EDV und Recht:

Urteile aus der Vertragspraxis

14.08.1981

2-4-° 9-2 Urteil des LG Siegen vom 15. Oktober 1976 (2 0 261/77)

Programm- oder Bedienungsfehler?

Nichtamtliche Leitsätze:

1. Ein Vertrag über die Erstellung eines DV-Programms ist Werkvertrag, auch wenn die Herstellerin ihn als Dienstvertrag bezeichnet.

2. Ist die Programmdokumentation überaus mangelhaft, geht das zu Lasten der Herstellerin: Kann anhand der Dokumentation nicht festgestellt werden, ob ein Bedienungsfehler oder ein Programmfehler vorgelegen hat, ist ein Programmfehler anzunehmen.

3. Es reicht für eine Fehlermeldung von DV-Laien aus, daß der DV-Laie mitteilt, daß eine Störung eingetreten ist und wie diese sich auswirkt. Es kann nicht verlangt werden, daß er die Störung im einzelnen begründet und sie detailliert.

4. Hat der Kunde 32 Mängelrügen im Laufe von eineinhalb Jahren mitgeteilt, kann er ohne Setzung einer Nachfrist vom Vertrag zurücktreten.

5. Eine Abnahme von Programmen verlangt ihrem Wesen nach eine Prüfung des Funktionierens, während die bloße Übernahme des Datenträgers keine Prüfung und Billigung darstellt. Die Verjährungsfrist beginnt also nicht mit der Übernahme.

6. Hat der Kunde durch die AGB des Herstellers nur Anspruch auf Fehlerbeseitigung, beginnt die Verjährungsfrist erst zu dem Zeitpunkt, zu dem sich die Zwecklosigkeit weiterer Nachbesserungsversuche erweist.

Der Tatbestand läßt sich wie folgt zusammenfassen:

Die Klägerin kaufte von der Beklagten gemäß Auftragsbestätigung vom 3. 12. 1974 einen Büro-Computer zum Preis von 27 750 DM.

Zugleich beauftragte sie die Beklagte mit der Erstellung eines Datenverarbeitungsprogramms (sogenannte "Software"), an das sie in der Folgezeit noch zusätzliche Anforderungen stellte. Die Beklagte lieferte den Computer und erstellte auch das Programm. Für diese Software erteilte sie Rechnungen über 24 198 DM.

In der Folgezeit rügte die Klägerin immer wieder angebliche Mängel des, Programms. Während die Klägerin aufgetretene Funktionsstörungen auf fehlerhafte Programmierungen durch die Beklagte zurückführte, sieht die Beklagte die Ursache solcher Funktionsstörungen in Bedienungsfehlern seitens der Mitarbeiter der Klägerin.

Schließlich beauftragte die Klägerin die Firma X im Dezember 1976 mit der Erstellung eines Programms. Seitdem läuft die Anlage reibungslos.

Mit Schreiben vom 3. 2. 1977 erklärte die Klägerin bezüglich der Software die Wandlung und rückbelastete die Beklagte mit insgesamt 24 198 DM. Diese klagte sie ein.

"Die Klägerin behauptet, die Beklagte habe es in 2 Jahren nicht vermocht, ein ordnungsgemäßes Programm zu erstellen. Sie haben, daher zu Recht die Wandlung erklärt und die Firma X mit der Erstellung eines Programms beauftragt. Es seien vom 21.1.1975 bis zum 14.12.1976 zahllose Reklamationen, per Schreiben, Einschreiben und Telex gerichtet worden. Sämtliche Besuche von Mitarbeitern der Beklagten hätten der Behebung von Mängeln gedient, so daß diese deren Besuche auch nicht in Rechnung stellen könne ...

Die Beklagte behauptet, ein ordnungsgemäßes Programm erstellt zu haben. Die Besuche ihrer Mitarbeiter hätten der Beseitigung von Bedienungsfehlern gedient, nicht der Beseitigung von Mängeln des Programms." Den Aufwand für diese Besuche klagte die Beklagte im Wege der Widerklage ein.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet, die Widerklage ist unbegründet.

