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VA-Linux-Chef Larry Augustin im Gespräch ...

21.08.2000
... zur LinuxWorld, Linux für Desktops, Microsoft und der Zukunft von VA Linux

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - VA Linux gehört zu der wachsenden Gemeinde der Open-Source-Anbieter, die dem Softwaregiganten Microsoft zunehmend Kopfschmerzen bereiten. Die US-Company für Linux-Komplettlösungen, die zu den ersten kommerziellen Anbietern in der Open-Source-Arena zählt, sieht sich mehr und mehr der Konkurrenz durch Schwergewichte wie Dell oder IBM ausgesetzt, die inzwischen ebenfalls auf den Linux-Zug aufgesprungen sind. COMPUTERWOCHE-Korrespondent James Niccolai sprach während der LinuxWorld in San Jose mit VA-Linux-Chef Larry Augustin.

CW: Wie hat sich Ihrer Meinung nach die LinuxWorld in Bezug auf die Teilnehmer und angekündigten Produkte gegenüber dem Vorjahr verändert?

AUGUSTIN: Sie ist noch größer geworden. Es gibt noch mehr Unterstützung in der Industrie. Es gab ungefähr 50 Firmen, die an der Konferenz teilnehmen wollten und nicht zugelassen wurden. Das demonstriert das große Interesse. Neben den großen Namen gibt es allerdings auch Startup-Aktivitäten; darin liegt ein großer Unterschied zu einigen der Windows-Veranstaltungen. Die Leute haben immer ein wenig Angst bei Microsoft: Wer eine Software-Company besitzt, hat immer Angst, dass Microsoft die gleiche Geschäftsidee übernehmen könnte. An der LinuxWorld nehmen viele neue Firmen teil, die noch in den Kinderschuhen stecken, und das ist ein gutes Zeichen für die Zukunft.

CW: Sehen Sie einen Fokuswechsel in der Verwendung von Linux?

AUGUSTIN: Es gibt hier eine große Desktop-Initiative besonders mit GNOME und Eazel. Zudem liegt der Fokus auf einer Vereinfachung des Managements. Eine der großen Funktionen von Eazel ist das Desktop-Management, und der gleiche Trend findet sich auf der Serverseite. VA Linux zeigt sein "build-to-order"-Softwareprogramm, Caldera hat "Cosmos". Es gibt also eine Menge Anstrengungen, das Leben der IT-Manager einfacher zu machen, ob auf der Desktop- oder Serverseite.

CW: Linux-Erfinder Linus Torvalds hat sich diese Woche kaum auf der LinuxWorld blicken lassen, abgesehen von einem sehr kurzen Auftritt am vergangenen Dienstag. Hat er seine Rolle bei der Konferenz dieses Jahr bewusst klein gehalten?

AUGUSTIN: Nein, Linus kommt und geht, wann er will. Er hält nicht gerne Reden. Linus sagte mir, er war am Montag abend so glücklich, dass er keine Rede für die Keynote am Dienstag schreiben musste. Er hat sich aus Zeitgründen dafür entschieden, weniger Reden zu halten und statt dessen lieber an Entwicklungen zu arbeiten.

CW: Was sind die Hauptanliegen von Unternehmenskunden beim Kauf von Linux-Servern?

AUGUSTIN: Wenn wir mit einem Kunden zu tun haben, der kein Linux-Anwender ist, lautet die erste Frage: "Sind meine Anwendungen für Linux erhältlich?" Niemand will eigentlich ein Betriebssystem kaufen sondern eine Lösung, eine Applikation. Wir sind in Bezug auf Internet-Infrastruktur erfolgreich, weil es die entsprechenden Anwendungen gibt. Wir versuchen noch nicht einmal, im Desktop-Markt zu verkaufen, weil die dominanten Lösungen Produkte wie Microsoft Office sind. Ich bin nicht sicher, dass Linux heute schon die richtigen Applikationen besitzt, um MS Office zu ersetzen. Aber sie werden sich entwickeln.

CW: Werden solche Lösungen von Microsoft oder Sun Microsystems oder von einer anderen Firma kommen?

