User-Konferenz Orlando: Hasso Plattner an der Gitarre SAP AG laesst in den Staaten die Marketing-Muskeln spielen

09.09.1994

ORLANDO (hv) - Die SAP AG ist reich - auch die letzten Zweifler konnten sich auf der Anwenderkonferenz "Sapphire '94" in Orlando davon ueberzeugen. In Disney World bot die amerikanische SAP- Filiale ein Lehrstueck in Sachen Marketing, das an vergleichbare Veranstaltungen von Nixdorf oder IBM in ihren besten Zeiten erinnerte.

Frei nach dem Motto "Give the people what they want" leitete SAP- Chef Hasso Plattner seine Grundsatzrede vor 4000 Besuchern ein. Eingehuellt in Bodennebel, haengte sich der Deutsche eine E-Gitarre um und gab ein Gitarrensolo a la Chuck Berry zum besten - das imponierte den Amerikanern. Die Rede des Unternehmensgruenders kam ebenfalls an. Wie vormals IBM, so suggerierte der Boss, ist nun SAP der Fixstern, um den sich die wichtigsten Hardware-, Software- und Beratungshaeuser drehen.

Die zentrale Rolle in dem von SAP entworfenen Marktszenario spielt ohne Zweifel Microsoft. Eintraechtig unterstuetzen sich die Partner gegenseitig darin, ihre ohnehin dominierende Marktposition weiterauszubauen, indem sie die wichtigsten Desktop-Programme in die R/3-Anwendungssoftware integrieren.

Durch die Unterstuetzung von OLE (Object Linking and Embedding) 2.0 mit dem naechsten R/3-Release werde die Plug-and-play- Kompatibilitaet zwischen den SAP-Standardanwendungen und den verfuegbaren Desktop-Programmen von Microsoft gewaehrleistet, eroeffnete Plattner. "Ich nehme an, dass MS-Office eine feste Komponente von R/3 wird." Mit anderen Worten: Die SAP-Klientel wird in Zukunft wohl immer auch zum Kundenkreis von Microsoft zaehlen. Ob und in welchem Umfang andere Desktop-Systeme in die Standardsoftware integriert werden, liess der Redner offen.

Konkurrierende Anbieter von Standardprogrammen moechte SAP am liebsten an die Leine nehmen. Sie sollen als Nischenanbieter Branchen-Know-how beisteuern und den Breitenstandard R/3 mit vertikalen Loesungen komplettieren. Der Integration solcher Anwendungssysteme soll die SAP-eigene Technik

"Application Link Enabling"

(ALE) dienen, die voraussichtlich mit Release 3.0 im zweiten Quartal naechsten Jahres erscheinen wird. Prinzip des ALE- Verfahrens ist die objektbasierte Kommunikation zwischen den R/3- Anwendungen und Spezialapplikationen, die branchenspezifische Teilprozesse abdecken.

SAP im Mittelpunkt der konzernweiten Datenverarbeitung - dass diese Perspektive nicht nur Bewunderung ausloest, war in Orlando nur am Rande der Veranstaltung spuerbar: "Mit SAP-Software holen sich die Firmen ein trojanisches Pferd ins Haus", aeusserte sich etwa ein Analyst. Die Software werde der "heimliche Beherrscher" der Unternehmen. Gerieten heute die IBM oder SNI in wirtschaftliche Schwierigkeiten, muesse dies fuer einen Kunden nicht existenzgefaehrdend sein. Stehe aber SAP vor dem Bankrott, werde in Deutschland mit Sicherheit von hoechster Instanz eingegriffen, denn: "Ein Unternehmen wie Volkswagen darf nicht pleite gehen!"

Eine aehnlich unangefochtene Spitzenposition wie hierzulande moechte SAP nun auch in den USA einnehmen - juengste Umsatzzahlen belegen, dass das Unternehmen dazu auf dem besten Weg ist (siehe CW Nr. 35 vom 2. September 1994, Seite 6). Allerdings muessten die Softwerker dann einen optimalen Kundenservice bieten - ein Anspruch, der mit dem bisher verfolgten Partnerkonzept nicht zu realisieren ist. Plattner nutzte die Veranstaltung deshalb, um seine Plaene einer "virtuellen Service-Organisation" vorzustellen (siehe Kommentar Seite 37). SAP werde den Kunden gemeinsam mit ausgewaehlten Partnern "Remote Services" uebers Netz anbieten. Man verstehe sich kuenftig als Systemintegrator, der nicht nur fuer Anwendungssoftware, sondern fuer die gesamte IT-Infrastruktur des Kunden Verantwortung trage.

