Veränderungen in Management und Strategie deuten sich an

US-Analyst: IBM befindet sich momentan in einer Umbruchphase

11.05.1990

FRANKFURT (jm) - Auf den wachsenden Konkurrenzdruck der PCMer werde Big Blue mit wesentlichen Veränderungen in Management und Unternehmensstrategie antworten, resümierte Marc Butlein, Präsident der US-Unternehmensberatung Meta-Group.

1989 sei zwar in der Bundesrepublik ein sehr gutes Jahr für die IBM gewesen. International gesehen habe der Blaue Riese jedoch Federn lassen müssen, referierte der DV-Berater aus Westport im US-Bundesstaat Connecticut auf einer Veranstaltung der ECS Deutschland GmbH in Frankfurt (Vgl. auch CW Nr. 18 vom 4.5.1990, Seite 1 "IBMs Summit-Größtrechner..."). Seine wichtigste Empfehlung für Anwender vor dem Hintergrund der zu erwartenden Ankündigungen der Armonker: Kaufentscheidungen für mittlere und große Rechnersysteme solle man noch drei Monate zurückstellen. Dringend anstehenden Bedarf könne man vorübergehend aus dem Gebrauchtmarkt befriedigen.

Schuld an den Rückschlägen bei der IBM ist laut Butlein ein ganzer Katalog von internen Problemen: So habe beispielsweise ein defensiv eingestelltes Management zugunsten kurzfristiger Gewinnoptimierung falsche Entscheidungen, wie die dreiprozentige Anhebung der Hardwarepreise in den USA, getroffen.

Kritisch wertete der US-Analyst auch, daß Big Blue seine Kunden in der Vergangenheit mit teils gravierenden technischen Produktmängeln konfrontiert hatte. Butlein nannte als Beispiel das strategisch wichtige 3390-Speicherplatten-Produkt, das im Juli vergangenen Jahres innerhalb von Tagesfrist wegen Problemen mit einem Schmiermittel zurückgezogen worden war und dessen Vorstellung dann um Monate verschoben werden mußte.

Doch auch im PC-Bereich sei es zu erheblichen Problemen gekommen: Ein ihm bekannter Kunde habe bei einer großen Lieferung von PS/2-Rechnern 30 Prozent Ausfälle verzeichnen müssen. Diese Fehlerquote bei IBMs Mikrokanal-Maschinen sei aber seit Dezember 1989 auf sechs Prozent gefallen, schränkte Butlein ein.

Mit der 3090-Familie bietet die IBM nach Meinung des Marktbeobachters eine Mainframe-Reihe an, die mit über fünf Jahren Verweildauer am Markt eine veraltete Technologie repräsentiere. Erst Mitte 1991 könne mit dem "Summit"-Rechner als Nachfolger gerechnet werden, die Zwischenlösung "Foothill" als größere 3090-Maschine sei aber wohl ab Juni dieses Jahres verfügbar.

Neben diesen Schwachstellen in der Produktpalette müsse Big Blue erhebliche Verluste im mittleren Management verkraften. "Eine Armee wird von ihren Unteroffizieren und Feldwebeln getragen. Wenn die fehlen, hat die Armee kein Stützkorsett mehr", versuchte Butlein die Bedeutung des Aderlasses in dieser Hierarchie-Ebene zu verdeutlichen.

Mangelnde Softwarekenntnisse bei den Sales-Leuten

Ein wesentlicher Kritikpunkt sei auch die mangelnde fachliche Kompetenz des Verkaufspersonals. "Der Kenntnisstand der Sales-Leute, gerade auch im Software-Bereich, ist dramatisch gesunken", so Butlein mit Verweis beispielsweise auf die von den Armonkern erst vor kurzem vorgestellten RISC/6000-Systeme. Auch glaubt der Meta-Group-Chef, eine geringe Motivation bei den Mitarbeitern des Branchenprimus feststellen zu können. Zudem sei die Marketing-Organisation von Big Blue nicht mehr so hervorragend wie früher.

Butlein schließt daraus, daß die IBM im Zuge eines drei- bis fünfjährigen Umstrukturierungsplanes wichtige Veränderungen sowohl im Management als auch in der Unternehmenskultur und auf strategischem Gebiet vornehmen werde.

Dennoch sieht der Marktforscher auch in Zukunft den Erfolg der Armonker gesichert: "Die Benutzer wollen den Erfolg von IBM, denn sie ist nach wie vor der bevorzugte Anbieter." Zudem setze das Unternehmen weiterhin Preis- und De-facto-Standards, auch spiele es eine vorherrschende Rolle bei komplexer Systemsoftware. Darüber hinaus kontrollierten die Armonker den Markt im oberen Rechnerbereich und hätten Anstrengungen unternommen, einen Schub in Richtung Systemdienstleistungen einzuleiten.

Um Verluste durch sinkende Hardwarepreise aufzufangen, sei die IBM darauf verfallen, die Softwarepreise erheblich anzuheben. Man könne sich das leisten, weil hier die Konkurrenz deutlich geringer sei.

Aller Kritik zum Trotz machte Butlein allerdings eins klar: "Mit sechs Milliarden Dollar ist das Budget der Armonker allein für Forschung und Entwicklung immer noch doppelt so hoch wie die Umsätze der Konkurrenten Hitachi und Amdahl zusammen."

Deshalb ist sich der Unternehmensberater auch sicher, daß Big Blue seine Führungsposition bis 1995 weiter ausbauen wird, wobei allerdings die Dominanz aus dem Jahre 1984 nicht mehr erreicht werde.