E-Commerce-Experten stehen auf der Wunschliste ganz oben

Vergebliches Warten auf den kompletten Profi

03.09.1999
Von Ina Hönicke* Bis zum Jahr 2002 werden laut IDC allein in Deutschland fast 200000 qualifizierte Profis im Bereich Netzwerke und E-Commerce fehlen. Unternehmen hätten am liebsten Alleskönner, aber die sind schwer zu finden.

Die Cyber-Protagonisten dieser Welt werden nicht müde zu verkünden, daß dem elektronischen Handel die Zukunft gehört. Auch wenn bislang die schnelle Mark noch nicht verdient wurde und die Zahl der gescheiterten E-Commerce-Projekte eher zu- als abnimmt, halten sie an ihrer Devise fest:

Wer nicht mitmacht, ist bald weg vom Fenster. So drängen beispielsweise die Spitzenverbände der Internet-Wirtschaft den Mittelstand ins Web. Ergebnisse des Marktforschungsunternehmens Giga Group belegen, daß der elektronische Handel bisher primär von Großunternehmen beherrscht wird, die sich das Online-Verbrauchergeschäft mit kleinen Startup-Firmen teilen. Dementsprechend mahnt Harald Summa, Geschäftsführer des Verbandes der deutschen Internet-Wirtschaft, Electronic Commerce Forum (Eco), Köln: "Wenn der Mittelstand nicht bald die enormen Chancen des elektronischen Geschäftsverkehrs erkennt, sind Tausende von Arbeitsplätzen in Gefahr."

Diese Warnung kann Werner Dostal, wissenschaftlicher Direktor beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg, aus der Sicht des Verbandes zwar verstehen, gibt aber zu bedenken, daß der Erfolg aller ins Leben gerufenen Internet-Projekte letztlich von qualifizierten Beschäftigten abhängt: "Hat sich irgendeiner schon einmal überlegt, wo denn all die Mitarbeiter für den elektronischen Geschäftsverkehr herkommen sollen? IT-Experten sind momentan schon Mangelware, und E-Commerce-Profis sollten noch ein bißchen mehr können."

In der Tat wird der Erfolg der Cyberwelt in Europa von einem Mangel an Fachkräften bedroht. Zu diesem Schluß kommen auch die Marktforscher der International Data Corp. (IDC) in einer Studie aus diesem Frühjahr (siehe CW 17/99, Seite 79): Da immer mehr Unternehmen im Internet als Anbieter von Waren und Dienstleistungen auftreten oder wichtige Geschäftsprozesse online abwickeln, wachse die Nachfrage nach Netzspezialisten explosionsartig.

Sie sollen vorrangig in den Bereichen Planung, Design, Implementierung und Betrieb von Websites und Intranets eingesetzt werden.

Nach Aussagen der Marktforscher wird der Bedarf europaweit bis zum Jahr 2002 von heute rund 700000 auf mehr als 1,6 Millionen Fachkräfte wachsen. Dieser Nachfrage würden aber höchstens eine Million Ausgebildete gegenüber- stehen. Deutschland sei besonders stark von dem Problem betroffen, weil die Hochschulen nicht ausreichend mit der IT-Industrie zusammenarbeiteten.

Bereits heute leiden zahlreiche im Internet tätige Unternehmen unter akutem Personalmangel. Michael Sorg, Leiter Neue Medien bei der Neckermann Versand AG, Frankfurt am Main, gibt indes zu bedenken, daß die E-Commerce-Berufswelt nicht nur nach Netzprofis verlangt: "Natürlich wird das Wissen dieser Leute zunehmend wichtig. Aber für den Web-Designer, den Vertriebsmann im Internet oder den E-Commerce-Manager, der alle Aktivitäten koordiniert, sind andere Kriterien entscheidend." Während der Web-Designer vor allem kreativ sein müsse, würden vom Vertriebsmann Marketing- und kaufmännisches Know-how erwartet.

Der E-Commerce-Manager müsse vorrangig über Führungsqualitäten verfügen. Da Fachleute für den relativ jungen E-Commerce-Bereich auf dem Markt nicht in ausreichender Zahl vorhanden sind, bildet das Versandhaus intern aus. Sorg: "Neben BWL-Know-how und Erfahrungen im Direkt-Marketing legen wir auf die Affinität zur Cyberwelt großen Wert."

Auch für Axel Glanz, bei der Unternehmensberatung Diebold für den Bereich Media und Digital Business verantwortlich, müssen sich E-Commerce-Profis idealerweise im Vertrieb, bei volkswirtschaftlichen Themen und in der Internet-Welt auskennen. Angesichts der angespannten Personalsituation empfiehlt er den Firmen, nicht auf die eierlegende Wollmilchsau zu hoffen, sondern sich jeweils einen DV-Profi und einen Kaufmann zu suchen: "Der Informatiker kümmert sich um den technischen Ablauf, und der Kaufmann bestimmt, wie die Geschäftsprozesse aussehen sollen." Wie eine solche Zusammenarbeit erfolgreich sein kann, zeigen seiner Meinung nach die vielen Startup-Firmen, deren Mitarbeiter oft die unterschiedlichsten Vorkenntnisse mitbrächten: "In der Internet-Welt werden Ideen aus der Welt der Kunst, des Marketings, der Betriebswirtschaftslehre und vielen anderen Gebieten gebraucht. Hier gibt es noch keine Raster oder Grenzen."

Diese bunte Vielfalt von Berufen in der E-Commerce-Welt bestätigt auch eine Untersuchung der amerikanischen For-rester-Research-Group. Sie besagt, daß in fünf Jahren rund 40 Prozent aller IT-Mitarbeiter neue Berufstitel haben werden. So soll beispielsweise der Produkt-Manager den Bedarf des Kunden an IT-basierten Services definieren. Das heißt, er prüft, welche Internet-Anwendungen am häufigsten genutzt werden, wie lange sich der Kunde damit beschäftigt und wie das System verbessert werden kann. Für diese Jobs sind laut Forrester Hochschulabsolventen aus dem Marketing am besten qualifiziert. Aufgabe des Geschäftsprozeßingenieurs wird es sein, sich um die Gestaltung betrieblicher Abläufe zu kümmern. Er muß wissen, welche Folgen Internet-basierte Anwendungen für die eigene Firma und für die Kunden haben. Der Sicherheitsanalyst muß den Bedarf im eigenen Haus sowie bei Geschäftspartnern einschätzen. Als potentielle Mitarbeiter bieten sich nach Meinung der US-Analysten Finanzexperten aus der internen Rechnungsprüfung an.