"I. Die Klage ist begründet aus ° 634 Absatz I BGB. Denn die Klägerin hat zu Recht von der Beklagten, die Rückgängigmachung (Wandelung) des Vertrages verlangt, soweit , er sich über die Software verhält, weil die Software mit Fehlern behaftet war, die ihre Tauglichkeit zu dem nach dem Vertrag vorausgesetzten Gebrauch aufhob oder aber mindestens erheblich minderte.

1. Vertrag über Hardware und Software bilden keine untrennbare Einheit, sondern können getrennt betrachtet und behandelt werden. Auf den Vertrag über die Software ist Werkvertragsrecht anzuwenden (zu diesen Fragen vgl. eingehend Urteil der Kammer vom 16. 6. 1971, 2 O 167/ 69; vgl. auch BGH WPM 1971, 615 ff).

2. Das von der Beklagten erstellte Programm war fehlerhaft. Daß es zu häufigen Funktionsstörungen des Computers kam, ist unstreitig und auch von den Zeugen bestätigt worden. Das Gericht geht davon aus, daß diese, Funktionsstörungen mindestens weit überwiegend auf Programmfehler zurückzuführen sind, für die die Beklagte die Verantwortung trägt. Das hat nicht nur der Zeuge K1 bekundet.

Auch der Sachverständige, kommt in seinem überzeugenden Gutachten zu dem Ergebnis, daß in mindestens 3 Punkten Programmfehler vorliegen.

In einem weiteren Punkt hat er eine Überprüfung nicht vornehmen können, weil die unzureichende Dokumentation dies nicht zugelassen habe. Die "überaus mangelhafte Dokumentation" sei als ein schwerwiegendes Problem anzusehen, führt der Sachverständige aus. Das muß aber ganz eindeutig zu Lasten der Beklagten gehen. Gerade auf dem Gebiet der Datenverarbeitung ist der Besteller völlig in die Hand des Programmerstellers gegeben; als Laie auf diesem hochspezialisierten Gebiet muß er sich ganz auf die Mitarbeiter der Beklagten verlassen, und "gute Computerverkäufer sind rar" (FAZ vom 11. 10. 1979). Soweit also eine mangelhafte Dokumentation vorliegt, geht dies zu Lasten der Beklagten. Das sagt im Ergebnis auch der Sachverständige, wenn er ausführt, "aus diesem Grunde" (= mangelhafte Dokumentation) solle die Beklagte sich nicht auf Bedienungsfehler berufen, selbst wenn ein Fehler dadurch begründet sein sollte; es sei zu bedenken, daß Büro-Computer von ADV-Laien betrieben werden.

Weitere Fehler konnte der Sachverständige nicht bestätigen, da die Begründung beziehungsweise Detaillierung seitens der Klägerin nicht ausreiche. Soweit damit gemeint sein sollte, daß von der Klägerin erwartet werden kann, die Störungen im einzelnen zu begründen und zu detaillieren, kann dem nicht gefolgt werden. Es muß ausreichen, wenn die Klägerin als Laie mitteilt, daß eine Störung eingetreten ist und wie sich diese auswirkt. Schließlich ist zwar zuzugeben, daß nachträgliche Änderungswünsche die Fehlerquote erhöhen können. Aus der wiederum mangelhaften Dokumentation kann der Sachverständige aber nicht klären, wer hierfür die Verantwortung zu tragen hat; wie bereits ausgeführt, geht dies zu Lasten der Beklagten. Außerdem war das vollständige Programm spätestens im Juni 1975 erstellt. Es hätte der Beklagten möglich sein müssen, etwaige Fehler bis zum 14, 12. 1976 zu beheben.

Schließlich müssen daraus Schlüsse gezogen werden, daß der Computer reibungslos lief, nachdem mit dem vorn Zeugen K1 erstellten Programm gearbeitet wird. Wenn Bedienungsfehler die Ursache der Störungen waren, hätten sie auch bei der Arbeit mit dem neuen Programm eintreten müssen. Daß aber seit der Anwendung des neuen Programms des Zeugen K1 Störungen nicht mehr aufgetreten sind, läßt den Schluß zu, daß die Störungen aufgrund eines fehlerhaften Programms auftraten.

