Vectriz: Zwei AT&T-Manager haben ihre Lektion gelernt

03.12.2001
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Manfred Bremmer beschäftigt sich mit (fast) allem, was in die Bereiche Mobile Computing und Communications hineinfällt. Bevorzugt nimmt er dabei mobile Lösungen, Betriebssysteme, Apps und Endgeräte unter die Lupe und überprüft sie auf ihre Business-Tauglichkeit. Bremmer interessiert sich für Gadgets aller Art und testet diese auch.
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Mit der Liberalisierung ergeben sich für die Energiewirtschaft ähnliche Effekte, wie sie die TK-Branche bereits seit mehreren Jahren verzeichnet. Aber auch sonst sind die Branchengrenzen im Fallen. Die Leipziger Vectriz International AG hat es sich daher zur Aufgabe gemacht, Anbietern der Versorgungswirtschaft industrieübergreifende Abrechnungssysteme anzubieten.

In den USA begann der Wettbewerb um Telefonkunden nach der Öffnung des Marktes bereits im Jahr 1984. In den ersten Jahren verlor der Ex-Monopolist AT&T nur unwesentliche Marktanteile, dann gelang es dem Konkurrenten MCI mit einer neuen Marketing-Strategie, binnen eines Jahres Millionen Haushalte zu Wechsel zu bewegen. Hinter dem vorgestellten Programm "Family & Friends" steckte die Strategie, Kunden in die Neukundenwerbung mit einzubeziehen und dafür Rabatte zu gewähren. Neben der Akquisition neuer Kunden ergab sich dabei ein gigantischer Kundenbindungseffekt. Die Mitbewerber konnten dabei jedoch mit ihren veralteten Billing-Systemen vorerst nicht nachziehen, da eine Integration von Rabattsystemen schlichtweg nicht möglich war.

Die beiden Gründer von Vectriz, Joachim Richter und Tilmann Hanitzsch, saßen damals als Manager von AT&T EMEA noch auf der Verliererseite, hatten aber ihre Lektion gelernt. Bei der Öffnung des Energiewirtschaft versuchen sie nun, aus ihrer langjährige Erfahrung bei AT&T Kapital zu schlagen. Das Geschäftskonzept des 1997 gegründeten Unternehmens: Ähnlich wie in der TK-Branche soll eine hohe Preis-- und Produktdifferenzierung den Energieversorgern helfen, sich bei der Abrechnung stärker nach den Bedürfnissen des jeweiligen Verbrauchers zu richten - handelt bei sich doch bei der Kommunikation mit dem Kunden um ein wichtiges Bindungsmittel. Der Kontakt mit dem Verbrauchern ist in der Energieversorgungsbranche jedoch nicht besonders ausgeprägt, etwa werden Stromzähler in der Regel nur einmal im Jahr - und noch dazu meist vom Kunden selbst - abgelesen. Richter und Hanitzsch erkannten das Problem und entwickelten zunächst mit "U2U/BS" neue

Strom- und Gas-Abrechnungsmodelle für Netzbetreiber und Händler. Als Mitstreiter mit Branchenexpertise holten sie sich dabei den Kaufmann Michael Merkel ins Vectriz-Boot. Der ehemalige Stadtkämmerer der Stadt Leipzig hatte sich bei der Liberalisierung der Energiewirtschaft mit dafür eingesetzt, den verfassungsrechtlichen Anspruch der Kommunen auf die freie Wahl zur Gründung von Stadtwerken durchzusetzen.

Die nötige finanzielle Unterstützung erhielten die Gründer zunächst von der Mitteldeutschen Venture Capital AG (MVC), die seit Februar 2000 mit Wagniskapital an dem Unternehmen beteiligt ist. Im Juni 2001 investierte der Münchner Risikokapitalgeber Target Partners dann 2,25 Millionen Euro in das Leipziger Startup, der Co-Investor Constantin & Bastian Venture Capital Kapital steuerte 250 000 Euro bei. Mit der Finanzspritze will vectriz die internationale Markteinführung eines neuen Softwareprodukts vorantreiben. Bei "Merlin/BS" handelt es sich um ein Billing-System für Unternehmen, die kombinierte Leistungen in der Energieversorger- und TK-Branche anbieten.

Die Firmen können damit nicht nur Telefon- und Stromabrechnungsdaten auf einer Rechnung präsentieren, sondern sollen sogar in der Lage sein, alle Versorgungsleistungen eines kommunalen Unternehmens bis hin zur Hundesteuer auf einer Sammelrechnung zu integrieren. Außerdem ermöglicht es ihnen, existierende Bonussysteme wie etwa "Payback" einzubeziehen, aber auch neue Treuesysteme zu entwickeln. Denn, das wussten die Vorstände noch aus AT&T-Zeiten: Einen Kunden zu halten kostet etwa nur zehn bis 15 Prozent des Aufwands, der benötigt wird, um einen neuen Abnehmer zu werben. Das auf einer Oracle-Datenbank basierte Abrechnungsmodul lässt sich dabei laut Anbieter mit bestehenden Systemen wie SAP/R3 oder IS/U kombinieren oder erweitern.