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Wikileaks-Coup

US-Diplomatie wohl vor unangenehmer Woche

29.11.2010
Wie werden Politiker anderer Länder in Washington tatsächlich gesehen - abseits der Fototermine?

Die Veröffentlichung Hunderttausender klassifizierter Diplomaten-Dossiers durch Wikileaks gewährt Einblicke. Darunter findet sich jede Menge Banales und längst Bekanntes, aber auch Peinliches und Pikantes.

Der amerikanischen Diplomatie dürfte eine unangenehme Woche bevorstehen: Nach Beginn der Veröffentlichung von über 250.000 vertraulichen diplomatische US-Depeschen durch die Enthüllungsplattform Wikileaks sollen in den nächsten Tagen noch mehr der Dokumente ins Netz gelangen. "New York Times" und "Spiegel Online" wollten im Laufe der Woche in Fortsetzung über Inhalte berichten, meldeten beide Medien am Sonntag.

Was bisher bekanntwurde, enthüllt wenig schmeichelhafte Urteile der Amerikaner über Politiker in aller Welt - und auch über die deutschen Partner. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bescheinigten sie, "selten kreativ" zu sein und das Risiko zu meiden.

Die US-Regierung verurteilte den jüngsten Coup der Internet-Aktivisten am Sonntag aufs Schärfste. Er sei "rücksichtslos" und "gefährlich", erklärte der Sprecher von Präsident Barack Obama, Robert Gibbs. Die Publikation der vertraulichen und teils geheimen Dokumente gefährde weltweit Regimekritiker und Oppositionsführer, die im Kontakt mit amerikanischen Diplomaten stünden.

Aus den Dokumenten geht auch hervor: Der afghanische Präsident Hamid Karsai wird als "schwache Persönlichkeit" beschrieben, die von "Paranoia" und "Verschwörungsvorstellungen" getrieben werde. Russlands Premierminister Wladimir Putin werde als "Alpha-Rüde" bezeichnet, als dessen "Sprachrohr" in Europa zunehmend Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi erscheine. Russlands Präsident Dmitri Medwedew sei dagegen "blass" und "zögerlich".

Neben "Spiegel" und "New York Times" veröffentlichten auch der britische "Guardian", die französische "Le Monde" sowie "El País" aus Spanien ihre Analysen des Materials zeitgleich im Internet. All diesen Leitmedien hatte Wikileaks das Material bereits exklusiv vorab zur Verfügung gestellt. Beim "Spiegel" gab es eine peinliche Panne - die Printausgabe mit der Analyse wurde kurzzeitig bereits am Sonntagmorgen an einem Baseler Kiosk verkauft, obwohl das eigentlich nicht vor 22:30 Uhr hätte passieren sollen.

Woher die Enthüllungs-Website, die am Sonntagabend durch eine umfassende Daten-Attacke unbekannter Herkunft kurzfristig lahmgelegt wurde, die Datensätze hat, ist nicht bekannt. Laut "Spiegel" stammen 90 Prozent der Dokumente aus der Zeit seit 2005. Nur sechs Prozent seien als "geheim" eingestuft, 40 Prozent als "vertraulich". Der frühere US-Botschafter in Deutschland, John Kornblum, räumte in der ARD-Sendung "Anne Will" am Sonntagabend ein, dass bei einem für rund 250.000 Menschen zugänglichen Intranet der US-Regierung ("SIPRNet") ein Leck wie das jetzt geschehene nahezu unvermeidlich gewesen sei.

Weltweit hatten sich Regierungen auf die Veröffentlichung vorbereitet. Die USA warnten ihre Partner - auch Deutschland - vor. Der US-Botschafter in Deutschland, Philip Murphy, rechtfertigte die Einschätzungen seiner Kollegen als "normale diplomatische Arbeit".