Entscheidung nach 20 Jahren versetzt die Chip-Industrie in Aufruhr

US-Erfinder erhält jetzt das Patent für den Mikroprozessor

07.09.1990

LOS ANGELES (CW) - Nach einer Entscheidung des US-Patentamtes muß möglicherweise ein Teil der EDV-Geschichte neu geschrieben werden. Zwanzig Jahre nach seinem Patentantrag erklärte die Washingtoner Behörde einen unbekannten Elektronik-Bastler zum Erfinder des Mikroprozessors. In Analystenkreisen wird erwartete daß die Chiphersteller das Patent mit allen Mitteln anfechten.

Bis vor einer Woche kannte niemand in der DV-Welt den Namen von Gilbert P. Hyatt, einem 52jährigen Erfinder, der wie ein Einsiedler in La Palma, Kalifornien, lebt. 1968 will er in seinem zu einem Labor umgebauten Wohnzimmer den ersten Mikroprozessor der Welt konstruiert haben. Seine mittlerweile von ihm geschiedene Frau habe ihm bei der Verdrahtung des Prototypen geholfen. Zwei Jahre später, nachdem eine Venture-Kapitalspritze es ihm ermöglicht hatte, mit seiner Firma Micro Computer Inc. aus der Wohnung auszuziehen, meldete er die Konstruktion zum Patent an.

Bislang galt der Intel-Ingenieur Marcian E. (Ted) Hoff als Erfinder des Mikroprozessors. Intels 4004, nach bisheriger Überzeugung der erste Mikroprozessor, kam 1971 auf den Markt - ein Jahr nach Hyatts Patentanmeldung. Gerätselt wird derzeit über die Beziehungen zwischen Hyatt und Intel.

Stuart Lubitz, Patentanwalt in Los Angeles und einer der damaligen Finanziers von Micro Computer, behauptet, daß auch die beiden Intel-Gründer Gordon Moore und der kürzlich verstorbene Robert Noyce in Hyatts Firma investiert hätten. Hyatt selbst wollte sich dazu nicht äußern. Allerdings bestätigte er, Ted Hoff in den sechziger Jahren gekannt zu haben.

Wie das Wall Street Journal berichtet, hatte das US-Patentamt Hyatts Anmeldung mehrfach abgewiesen und immer wieder Beweise gefordert daß er bestimmte knifflige Probleme, etwa die Verdrahtung der winzigen Transistoren auf dem Chip, gelöst habe. Jetzt endlich war es zufriedengestellt. Am 17. Juli 1990, zwanzig Jahre nach der ersten Anmeldung, erhielt er das Patent für die "Single Chip Integrated Circuit Computer Architecture" zugesprochen. Für Hyatt könnte die Entscheidung Lizenzeinnahmen in mehrstelliger Millionenhöhe bedeuten.

immerhin hat der weltweite Markt für Mikroprozessoren und Mikrocontroller ein Volumen von derzeit 5,5 Milliarden Dollar.

Angesichts der zu auf sie zukommenden Kosten werden die Prozessorenhersteller das Patent "mit Klauen und Zähnen bekämpfen" vermutet Peter Courture, ein kalifornischer Copyright-Anwalt. Vor allem werden sie versuchen, Beweise dafür zu finden, daß die Techniken, die Hyatts Patent abdeckt, schon vorher existierten, um es für ungültig erklären zu lassen. Michael Slater, Herausgeber des einflußreichen Microprocessor Report, sieht dafür durchaus Chancen: "Damals (in den 60er Jahren) gab es eine Menge unabhängiger Parallel-Entwicklungen".

Gilbert Hyatt erklärte, nur geringe Lizenzgebühren fordern zu wollen. Er glaube nicht, daß sie für die Hersteller ein Problem darstellen werden. Offenbar, so die US-Zeitschrift Infoworld, geht es ihm mehr um seinen Platz in der Geschichte, als darum, einer der reichsten Männer des Planeten zu werden.

Viele Millionen oder gar nichts

Daß ihn niemand kennt, sei Absicht gewesen, erklärte Hyatt in einem Telefoninterview mit der Infoworld: Ich bin ein kleiner Mann, den die großen Firmen leicht niedermachen können". Nicht einmal sein Agent weiß sehr viel über ihn: Er ist ein klassischer Technik-Freak und lebt sehr zurückgezogen".

Seit dem Ende seiner eigenen Firma 1971 arbeitete Hyatt als Berater für die Luft- und Raumfahrtindustrie bei der Entwicklung militärischer Computersysteme. Parallel dazu betrieb er private Forschungen und Entwicklungen. Mehr als 50 Patente in den verschiedensten Bereichen der Technik waren bis heute das Ergebnis.

Mit den Einnahmen aus dem Prozessor-Patent will Hyatt seine laufenden Projekte in den Bereichen Flüssigkristall-Displays und Grafikprozessoren vorantreiben. Gegenwärtig verhandelt er mit einem noch anonymen US-Großunternehmen über ein Joint venture, das sich um die Lizenzvergabe und die weiteren Entwicklungen kümmern soll.

Noch ist völlig offen, ob es Hyatt gelingt, seine Ansprüche gegen die mächtigen Chip-Produzenten durchzusetzen. Die Hauptbetroffenen hüllen sich vorerst in Schweigen. Die Anwälte studierten noch die Unterlagen, heißt es. Auch habe Mr. Hyatt bislang noch keine Ansprüche angemeldet. Ein Sprecher der deutschen Intel GmbH erklärte jedoch, "als jemand, der selbst im Glashaus sitzt" - Intel liegt seit längerem mit AMD im Copyright-Clinch - werde man sehr darauf achten, jedes fremde Patent zu respektieren.

Unklar ist, wieviel dem Einzelkämpfer seine Erfindung einbringen wird. Jeder Betrag sei möglich, sagt Willis E. Higgins, ein Chip-Patent-Anwalt aus Palo Alto: Es kann sein, daß er viele Millionen Dollar bekommt - oder auch gar nichts". Entscheidend dürfte sein, wieviel Hyatt von den Herstellern fordert. Sollte er mehr als nur einige Pfennige pro Prozessor verlangen, wird ihm nach Einschätzung von Michael Slater mit Sicherheit "eine gewaltige Schlacht" bevorstehen.