Debatte über Zukunft der Musikbranche

US-Gericht verschafft Napster eine Atempause

04.08.2000
MÜNCHEN (CW) - Der Fall Napster ist zwar vertagt, zieht aber nach wie vor weite Kreise. Die amerikanische Startup-Firma zwingt die Musikbranche, rasch ein Konzept für den Internet-Vertrieb von Musik auf die Beine zu stellen, um die Surfer nicht an die Napster-Nachfolger zu verlieren.

Ein amerikanisches Berufungsgericht hat die einstweilige Verfügung eines US-Bezirksgerichts gegen die Musiktauschbörse Napster im Internet aufgehoben. Nun bleibt dem Unternehmen bis 18. August Zeit, Argumente für die urheberrechtliche Unbedenklichkeit seines Geschäftsmodells schriftlich darzulegen. Die Gegenseite, die Record Industry Association of America (RIAA), hat für die Darstellung ihrer Position bis zum 8. September Zeit. Danach soll sich das Gerichtsverfahren anschließen. Napster wird vorgeworfen, dass seine Nutzer urheberrechtlich geschützte Musik, die von in MP3-Dateien umgewandelten CDs stammt, untereinander austauschen. Nach Angaben des Bundesverbandes der Phonographischen Wirtschaft stehen auf der Website etwa 750000 Titel zum Download bereit, und allein deutsche Surfer hätten sich etwa 1000 Titel pro Minute heruntergeladen. Weder die Plattenfirmen noch die Künstler profitierten von den Transfers.

Ob die rund 22 Millionen Napster-User, statt sich Tonträger zu kaufen, ihre Musik nur noch aus dem Web laden, lässt sich kaum genau feststellen. Eine von Jupiter Communications organisierte Umfrage unter 2258 Musikliebhabern ergab, dass Napster-Teilnehmer eher geneigt sind, CDs zu erwerben, als Befragte, die den umstrittenen Dienst nicht nutzen. Dies untermauert die Argumentation Napsters, dass von der Tauschbörse keine Gefahr für die Musikbranche ausgehe. Die Firma verweist gern darauf, nicht für die urheberrechtlich bedenklichen Aktivitäten ihrer Anwender verantwortlich zu sein.

Napsters NachahmerAuch wenn Napster letztlich schließen muss, bleiben ähnliche Dienste wie Gnutella, Imesh.com, Cute MX und Audiofind zunächst unbehelligt. Zudem ist der Rechtsstreit für die Branche ein zweischneidiges Schwert: Einerseits will man sich den Störenfried Napster vom Hals schaffen, andererseits könnte eine harte Gangart gegen die Firma Millionen von Konsumenten weltweit verprellen.

Ungeachtet des Prozessausgangs: Napster hat die Debatten über die Zukunft der Musikbranche im Internet um ein Vielfaches verschärft. Beschränkten sich Online-Shops bisher darauf, Tonträger zu verkaufen, sehen Marktauguren gute Chancen für den kommerziellen digitalen Vertrieb von Musik. Die Marktforscher von Jupiter empfehlen der Branche, sich rasch im Online-Geschäft zu engagieren. Allein für die USA prognostizieren die Analysten einen Umsatz von 5,4 Milliarden Dollar mit Liedgut im Jahr 2005, was einem Viertel des gesamten Marktvolumens gleichkommt. 28 Prozent davon - etwa 1,5 Milliarden Dollar - sollen dabei auf digital vertriebene Produkte entfallen. Doch der Verkauf der Musik wird nicht so bleiben wie heute. So erwarten die Analysten, dass künftig die Kunden Musik abonnieren. Gegen eine Gebühr können Surfer dann beispielsweise einen Monat lang Songs aus dem Netz laden. Jupiter beziffert den Umsatz mit dem Abo-Modell im Jahr 2005 auf 980 Millionen Dollar. Frank Sarfeld, Sprecher der Bertelsmann E-Commerce Group, sieht da eine Analogie zu Internet-Gebühren. Anfangs gab es nur den Minutenpreis, mittlerweile bieten die Provider auch Flatrates an.