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TV-Sinnkrise

US-Wahl krempelt die Medienlandschaft um

04.11.2008
Von pte pte
Das Fernsehen verliert seine Vormachtstellung bei der Informationsversorgung an das Internet. Der US-Trend dürfte auch bei der nächsten Bundestagswahl zum Tragen kommen.

Die am Dienstag stattfindenden Präsidentschaftswahlen in den USA sind nicht nur für die politische Zukunft des Landes von entscheidendem Interesse, sondern auch für die weitere Entwicklung der US-Medienlandschaft. Diese hat im Laufe der mittlerweile an die zwei Jahre dauernden Wahlkampfphase einige gravierende Umwälzungen erlebt. Im Zentrum des Interesses steht dabei in erster Linie das Internet, das von allen beteiligten Parteien zunehmend als Wahlkampfinstrument genutzt wurde, um bei der Bevölkerung für die Unterstützung des eigenen Kandidaten zu werben. Die Palette reichte dabei von der Präsentation von Wahlkampfvideos auf dem eigens gestarteten YouTube-Kanal über die Errichtung eigener Web-Communitys bis hin zu dem Angebot unzähliger Wahlkampfartikel in speziellen Online-Shops. Zum ersten Mal wurde auf diese Weise das Netz in einem Präsidentschaftswahlkampf zur Hauptquelle für politische Neuigkeiten. Das traditionell starke Medium TV wurde dadurch zunehmend in den Hintergrund gedrängt.

"Wenn sich die Bürger am Dienstagabend niederlassen, um die Ergebnisse der Wahl zu betrachten, werden sie ihre Mobiltelefone auf entsprechende Textnachrichten überprüfen, das Internet nach verschiedenen Wahlkampfbefragungsresultaten durchsuchen und Videos ansehen, die von Wahlstrategen der Parteien extra für die Web-Community produziert worden sind", stellt die "New York Times" fest. Das Fernsehen spiele in diesem Zusammenhang zunächst eine eher untergeordnete Rolle. "Die meisten Nutzer werden zur Verfolgung der Wahlberichterstattung ihre Computermaus nicht aus der Hand geben", heißt es in dem Bericht. Ausschlaggebendes Argument für die Zuwendung der Bürger zum Online-Medium sei vor allem die hohe Aktualität der dort verbreiteten Nachrichten. So blieb es etwa im aktuell zu Ende gehenden US-Wahlkampf die Ausnahme, dass ein TV-Sender zuerst über eine Neuigkeit berichtete. In der Regel waren es Internetdienste wie Blogs oder Community-Foren, die die Menschen als erste über relevante Ereignisse in Kenntnis setzten.

Um der Abwanderung der Zuseher ins Web entgegenwirken zu können, sahen sich die großen Medienkonzerne gezwungen, ihre bisherige Art der Wahlberichterstattung komplett zu überdenken. Als Konsequenz engagierten sie sich in zunehmendem Maße auch im Netz und versuchten etwa, ihre herkömmlichen Inhalte mit interaktiven Funktionen aufzupeppen. Auch die traditionellen Sendezeiten konnten dem Aktualitätsdruck des Internets nicht Stand halten und mussten zugunsten mehrerer aktueller Ausstrahlungen aufgegeben werden. "Wir sollten aber vorsichtig damit sein, schon jetzt davon zu sprechen, dass die alten Medien von den neuen verdrängt werden. Ich glaube, was wir derzeit erleben, entspricht viel eher einer wachsenden Raffinesse, mit der Internet und TV zusammenwachsen", meint Andrew Heyward, ehemaliger Präsident des US-Fernsehsenders "CBS News", gegenüber der "New York Times".

Dass ein Einsatz des Internets als Wahlkampfmedium enormes Potenzial hat, haben sowohl die demokratischen als auch die republikanischen Parteiverantwortlichen erkannt. So hat Barack Obama beispielsweise eine eigene Gruppe im Online-Netzwerk Facebook ins Leben gerufen, die mittlerweile über rund 2,3 Millionen Mitglieder verfügt. Zudem wurde ein spezieller Kanal auf dem Videoportal YouTube gestartet, der von der Obama-Wahlkampfzentrale allein in der vergangenen Woche mit 70 neuen Videos gefüttert worden ist. "Der Wahlkampf über neue Medien wie das Internet hat enormes Potenzial", bestätigt Mirela Isic vom Centrum für angewandte Politikforschung (CAP) der Ludwig-Maximilians-Universität in München gegenüber pressetext. Nicht nur die Politik in den USA hätte dies erkannt, auch in Deutschland werde das Netz bereits verstärkt im Wahlkampf eingesetzt. "Das konnte man eindrucksvoll im Rahmen des letzten Wahlkampfs in Hessen beobachten, wo die FDP über das Internet viele Stimmen gewinnen konnte", so Isic. (pte)