3. Eine Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung ist im vorliegenden Fall entbehrlich.

Die Klägerin führt für die Zeit vom 21. 1.1975 bis 14. 12. 1976 23 Schreiben - teilweise Einschreiben - und 9 Fernschreiben auf, in denen sie Mängel gerügt hat. Dem kann die Beklagte nicht mit der schlichten Behauptung entgegentreten, vor dem 14. 12. 1976 sei nicht gerügt worden. Ein solches Bestreiten ist unsubstantiiert. Überdies hat die Zeugin K2 bekundet, daß tatsächlich häufig bei der Beklagten Mängel gerügt worden seien. Unter diesen Umständen war es für die Klägerin nicht mehr zumutbar, erneute Nachbesserungsfristen mit Ablehnungsandrohungen auszusprechen; sie durfte daher ohne eine Fristsetzung die Wandlung erklären.

4. Das Wandlungsbegehren der Klägerin ist auch nicht "verspätet", das heißt verjährt. Gemäß ° 638 BGB verjährt ein Wandlungsanspruch binnen 6 Monaten, gerechnet vom Zeitpunkt der Abnahme.

Eine Abnahme der Software hat nämlich niemals stattgefunden. Üblicherweise läßt die Beklagte die Abnahme unter Verwendung des Formulars "Übergabeprotrokoll für Dienstleistungen Software" vom Kunden vornehmen. Im vorliegenden Fall liegt zwar ein solches von beiden Parteien unterschriebenes Formular mit dem Datum 17. 7. 1975 vor. Dem vorgedrückten Satz "Die Programme wurden dem Käufer zur Prüfung vorgeführt und von diesem, dem Vertrage entsprechend, übernommen" ist aber ein maschinenschriftlicher Zusatz zugesetzt, der wie folgt lautet: "Erst nach Erhalt der Programmkarten und Formulare, Einarbeitung möglich. Unter diesem Vorbehalt, da Prüfung noch nicht möglicher." Eine Abnahme im Sinne des ° 640 BGB kann daher in diesem "Übergabeprotokoll" nicht gesehen werde. Eine "Abnahme" von Programmen verlangt ihrem Wesen nach eine Prüfung des "Funktionierens", während die bloße körperliche Übergabe von Lochkarten usw, keine Prüfung und Billigung des bestellten Werkes "Programm" darstellt,

Schließlich ist die Wandlung auch aus folgenden Erwägungen nicht verjährt (zum Folgenden vgl. 2 O 167/69 Urteil vom 16. 6. 1971):

Angesichts der Beschränkung der Rechte der Klägerin durch die AGB der Beklagten muß der Beginn der Verjährungsfrist bis zu dem Zeitpunkt als aufgeschoben betrachtet werden, an dem die Klägerin erstmalig die Wandlung erklären konnte, also bis zu dem Zeitpunkt, zu dem sich die Zwecklosigkeit weiterer Nachbesserungsversuche erwies. Das war aber erst im Dezember 1976, erklärte wurde die Wandlung mit Schreiben vom 3. 2. 1977. Verjährung ist nach alledem nicht eingetreten.

II. Daß die Widerklage unbegründet ist, ergibt sich bereits aus den Ausführungen unter Ziffer 1 2, auf die verwiesen wird. Das Gericht geht davon aus, daß die in Rechnung gestellt Kosten solche der Mängelbeseitigung waren, die von der Beklagten nicht in Rechnung gestellt werden können.

Angesichts nachgewiesener Fehlerhaftigkeit des Programms obliegt es der Beklagten, für jeden Einzelposten nachzuweisen, daß es sich nicht um Mängelbeseitigung handelte, sondern um Arbeiten zur Behebung von Störungen, die durch Bedienungsfehler von Mitarbeitern der Klägerin verursacht wurden. Das ist nicht geschehen.

Anmerkung:

Jeder Hersteller sollte das Urteil Satz für Satz lesen und überlegen, inwieweit sein . Vorgehen gegenüber Kunden, die Fehler monieren, rechtens ist. Dem Urteil ist voll und ganz beizutreten.