Von Servicezentren aus Walldorf, Philadelphia, Tokio und Singapur will man Kunden Online-Unterstuetzung in allen IT-Fragen anbieten. "Wir gehen in das System des Kunden hinein und arbeiten mit ihm zusammen an seinem Computer", erlaeuterte Plattner das Verfahren. Die Fernbetreuung werde durch Video-Conferencing unterstuetzt, gekoppelt mit einem System fuer die gleichzeitige Bearbeitung einer Anwendung von verschiedenen Standorten aus. Intels "Proshare"- Technik sei hier das Mass aller Dinge, SAP werde sich dieses Systems bedienen. Fuer den Remote-Service-Ansatz nutze man darueber hinaus technische Errungenschaften wie Video on demand, das Groupware-Produkt Lotus Notes und CD-ROMs, auf denen saemtliche Dokumentationen bereitgestellt wuerden.

Den Anspruch eines Universalanbieters von Standardprogrammen unterstrich Plattner mit seinen Ausfuehrungen zum Mittelstandsmarkt. Entfachte die R/3-Software bei kleineren Kunden bisher keine Begeisterung fuer ihr Produkt, so soll dieser Markt nun mit der Shrinked-wrapped-Variante "Heidelberg" erschlossen werden. Mit dieser abgespeckten Version will SAP R/3 fuer Anwender in einer Umsatzgroessenordnung von unter 50 Millionen Dollar interessant machen.

Heidelberg ist als Plug-and-play-Version konzipiert, die Entwicklungsplaenen zufolge einfach zu installieren ist und sich automatisch der vorgefundenen Hardwarekonfiguration anpasst - sofern diese genuegend Kapazitaeten bietet. Basierend auf dem Microsoft-Betriebssystem Chicago und dem Oracle Workgroup Server soll die Software branchenspezifische Funktionalitaet nach Bedarf bieten und saemtliche nicht benoetigten Funktionen ausschliessen. "Heidelberg wird in ein voll funktionsfaehiges R/3-System konvertierbar sein", versprach Plattner.

Der Gitarrist musste sich auch kritische Fragen nach der Zukunft der Mainframe-Software R/2 gefallen lassen. Plattner bekannte: "Das R/3-System bewegt sich immer weiter von R/2 weg, diesen Prozess koennen wir nicht stoppen. Wir muessen R/2-Anwendern in den naechsten fuenf Jahren einen Weg in die R/3-Welt bahnen. Das bedeutet aber nicht, dass wir R/2 in fuenf Jahren nicht unterstuetzen werden."

Derzeit stellt SAP funktionierende Migrationswerkzeuge nach R/3 nur fuer Anwender der neuesten R/2-Version 5.0 bereit. Diese Strategie wird in Anwenderkreisen kritisiert, viele Unternehmen investieren Mannjahre - zum Teil sogar -jahrzehnte -, um von der Mainframe-Version 4.3 nach 5.0 zu wechseln und sich damit einen reibungslosen Umstieg in die R/3-Welt zu eroeffnen.

Zwar koennen Benutzer der Vorgaengervariante 4.3 ebenfalls Migrations-Tools beziehen, sie erhalten aber keine Garantie fuer deren Funktionsfaehigkeit. Dass diese Strategie nicht besonders gluecklich gewaehlt ist, sieht inzwischen wohl auch die SAP selbst ein. So meinte Gerd Oswald, Mitglied der Geschaeftsfuehrung, im Gespraech mit Journalisten: "Release 5.0 ist zu spaet gekommen und zu gross geworden. Viele Unternehmen denken darueber nach, direkt von 4.3 nach R/3 zu wechseln. Auf Projektbasis helfen wir ihnen dabei."