau aus. Die Module unterstuetzen die Organisatoren, Entwickler, Anwender und Fuehrungskraefte bei ihren Aufgaben.

Der Organisator wird bei der Analyse, Modellierung und Simulation von Vorgaengen unterstuetzt. Varianten der moeglichen Vorgangsmodelle koennen simuliert und optimiert werden. So wird schon waehrend der Entwicklung von Workflow-Anwendungen klar, wie sich das Vorgangsmodell auf Durchlaufzeit, Kosten, Personalkapazitaet und Arbeitsbelastung auswirkt.

Die Vorgangssteuerung regelt automatisch den kompletten Vorgangsablauf. Hierfuer werden die Vorgangsschritte, Rollen, Kompetenzen, Termine, Ressourcen und die Informationen (Daten und Archivdokumente) fuer jeden geeigneten Fachvorgang festgelegt. Die Abwicklung von Routine-Vorgaengen wird automatisierbar und bleibt trotzdem flexibel.

Ziel sind flexible Misch-Arbeitsplaetze

Das Vorgangs-Controlling-Modul informiert ueber den Status waehrend der laufenden Vorgangsbearbeitung. Bei der Vorgangsverteilung werden Informationen ueber verfuegbare Ressourcen benoetigt. Soll/Ist-Vergleiche geben Hinweise auf Optimierungsmoeglichkeiten. Werden die geplanten Durchlaufzeiten und Arbeitsbelastungen aus der Modellierung in der Praxis eingehalten? Anregungen fuer Optimierungsmoeglichkeiten koennen aufgegriffen werden bevor Frustration entsteht.

Noch werden von manchen Personalraeten die Vorgangscontrolling- Funktionalitaeten mit Argwohn betrachtet und wegen moeglicher Leistungs- und Verhaltenskontrollen als Gefahr fuer die Mitarbeiter abgelehnt.

Diese Aengste muessen die Planer hinterfragen und gemeinsam mit den Personalvertretern individuelle Wege finden, wie das Vorgangscontrolling als Mittel zur mitarbeitergerechten Arbeitsverteilung zum Vorteil der Mitarbeiter genutzt wird. Neben der Vorgangszuteilung durch Fuehrungskraefte sollen folgende Ideen als Beispiele fuer eine mitarbeitergerechte und flexible Workflow- Organisation dienen - und durchaus zum Weiterdenken anregen.

Konventionelle Formen der Arbeitszuteilung fuehren haeufig bei den "zustaendigen" Bearbeitern zu Liegezeiten und Rueckstaenden. Ueberstunden "helfen" dort, wo die Ueberlastung offensichtlich wird. Starre Zustaendigkeitsregelungen, Spezialisierung und Arbeitsteilung erschweren den Ausgleich von schwankendem Arbeitsaufkommen.

Hier versprechen Workflow-Systeme Abhilfe: Sie bieten die Chance zu flexibler Arbeitsverteilung. Vorgangsbearbeitung wird nach dem Gedanken von "just in time" moeglich. Die Mitarbeiter koennen ihre Arbeitsbelastung und die Mischung ihrer Arbeit selbst aktiv beeinflussen.

Diese Vorgaenge warten in einem offenen Pool darauf, von interessierten Mitarbeitern zur Erledigung "aufgepickt" zu werden. Wissen, Neigungen, Erfahrungen, Interesse und Faehigkeiten der Mitarbeiter stehen bei diesem Verfahren im Vordergrund. Die Selbststeuerung und die flexible Gestaltung der Mischarbeit durch die Mitarbeiter wird unterstuetzt.

Pick-up: Die Arbeit aus dem Pool aufpicken

Die Vorgaenge werden vom "Vorgangsbroker" den geeigneten Mitarbeitern mit Nennung von Prioritaetsklasse und Termin zur Bearbeitung angeboten. Zuvor wird im Vorgangs-Controlling-System geprueft, ob deren "Vorgangsvorrat" eine termingerechte Erledigung verspricht. Der Mitarbeiter entscheidet dann, ob er den Vorgang annehmen moechte. Er uebernimmt also bewusst die Verantwortung fuer die termingerechte Erledigung.

Die Bearbeitungszeit fuer Routineaufgaben und Massenvorgaenge wird durch Workflow-Automation reduziert. Dies schafft Freiraeume und Zeit fuer anspruchsvolle Taetigkeiten, wichtige Aufgaben, Qualitaetssteigerung und fuer mehr Kundenorientierung.

Das Versprechen von Job-Enrichment und Job-Enlargement kann wahr werden, denn klare Rollen- und Kompetenz-Regelungen in Vorgangssteuerungs-Systemen bieten die Chance, Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung zu delegieren. Die Karrierechancen fuer leistungswillige Mitarbeiter lassen sich so durch Workflow- Anwendungen praktisch foerdern. Sogar leistungsorientierte Verguetungssysteme koennten damit unterstuetzt werden.

Bewusste Uebernahme von Verantwortung

Inzwischen haben Buerokommunikations-, Dokumentenmanagement- und Workflow-Systeme einen hohen Reifegrad erreicht. Die noetigen Funktionen zur Vorgangssteuerung und zum Vorgangscontrolling gehoeren in der Regel zur Standardausstattung. Die Integration von Methoden und Organisations-Engineering-Tools in Workflow-Systeme hat bereits konkrete Formen angenommen. Man kann nur wuenschen, dass diese Ansaetze weiterentwickelt werden. Immer mehr Anwender planen die Pilotierung und den Test mit dem Ziel einer stufenweisen Integration und Ausbreitung vorgangsorientierter Buerosysteme im Unternehmen. Die Planer und Manager sammeln waehrend der Pilotierung gemeinsam Erfahrungen zur Gestaltung von Veraenderungsprozessen, deren Erfolg primaer von der Mitwirkung der betroffenen Menschen abhaengt.