AUGUSTIN: Ich weiß es nicht. Wenn ich Microsoft wäre, würde es mir Kopfschmerzen bereiten, nicht auf Linux zu portieren. In vielerlei Hinsicht ist Microsoft kein Betriebssystemhersteller, sondern ein Anbieter von Applikationen. Office kurbelt schließlich die Verkaufszahlen an.

CW: Falls die US-Regierung Microsoft in zwei Unternehmen spaltet, hätte dann die Einheit für Anwendungen nicht wesentlich mehr Interesse daran, Linux zu unterstützen?

AUGUSTIN: Der Anreiz wäre viel größer. Sonst hätte man einen Applikationsanbieter, der die am schnellsten wachsende Plattform - Linux - nicht unterstützen würde und das macht keinen Sinn.

CW: Sie machen sich für Linux auf dem Desktop stark. Können Sie sich vorstellen, dass die Endanwender irgendwann im Laden nach Linux statt nach Windows fragen werden? Wie lange könnte das dauern?

AUGUSTIN: Wie bei den Unternehmenskunden geht es auch hier um die Applikationen. End-Anwender benutzen Intuits "Quicken", "TurboTax", Microsoft Word, das neuste Computerspiel. Bevor diese Anwendungen nicht für Linux erhältlich sind, wird das Interesse daran gering bleiben.

CW: Wie sieht es mit dem Punkt Benutzerfreundlichkeit aus?

AUGUSTIN: Die Frage nach der Benutzerfreundlichkeit wird deshalb gestellt, weil die Applikationen noch nicht erhältlich sind. Die Leute sagen zwar, dies oder jenes lässt sich schwer bewerkstelligen, das liegt aber nicht daran, dass das Betriebssystem schlecht ist. Die Anwendungen fehlen.

CW: Warum ist der Erfolg im Desktop-Markt wichtig? Bedeutet er einen symbolischen Sieg über Microsoft?

AUGUSTIN: Nein, es geht um Präsenz (mindshare?). Die Leute erinnern sich an das, was sie sehen. Wenn es Linux nur im Serverraum gibt, vergisst man das. Läuft Linux aber auf dem Desktop, sieht man es jeden Tag.

CW: Wie sehr hat die Kartelluntersuchung von Microsoft Linux im vergangenen Jahr geholfen?

AUGUSTIN: Man spürt Microsofts Schwäche. Offenbar hat die Untersuchung durch die Regierung dazu beigetragen. Attacken gegen Microsoft sind jetzt viel wahrscheinlicher als noch vor einem Jahr. Microsofts Hauptfokus liegt in der letzten Zeit auf dem Kartellverfahren, und das öffnet natürlich Chancen für andere Anbieter.

CW: Sie besitzen die populäre Linux.com-Website sowie das Portal Andover.Net, das Entwickler mit den meisten der großen Open-Source-Homepages verbindet. Kritiker behaupten, dass VA Linux zum MSN (Microsoft Network) im Open-Source-Bereich wird. Wie begegnen Sie dem Vorwurf, dass Sie zu viel Kontrolle in einer Gemeinde aufbauen, die bisher ohne große Führung gediehen ist?

AUGUSTIN: Viele denken offenbar, wir kontrollieren das, was auf diesen Websites vor sich geht. Das tun wir nicht. Wir stellen lediglich ein Forum bereit, in dem die Leute kommunizieren, entwickeln und diskutieren können. Wir liefern die Plattform und die Benutzer stellen die Inhalte. Es ist also etwas anders als bei MSN.

CW: Sie versuchen also nicht, den Content zu formen oder inhaltliche Kontrollen einzuführen?

AUGUSTIN: Nein, weil das unser Modell untergraben würde - wir würden unsere Leser und die Entwickler verlieren. Bei SourceForge geht es darum, welche Tools die Leute benötigen, Slashdot soll ein offenes Diskussionsforum sein und auf Freshmeat können alle Neuigkeiten auf der Welt angekündigt werden.

CW: Auch wenn es Konflikte mit den auf der Portalseite werbenden Firmen gibt?

