"Expert Systems Conference and Exhibition" macht deutlich:

User üben bei KI noch Zurückhaltung

24.10.1986

Von CW-Mitarbeiterin Claudia Petrik

Obwohl der Begriff "Expertensysteme "Inzwischen zum Schlagwort geworden ist, haben sich etwa 50 Prozent der amerikanischen Großanwender bislang nicht ernsthaft mit dieser Materie auseinandergesetzt. Dies war eines der Kernergebnisse der "Expert Systems Conference and Exhibition" in London.

Auf der Ausstellung vertreten waren insgesamt 19 Unternehmen (Vorjahr: 15), die bis auf wenige Ausnahmen, beispielsweise Texas Instruments, auf Künstliche Intelligenz spezialisiert sind. Namhafte DV-Anbieter wie IBM, DEC und ICL hatten der Fachmesse eine Absage erteilt.

Der Tenor der Veranstaltung unterschied sich nicht wesentlich von dem der "AI Europa" in Wiesbaden (siehe CW Nr. 40, Seite 12): Künstliche Intelligenz und konventionelle DV müßten miteinander verschmelzen. Das Gebot der Stunde sei, Expertensysteme für den praktischen Gebrauch und nicht für Forschung und Experimente zur Verfügung zu stellen. Es gebe auf beiden Seiten eine Reihe guter Produkte, aber es herrsche ein permanenter Krieg zwischen diesen Welten. Auffallend jedoch war, daß in der Bundesrepublik ein höherer Anteil der Aussteller aus dem traditionellen Lager kam.

Zum Thema Expertensysteme in Versicherungen präsentierte David Sphilberg, Mitarbeiter beim Beratungsunternehmen Coopers & Lybrand, die Ergebnisse einer Untersuchung. Bei einem Drittel der hundert größten Assekuranzen der USA befinden sich Expertensysteme entweder im Entwicklungsstadium oder im Einsatz. Darüber hinaus führten die New Yorker eine Untersuchung im Top-Management-Bereich durch. Ziel der Studie war es, die Einstellung dieser Interessengruppe zum State-of-the-Art im Bereich Expertensysteme und die Auswirkungen auf ihre eigenen Geschäftstätigkeiten zu analysieren. Etwa 30 Prozent der Befragten konstatierten, diese neue Technik würde entweder ihre Geschäftsgepflogenheiten ändern oder zu einer strategischen Waffe im Konkurrenzkampf werden. Allerdings mußten 50 Prozent zugeben, daß sie von Expertensystemen bisher zuwenig gehört hatten, um sich darüber eine Meinung zu bilden.

Ken Sonenclar, Marktanalytiker bei New Science-Associates, rundete das Bild ab: Bei Systementwicklern und teilweise sogar bei Anwendern sei immer wieder die Rede davon, auf einen IBM-386-Rechner zu warten. Diese Haltung könne dazu führen, daß die Aktivitäten der in diesem Marktsegment tätigen Verantwortlichen bis zur Auslieferung dieses Systems stagnieren werden. Sonenclar: "Die Künstliche Intelligenz wird es im nächsten Jahr schwer haben. "Für ihn steht außerdem fest, daß in der nächsten Zeit einige Projekte sterben werden, ohne daß die Öffentlichkeit viel darüber erfährt.

Den nordamerikanischen und kanadischen KI-Markt hat kürzlich Julian Hewett vom Marktforschungsunternehmen Ovum unter die Lupe genommen. Seinen Ausführungen zufolge werden in diesem Jahr etwa 400 Millionen Dollar in KI investiert. Die Hälfte dieser Summe wird von Unternehmen aus den Bereichen Verteidigung, Raumfahrt, DV, Telekommunikation und Elektronik bereitgestellt. Im vergangenen Jahr begannen die Dienstleistungsfirmen, insbesondere Versicherungen, und Produktionsbetriebe, Geld in Künstliche Intelligenz zu stecken. Gegenwärtig laufen fast 1000 größere Projekte mit einem Budget von je einer Million Dollar. Dennoch haben sicht etwa 50 Prozent der US-Großunternehmen bislang nicht ernsthaft mit Expertensystemen beschäftigt.

Bei einem Vergleich mit der Situation in Europa wird deutlich, daß die fahrenden Hersteller im militärischen Bereich und in der Raumfahrt etwa zwei bis vier Jahre den USA hinterherhinken. In einem Bereich haben die Europäer jedoch ihre Nasenspitze vorne: Große Ölgesellschaften wie Shell und BP in Großbritannien sowie elf Aquitaine in Frankreich haben die amerikanischen Ölmultis in puncto KI-Know-how überrundet.