Rechtzeitig vor der Einfuehrung eines Workflow-Systems muessen sich deshalb alle Beteiligten im Unternehmen auf die neuen Anforderungen vorbereiten, um die Chancen nutzen zu koennen:

----Neue Moeglichkeiten der Gestaltung der Organisation und der Informatik wirken sich auf die Unternehmens- und DV-Strategien aus.

----Lean-Management, Lean-Production, Customer-Focus, Total- Quality-Management, Down/ Rightsizing und Geschaeftsprozess- Management erhalten durch Workflow-Systeme ein praktisches Unterstuetzungs-Werkzeug.

----Die Realisierung von Workflow-Systemen erfordert einen sehr hohen konzeptionellen und organisatorischen Aufwand. Die Datenverarbeitungs- und Organisations-Abteilungen muessen kooperieren.

----Workflow-Anwendungen koennen nur in enger Zusammenarbeit mit den an den Vorgaengen beteiligten Fachabteilungen erfolgreich modelliert werden.

----Das unuebersichtliche Marktangebot an Office-, Dokumentenmanagement-, Groupware- und Workflow-Systemen erschwert die Produktauswahl und erhoeht das Investitionsrisiko.

----Jedes Unternehmen muss aufgrund der vorhandenen Infrastruktur und der individuellen Anforderungen die passenden Komponenten mixen.

----Die Betriebsraete muessen bei der Planung fruehzeitig einbezogen werden, denn die Einfuehrung von Workflowsystemen stellt hohe Anforderungen an die Arbeitsgestaltung.

----Die Entscheider fordern fundierte Wirtschaftlichkeitsnachweise und erwarten eine konsequente Realisierung der Nutzenpotentiale.

Die Module eines Workflow-Systems wirken in einem Optimierungs- Regelkreis zusammen und koennen dabei die Organisationsentwicklung unterstuetzen.

Das Vorgangsmodell wird in der Simulation getestet, bevor es produktiv eingesetzt wird. Trotzdem werden im Praxisbetrieb immer wieder neue Ideen fuer die weitere Optimierung der Workflow- Anwendung entstehen. Die Ablauforganisation ist ein lebendes System, das sich schnell und flexibel den Entwicklungen des Marktes, des Unternehmens und der darin arbeitenden Menschen anpassen muss. Informationen und Anregungen fuer die Vorgangsoptimierung liefert das Vorgangs-Controlling-Modul. Das Modellierungs-Modul unterstuetzt wieder bei der Simulation, damit die Vorgangssteuerung schnell geaendert werden kann. In diesem Optimierungs-Regelkreis wirken die Workflow-Module zusammen, um die Organisationsentwicklung zu unterstuetzen.

Trotz bester Tool-Unterstuetzung bestimmt aber immer noch die Erfahrung und das Know-how der Planer die Qualitaet der Konzepte. Durch moderne rechnergestuetzte Werkzeuge gewinnen die Organisationsentwickler allerdings wertvolle Zeit fuer qualitative Gestaltungsaufgaben. Ideen und Aenderungswuensche werden einfach und schnell realisierbar.

Die Planer und Entwickler bestimmen auch bei Workflow-Anwendungen den Grad der Mitarbeiterorientierung. Die beste Organisation und Software ist nur so gut, wie sie von den Anwendern angenommen wird. Workflow-Anwendungen muessen die Anforderungen heterogener Arbeitsgruppen und komplexer Geschaeftsprozesse erfuellen und sind deshalb wesentlich schwieriger zu gestalten, als die bisherigen daten- und funktionsorientierten Anwendungen.

Sofern bei den Fuehrungskraeften die Faehigkeit und der Wille dazu vorhanden ist, koennten Fuehrungsmodelle unterstuetzt werden, die das Praedikat "management by joy" verdienen, weil motivierte und zielorientierte Mitarbeiter mit visionaeren Fuehrungskraeften erfolgs- und leistungsorientiert zusammenwirken.

Natuerlich fuehren Workflow-Systeme nicht automatisch zu mehr Akzeptanz und Motivation. Entscheider, Planer, Personalvertretung und Mitarbeiter muessen gemeinsam die veraenderte Zukunft gestalten und entwickeln. Dies ist ein Lernprozess, bei dem alle Beteiligten bereit sein muessen, vertrauensvoll und offen zusammenzuarbeiten. Die gemeinsame Umsetzung praktischer Erfahrungen aus Pilotierungen und Tests koennen hoffentlich das noetige Vertrauen schaffen helfen.

Fuer ein erfolgreiches Business-Re-Engineering sind Verhaltensaenderungen bei allen Mitarbeitern und Fuehrungskraeften noetig. Den Menschen muss auch nach der Abmagerungskur die Arbeit in der schlanken Organisation noch Freude machen.

Erst wenn die menschlichen Faktoren beruecksichtigt sind, koennen Workflow-Anwendungen den erhofften qualitativen und quantifizierbaren Nutzen entfalten. Dies kann kein Workflow-System allein bewirken.

Bild 3: Workflow-Optimierungs-Regelkreis

Bild 1: Integrierendes Workflow-System

Bild 2: Workflow-Module; a) Modellierungs-Modul (Zielgruppe: Organisator, Entwickler); b) Vorgangssteuerungsmodul (Zielgruppe: Anwender, Fuehrungskraefte); c) Vorgangs-Controlling-Modul (Zielgruppe: Fuehrungskraefte, Organisationsentwickler)

*Guenter Damerau ist Managementberater bei der Integrata AG und leitet das Competence Center fuer Buerosystem-Integration in Frankfurt