Die Lösung vom Branchenkollegen muß nicht immer das Optimum sein:

"User-to-User"-Software mit Haken und Ösen

24.02.1984

Lösungtransfer von Anwender zu Anwender" heißt die Nische, in die zunehmend verunsicherte Benutzer vor dem mittlerweile schier unüberschaubaren Angebot an Branchensoftware flüchten. Der Vertrauensvorschuß, den die User ihren Anwendungskollegen damit entgegenbringen, beruht nicht zuletzt auf der guten Verständigung zwischen den Fachabteilungen, die mit reinrassigen Softwarehäusern häufig nicht aufgebaut werden kann. Dennoch ist bei "User-to-User"-Paketen Vorsicht geboten: Eklatante Unterschiede, vor allem in den Serviceleistungen, können die erhoffte unkomplizierte und billige Lösung schnell zu einer Fehlinvestition werden lassen.

Jochen Primavesi, Gesellschafter der Münchener Software Agentur S. A. S. GmbH, teilt die Anbieter solcher "Pakete mit Heimvorteil" in zwei Gruppen auf: Anbieter, die sich aus ihren Mutterunternehmen bereits abgenabelt, zum Teil sogar einen eigenen Rechtsstatus zugelegt haben und Software jetzt professionell entwickeln und vermarkten Zum anderen die Schar der Anwender, die zwar eine grundsätzliche Bereitschaft zur Vermarktung ihrer Programme vorgibt, dies jedoch nur laienhaft betreibt. "Hier schlummert in der Tat ein gewaltiges DV-Potential an teilweise sogar hervorragenden Softwareleistungen, von dem der transparente Käufermarkt nur selten etwas weiß", konstatiert der Münchener GmbH-Chef, dem die Auswahl und Vermittlung solcher User-User-Beziehungen nach eigenen Angaben "vom Markt geradezu aufgezwungen wurde" .

Know-how im Schnelltransfer

Jedoch seien die Gefahren im "Know-how-Transfer"-Geschäft für den unerfahrenen und deshalb leicht zu begeisternden Kunden nicht zu unterschätzen. Mit Ausnahme der etablierten "Anwendersoftwarehäuser", wie etwa Bertelsmann, Krupp, MTU, Bonndata oder die Industrieanlagen-Betriebsgesellschaft (IABG), besteht das Angebot nach Meinung des Softwaremaklers in der Regel aus Individualprogrammen, die im Hauruckverfahren "per Magnetband und guten Wünschen den Besitzer wechseln. Eine Mandantenfähigkeit sei bei dieser Art von Software oftmals nicht vorhanden oder nur eingeschränkt gegeben. Hinzu kämen teilweise katastrophale Anwenderhandbücher. Die Preisvorstellungen für diese Leistungen, so Primasse, reichen auf beiden Seiten von einer "Anerkennungsgebühr bis zu völlig verschrobenen Beträgen im oberen Bereich".

Programm ungleich Produkt

Dr. Klaus Adena, Leiter der Anwendungssoftware-Entwicklung der Nixdorf AG, Paderborn, warnt vor "praxisnaher" Software als schnelle Kollegenhilfe: "Unternehmen, die auf den Einsatz derartiger Lösungen hoffen, werden damit Schiffbruch erleiden." Seiner Meinung nach muß eindeutig zwischen Wald-und-Wiesen-Programmen und professionell gestrickten Softwareprodukten unterschieden werden. Das Entwickeln von herkömmlichen Programmen mache lediglich etwa 30 Prozent des Gesamtaufwandes von komplexen Softwarelösungen aus.

Um ein qualifiziertes Produkt zu erhalten, müsse in hohem Maße Wert auf das Umfeld gelegt werden. Dazu zählen beispielsweise die Anwenderdokumentation, Schulungskonzepte, Methoden zur Weiterentwicklung, Implementationsunterstützung sowie Maintenanceverfahren und Prozeduren. Würden diese Kriterien berücksichtigt, könne allerdings ein Softwareprodukt von den verschiedensten Anbietern erstellt werden. Eine reinrassige Programmierschmiede müsse sich um entsprechendes Branchen-Know-how bemühen, ein Anwender um alle übrigen Probleme kümmern, die sich aus den Anforderungen an ein Softwareprodukt ergeben. Sei das gewährleistet, so der Paderborner Abteilungsleiter, könne bei beiden ein gleichwertiges und gutes Produkt entwickelt werden.

Jedoch ist nach Ansicht von Programmierprofis ein wesentlicher Vorteil der Softwarehäuser, die sich etwa aus einem Konzern heraus entwickelt haben, bei der Vermarktung ihrer Produkte nicht wegzudiskutieren: nämlich das Quantum mehr Vertrauen, das der Anwender seinem ,.großen Kollegen " entgegenbringt. So erzielt zum Beispiel die aus den Rechenzentren der Herold-Gruppe hervorgegangene Bonn-Data GmbH nach Angaben von Paul Sistig, Geschäftsführer für den Bereich Software, inzwischen zwei Drittel ihres Software-Umsatzes innerhalb des Herold-Konzerns und ihrer Branche. "Wir sprechen eben die Sprache der Versicherungsbranche und damit auch die der Fachabteilungen", begründet Sistig den Vertrauensvorsprung seines Softwarehauses.