Verantwortung für den Frieden

27.07.1984

Am 8. Juli tagte in Göttingen der Kongreß "Verantwortung für den Frieden - Naturwissenschaftler warnen vor der Militarisierung des Weltraums". 2500 Teilnehmer aus dem In- und Ausland ließen sich über Waffentechnologien. Strategien und Ergebnisse der computergestützten Erderkundung informieren. Initiiert wurde der Kongreß vom Kreis der. "Mainzer 23", der sich die Aufklärung vor Gefahren der Umrüstung zum Ziel gesetzt hat. Dr. Wolfgang Send. Mitarbeiter der Deutschen Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt im Forschungszentrum Göttingen, geht auf die Perspektiven einer friedlichen Nutzung des Weltraums ein.

Wir, unsere Generation, sind heute alle Zeugen eines gigantischen technologisch simulierten Prozesses, dessen ideelle Antriebskräfte in jedem von uns liegen und dessen vielfältige Resultate in der Fähigkeit kondensieren, erstmals in der Geschichte der Menschheit unsere angestammte Erde wirklich verlassen zu können. Die moderne Computertechnologie ist essentieller Bestandteil dieser Entwicklung. Gerade ihr Fortschritt bestimmt das Tempo der Nutzung des Weltraums, ohne die Ziele direkt beeinflussen zu können. Wir sind aber nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir unwidersprochen hinnehmen. Ich möchte aus meiner Arbeitsgruppe, die sich mit der zivilen Nutzung des Weltraums beschäftigt hat, deshalb auch einige sehr persönliche Wertungen wiedergeben. Russell Schweickart, Mitglied der Apollo-IX-Besatzung, hat es so gesagt:

Der Weltraum gehört uns allen. Er gehört nicht der NASA oder den Vereinigten Staaten und er gehört ebensowenig der Sowjetunion. Er eignet sich nicht dafür, aus der kleinlichen Perspektive gegeneinander konkurrierender Staaten auf dieser Erde zum Ort der Auseinandersetzung zu werden: Entweder Du oder Ich. Entweder nutzen wir diesen allerempfindlichsten Teil unseres Lebensraums Erde, die Brücke zum Weltraum, gemeinsam im Sinne eines "Du und Ich", oder wir werden an dieser Auseinandersetzung zugrunde gehen. Es zählt zu den bedrückendsten Resultaten des technischen Fortschritts, daß wir heute die Möglichkeiten geschaffen haben, uns alle miteinander umzubringen und das Ergebnis der Evolution menschlichen Lebens wieder zunichte zu machen. In eigenartigem Kontrast steht dazu

die Faszination, mit Hilfe der Raumfahrt den Fuß auf die Brücke zu neuen Ufern zu setzen. Die Bilder von Menschen auf dem Mond, die Schönheit der aus dem Weltraum photographierten Erde und auch die phantastischen Aufnahmen von den Planeten sind ein einzigartiger Beitrag der Wissenschaft in unserem Jahrhundert zu einem besseren Verständnis der Welt, in der wir leben. Aber wird das gewachsene Verständnis für die physikalischen Grundlagen unseres Lebens auch einhergehen mit einem tieferen Verständnis für unabweisbare politische Notwendigkeiten zur Erhaltung unserer Existenzgrundlage? Das Ergebnis dieser Bemühungen ist heute ungewisser denn Je.

Russell Schweickart hat diese von elementaren Gegensätzen geprägte Situation mit der Geburt eines jeden einzelnen menschlichen Geschöpfes verglichen, wo Tod oder Leben so eng beieinanderliegen wie späterhin nicht wieder. Brauchen wir angesichts der Fülle ungelöster Probleme auf der Erde überhaupt die Assistenz einer so exotischen Wissenschaft und Technologie, wie sie die Raumfahrt darstellt? Vermutlich ist diese Frage falsch gestellt, weil sie den Fortschritt in Wissenschaft und Technik als einen steuerbaren Mechanismus deutet, der neben der Frage nach seiner Zweckmäßigkeit auch obendrein noch Möglichkeiten seiner Regulierung beinhalten könnte. So wünschenswert eine solche Vorstellung aus der Sicht des einzelnen Betrachters vielleicht sein mag, alle geschichtliche Erfahrung spricht dagegen, daß eine in ihren Auswirkungen auch noch so wenig übersehbare Entdeckung oder Entwicklung je aufgehalten worden ist. Um in dem von Schweickart gewählten Bild der Geburt zu bleiben: Wir werden diesen Prozeß der Nutzung des Weltraums nicht aufhalten können oder nur um den Preis, an dem Versuch zu ersticken, dieser Entwicklung Einhalt gebieten zu wollen. Wir sind gezwungen, uns dieser Herausforderung zu stellen. Vielleicht bahnt sich in dieser Technologie und in ihrer verantwortungsbewußten Nutzung auch das Gegengewicht an gegen die apokalyptische Vision einer in einem globalen Atomkrieg zerstörten Erde. Es gibt gute Gründe, hierauf eine nicht unerhebliche Hoffnung zu setzen.

Die Ergebnisse und die besondere Arbeitsfelder der Raumfahrt haben, zu der Notwendigkeit internationalen Zusammenarbeit einen großen Beitrag geleistet. Sie eröffnen

die Möglichkeit einer weltumspannenden Kommunikation, eines vertieften Verständnisses der physikalischen Vorgänge auf unserem Planeten, und sie schaffen ein neues Bewußtsein von unserer Erde als eines gemeinsamen Besitzes und einer gemeinsamen Lebensgrundlage, die wir pfleglich zu behandeln haben. Gerade die Möglichkeit einer weltumspannenden Beobachtung und der Fernerkundung lokaler Interessensgebiete schaffen die Voraussetzungen, sachliche Bewertungen von angeblichen oder tatsächlichen Bedrohungen vorzunehmen, die manche politische Überhöhung von Feindbildern auf einen diskutierbaren und sachlich unstreitbaren Kern zurückführen können.

Für die Verifizierung internationaler Abrüstungsabkommen eröffnen sich durch die Nutzung des Weltraums neue Möglichkeiten.

Die Bemühungen um gegenseitiges Verständnis und der Versuch, die Ängste und Hoffnungen von Menschen aus den beiden politisch feindlich gesinnten Lagern der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion kennenzulernen, haben ihren Niederschlag in den Darlegungen von Prof. Gverdtsiteli gefunden. Der sowjetische Atomphysiker hat eindringlich gezeigt, daß niemand auf dieser Welt sich der Bedrohung durch die diabolischen Seiten der modernen Wissenschaften entziehen kann. Wir müssen lernen, so sagte er diese Bedrohungen als gemeinsamen Feind unser aller Existenz zu begreifen. Es sind nicht nur die Ergebnisse eines alles zerstörenden Nuklearkrieges, die uns zu gemeinsamen Anstrengungen auch und gerade in der internationalen Gemeinde der Wissenschaftler anspornen sollten; jeder Krieg würde heute bei der großen Abhängigkeit von unseren technisch geprägten Lebensbedingungen von unglaublichen und katastrophalen Folgen begleitet sein. Er hat dies am Beispiel der Kernkraftwerke belegt, deren große Zahl in West- und Osteuropa eine kriegerische Auseinandersetzung nicht mehr gestattet; allein deren Zerstörung würde unsere Lebensgrundlage vernichten.

Es ist unsere Aufgabe als Wissenschaftler, auf diese Gefahren aufmerksam zu machen und auf diese Weise an der politischen Willensbildung mitzuwirken. Ein internationaler Aufruf wendet sich an Wissenschaftler in Ost und West Waffensysteme im Weltraum zu verhindern.