Schutz des geistigen Eigentums

Urheberrecht und Massendigitalisierung in der EU

27.01.2010
Von 


Renate Oettinger war Diplom-Kauffrau Dr. rer. pol. und arbeitete als freiberufliche Autorin, Lektorin und Textchefin in München. Ihre Fachbereiche waren Wirtschaft, Recht und IT. Zu ihren Kunden zählten neben den IDG-Redaktionen CIO, Computerwoche, TecChannel und ChannelPartner auch Siemens, Daimler und HypoVereinsbank sowie die Verlage Campus, Springer und Wolters Kluwer. Am 29. Januar 2021 ist Renate Oettinger verstorben.

Bibliotheken und Archive

Es gibt zwei Hauptprobleme: die Erstellung digitaler Kopien der Bibliotheksbestände zum Zwecke der Bewahrung und die elektronische Bereitstellung dieser Kopien für die Benutzer. Nach den derzeitigen Rechtsvorschriften genießen Bibliotheken und Archive keine generelle Ausnahme für die Digitalisierung ihrer gesamten Bestände (Massendigitalisierung). Die einschlägige Ausnahme beschränkt sich auf bestimmte Vervielfältigungshandlungen zu nicht kommerziellen Zwecken. Für die Digitalisierung ganzer Bibliotheksbestände ist daher die vorherige Zustimmung der Rechteinhaber erforderlich. Dazu bemerken die Bibliotheken, dass das System der "vorherigen Zustimmung" mit einem erheblichen Verfahrensaufwand verbunden ist (da die Verleger oft nicht über die "digitalen" Rechte verfügen und die Kosten einer individuellen Abklärung der Rechte zu hoch sind).

Zusätzliche Probleme entstehen, wenn das zu digitalisierende Material aus unveröffentlichten Briefen, privaten Tagebüchern oder Geschäftsaufzeichnungen besteht. In diesem Zusammenhang unterstreichen Bibliotheken und Archive ihre herausragende Stellung bei der langfristigen Bewahrung und Verwaltung des Kulturerbes. Sie betonen, dass ihre Rolle weit über die der Verleger hinausgeht, weil sie ihren Auftrag im öffentlichen Interesse wahrnehmen, während die Verleger kommerzielle Produktionsunternehmen sind. Einrichtungen von öffentlichem Interesse möchten ihre Bestände online zur Verfügung stellen, vor allem auch Werke, die kommerziell nicht erhältlich sind, und argumentieren, dass dies nicht ausschließlich auf den Zugang innerhalb ihrer Räumlichkeiten beschränkt werden sollte.

Das Problem der Digitalisierung wurde in der hochrangigen Expertengruppe zu digitalen Bibliotheken ausführlich bis zum Erreichen eines ersten Konsens erörtert. Kultureinrichtungen und Rechteinhaber unterzeichneten sogar eine Absichtserklärung in Bezug auf die sorgfältige Suche. Verbindliche Lösungen für die genannten Probleme sind bislang aber noch nicht gefunden worden.

Verleger und Verwertungsgesellschaften sehen keinerlei Rechtfertigung für eine Ausweitung der für Bibliotheken und Archive bereits bestehenden Ausnahmen in Bezug auf die Bewahrung und Bereitstellung. Sie befürworten die Beibehaltung des bestehenden Systems aus Lizenzregelungen und vertraglichen Vereinbarungen auch für die Digitalisierung und den verstärkten Online-Zugriff auf die Werke. Sie behaupten, eine Ausweitung der derzeitigen Ausnahmen dahingehend, dass Bibliotheken, Archive und Bildungseinrichtungen Online-Dienste für Endnutzer erbringen dürften, würde die Stellung der Rechteinhaber untergraben und zu einem ungleichen Wettbewerb mit Verlegern führen, die dadurch von Investitionen in neue Geschäftsmodelle abgeschreckt würden. Bibliotheken sollten weiterhin grundlegende Dienste erbringen, aber die Online-Bereitstellung von geschütztem Material dürfe nicht dazu ohne Bezahlung zu erhalten und zu verwenden. Vorkehrungen gegen ein "digitales Leck" seien unverzichtbar, wenn dafür gesorgt werden soll, dass Bibliotheken aufgrund ihrer Ausnahmen die Werke nur innerhalb ihrer Räumlichkeiten online bereitstellen.