AUGUSTIN: Auch dann.

CW: Caldera-Chef Ransom Love sagte am vergangenen Mittwoch, man brauche einen neuen Linux-Kernel, da die Skalierbarkeit der derzeitigen Version auf großen Systemen nicht besonders gut sei. Was halten Sie davon?

AUGUSTIN: Hat Ransom nicht vor kurzem einen anderen Kernel erworben? Wahrscheinlich wird er Linux nur für bestimmte Systeme vermarkten.

Irgendwann wird der Linux-Kernel vielleicht weniger wichtig werden. Im Moment können wir verschiedene Teile um den Kernel herumstricken. Später sollte es auch möglich sein, verschiedene Kernels zu benutzen. Warum nicht, solange sie die selben APIs, die selben Libraries und die selben Schnittstellen besitzen?

CW: Durch die Übernahme von SCO hat Caldera eine etwas andere Zielsetzung als die anderen Linux-Distributoren. Wird das zu einer größeren Rivalität unter ihnen führen und welche Auswirkungen wird das haben?

AUGUSTIN: Ich glaube nicht, dass es mehr Konkurrenz geben wird. Sie werden vielleicht etwas offener darüber reden. In Bezug auf Caldera und SCO ist eine andere Sache etwas besorgniserregend: Wenn der Code wirklich unterschiedlich ist, wenn man also ein SCO-Kernel und einen Linux-Kernel hat, dann müsste man sich Gedanken um die mehrfache Portierung der Applikationen machen. Das wäre ein Schritt zurück.

CW: Auf der LinuxWorld wurde diese Woche über die Notwendigkeit einer Linux Standard Base gesprochen, einem Regelwerk, das die Kompatibilität der verschiedenen Linux-Varianten garantiert. Die erste Version von Regeln soll Anfang des nächsten Jahres herauskommen. Wie dringend ist diese Initiative?

AUGUSTIN: Es ist sehr dringend. ISVs (Independent Software Vendors) müssen in der Lage sein, auf Linux zu portieren. Daher ist ein Satz von Gültigkeitstests erforderlich.

CW: Wie sehr müssen Applikationen heute verändert werden, damit sie unter jeder Linux-Umgebung laufen?

AUGUSTIN: Es handelt sich gar nicht um so viele Änderungen. In gewisser Weise wird der Aufwand für die Anpassung an verschiedene Umgebungen von den Linux-Gegnern überbetont. Die Unterschiede zwischen den Plattformen bestehen eher darin, dass die Dateien woanders liegen und der Layout-Stil anders ist. Es geht nicht um tiefe technologische Unterschiede, weil alle den selben Kernel benutzen.

CW: Die meisten Leute halten VA Linux für eine Hardware-Firma, aber Sie drängen offenbar zunehmend in den Bereich Services und Support vor. Warum ist dies wichtig?

AUGUSTIN: Unsere Hauptkompetenzen lagen schon immer bei Linux und Open-Source. Diese Fähigkeiten haben wir zum Beispiel über den Verkauf unserer Systeme geliefert. Unsere Kernkompetenz besteht eigentlich nicht im Hardware-Design, sondern in den Softwaresystemen. Dieses Know-how durch Services zu vermitteln ist daher eine logische Erweiterung. Unsere Aktivitäten wie das Open Source Development Network, unseren Vertrieb im Internet oder unsere professionellen Services drehen sich alle um die Idee, dass wir die Linux-Experten sind.

CW: Wieviel Prozent Ihres Umsatzes generieren die Dienstleistungen heute und wie soll das in Zukunft aussehen?

AUGUSTIN: Im vergangenen Quartal gingen 96 Prozent auf das Konto des Systemvertriebs und vier Prozent auf die Dienstleistungen. Langfristig sollen 75 Prozent der Einnahmen durch den Verkauf der Systeme, zehn bis 15 Prozent durch professionelle Services und zehn bis 15 Prozent durch unsere Websites, Sponsoren, Werbung, Medien und Technologiepartnerschaften erwirtschaftet werden.