UPDATE: Microsoft manipuliert weltweit Office-Standard

30.08.2007
Schweden, USA, Italien, Portugal: Plötzlich tauchen in Standardisierungsgremien Microsoft-geneigte Firmen auf, um Office Open XML (OOMXL) als ISO-Standard durchzudrücken.

Honi soit qui mal y pense: Am Montag beschloss das schwedische Standardisierungsinstitut SIS, Microsofts Dokumentenformat Office Open XML (OOXML) als ISO-Standard zu empfehlen. Merkwürdigerweise erschienen zu dieser Sitzung 23 neue stimmberechtigte Unternehmen, die man in dem Kreis zuvor nie gesehen hatte. Durch sie erhielt OOXML eine überraschende Mehrheit, während zuvor eine Ablehnung erwartet worden war. Schweden wird nun in der ISO für die Anerkennung des Microsoft-Dokumentenformats als Standard stimmen (mehr dazu hier).

Inzwischen berichtet "ComputerSweden", eine Schwesterpublikation der COMPUTERWOCHE, Microsoft habe nicht – wie zunächst vom schwedischen Förderverein für freie informationelle Infrastruktur (FFII) vermutet – für die neuen SIS-Mitglieder die Gebühren von jeweils 15.000 Schwedischen Kronen übernommen. Das wäre auch zu plump. Vielmehr fordert Microsoft in einer E-Mail Geschäftspartner auf, SIS-Mitglied zu werden und an der entscheidenden Sitzung des Gremiums am 27. August teilzunehmen, "um mit Ja für Office Open XML zu stimmen". Die Firmen möchten bitte auch bei weiteren SIS-Sitzungen anwesend sein, um "ernst gemeinte Teilnahme" zu beweisen. Sie müssten allerdings die Mitgliedsgebühr selbst bezahlen. Doch zum Ausgleich werde Microsoft "Marketing-Beiträge" und "Sonderunterstützung in Form von Microsoft-Ressourcen" gewähren – wenn sie mit Ja stimmten. Microsoft Schweden hat die Echtheit der E-Mail bestätigt. Ein Manager bedauerte die "unangemessene" Wortwahl, die E-Mail "hätte nie verschickt werden sollen".

Ein ähnliches "Committee Staffing" hat sich vor etwas mehr als einem Monat in den USA ereignet. Dort stand ein Gremium des International Committee for Information Technology Standards (Incits) vor einer ähnlichen Entscheidung über die Stimme der USA bei der ISO-Standardisierung. Hier tauchten in der wichtigsten Sitzung aus dem Nichts 19 neue Mitglieder auf. Allerdings gelang der Coup zunächst nicht, weil zwei Stimmen zur Zweidrittel-Mehrheit fehlten (mehr dazu hier). Inzwischen zeichnet sich aber eine klare Mehrheit im Incits zugunsten Microsofts ab.

Als die COMPUTERWOCHE über diesen Vorgang in den USA berichtete, bat Microsoft umgehend um ein Gespräch zur Klärung der Vorgänge und Vorwürfe. Bei einem Telefonat am 25. August wollte sich Michael Grözinger, National Technology Officer von Microsoft Deutschland, dann allerdings nicht zu den verwunderlichen Ereignissen äußern. Diese seien ihm in den Details unbekannt.

Heute berichtet das "Wall Street Journal Europe" von weiteren Fällen in Italien und Portugal, wo Microsoft in Entscheidungsgremien in kürzester Zeit durch neue Mitglieder die Mehrheit und eine Zustimmung zu OXML bekam. So wuchs die Zahl der Mitglieder im zuständigen Subkomitee des italienischen Standardisierungsamts Ente Nazionale Italiano di Unificazione seit Januar 2007 von vier auf 85! Hier haben Anhänger des von der ISO bereits verabschiedeten Dokumentenstandards Open Document Format (ODF; verwendet in OpenOffice und StarOffice), als sie von der Microsoft-Strategie des "Committee Staffing" Wind bekamen, zum selben Mittel gegriffen. Der Komiteevorsitzende, Berater Leonardo Chiariglione, beklagte sich: "Die Abstimmung bekam solch eine Schärfe und wurde so politisch aufgepeitscht, dass ich keine Position mehr vertreten mochte." Das Votum ergab, dass sich Italien vor der ISO enthalten wird.

In Portugal steht der Microsoft-Manager Miguel Sales Diaz dem Standardisierungskomitee vor. Unter seiner Leitung wurden neue Mitglieder zugelassen, die Aufnahmeanträge von IBM und Sun aber abgelehnt, weil das Gremium schon zu viele Mitglieder habe. Die Abstimmung endete dann 13 : 7 zugunsten Microsofts. Diaz wusch seine Hände in Unschuld, er habe die Arbeit des Gremiums geleitet wie immer.

Auch in Spanien gab es einen OOXML-Skandal, der sogar eine Regionalregierung in Rage brachte: Hier verteilte Microsoft an die Mitglieder des Standardisierungsgremiums ein Dokument mit Erklärungen zum eigenen Standardvorschlag. Dazu gehörte ein Anhang mit positiven Stellungnahmen anderer Seiten. Darunter fand sich auch die Darstellung, die Regionalregierung von Andalusien unterstütze OOXML – was schon stutzig macht, denn Andalusien ist die Hochburg von Open-Source-Initiativen in der spanischen öffentlichen Verwaltung. Prompt beschwerte sich die Regierung Andalusiens per Brandbrief beim spanischen Normierungsinstitut, Microsoft habe völlig falsch aus einem Regierungsdokument zitiert. In diesem hatte die Regierung ihre Unterstützung für offene Standards und für das Open Document Format im Speziellen bekräftigt.

Sogar in Deutschland ist der Prozess um die DIN-Empfehlung für OOXML nicht ganz "koscher" gelaufen. Hier stand ein positives Votum längst fest, trotzdem tauchten in der Arbeitsgruppe NIA 34 zwei stimmberechtigte Microsoft-Partner auf, die sich an der inhaltlichen Diskussion nicht beteiligten, wohl aber an der Abstimmung. Das Ergebnis lautete 13 : 4 für Microsoft. Aber nicht so sehr das "Stimmvieh" sorgte hier bei Beteiligten für Unmut, "das Verfahren war formal korrekt", berichtet ein Beteiligter der COMPUTERWOCHE. Er ist empört, weil Microsoft eine alte ungeschriebene Regel im Deutschen Institut für Normung (DIN) verletzte, nur bei Einstimmigkeit Dinge zu verabschieden. Microsoft habe seine Angelegenheit durchgepaukt. Das schade letztlich dem Ansehen des DIN. Bei solchen Praktiken sei zu überlegen, ob die Normierungsverfahren überhaupt noch angemessen seien. (ls)