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Update: Fiscus-Mitarbeiter hoffen weiter

01.07.2005

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - "Wir sind noch keine Gesellschaft in Abwicklung", stellt Olaf Bruhn, Geschäftsführer der Bonner Fiscus GmbH, klar. Nur die Gesellschafterversammlung des Unternehmens könnte einen entsprechenden Beschluss fassen. Dies sei jedoch anlässlich der jüngsten Sitzung am 30. Juni nicht geschehen. "Wir sind nach wie vor eine vollständig funktionierende GmbH."

Wie lange, das bleibt abzuwarten. So haben die Finanzminister der Länder in einer Konferenz am 23. Juni dieses Jahres beschlossen, die Entwicklung einer bundesweit einheitlichen Software für die rund 650 Finanzämter in Deutschland auf eine neue Basis zu stellen. (siehe: "Finanzminister wollen Fiscus abwickeln") Im Rahmen des Vorhabens "Konsens" (Koordinierte neue Softwareentwicklung der Steuerverwaltung) nehmen die Bundesländer wieder das Heft in die Hand. Die Fiscus GmbH, die seit 2001 mit Auftrag der Länder an das Projekt vorantreiben sollte, scheint in diesen Plänen keinen Platz mehr zu haben. Die Finanzminister der Länder haben deshalb ihre Vertreter in der Gesellschafterversammlung der Fiscus GmbH gebeten, die Auflösung vorzubereiten und die Gesellschaft geordnet abzuwickeln. Dabei könnten rund 115 der insgesamt 170 Mitarbeiter ihren Job verlieren. Die übrigen kehren auf ihre Posten in der öffentlichen Steuerverwaltung zurück.

Bei der Belegschaft stoßen diese Pläne auf Unverständnis. Mit einer lautstarken Protestaktion begleiteten die Fiscus-Angestellten die jüngste Gesellschafterversammlung. Auch Geschäftsführer Bruhn hofft auf eine Fortführung der GmbH und bringt die Idee eines Management-Buy-Outs (MBO) ins Spiel. Zwar habe der Aufsichtsrat diesen Plänen im ersten Anlauf eine Abfuhr erteilt. Jedoch habe man in der Gesellschafterversammlung zumindest durchsetzen können, dass die Idee geprüft werde. Eine endgültige Entscheidung werde in den kommenden Sitzungen fallen. Am 10. August tagt der Aufsichtsrat, am 30. August trifft sich wieder die Gesellschafterversammlung. Erst dann könne auch frühestens der Beschluss zur Auflösung fallen, erläutert Bruhn.

Die Fiscus GmbH war vom Start weg in Schieflage. (siehe: "Fiskus-Projekt steht vor dem Scheitern"). So lehnte es Bayern ab, sich an den gemeinsamen Entwicklungen zu beteiligen, und forcierte mit EOSS (EOSS = Evolutionär orientierte Steuersoftware) sein eigenes Projekt - mit im Fahrwasser die neuen Bundesländer und das Saarland. In den folgenden Jahren monierten Rechnungsprüfer der Länder wiederholt die schleppenden Entwicklungen, die jedoch weniger der Fiscus GmbH anzulasten seien, als vielmehr der Unfähigkeit der verschiedenen Finanzverwaltungen, Entscheidungen zu treffen.

Im Sommer vergangenen Jahres zogen die Politiker einen ersten Schlussstrich (siehe: "Droht dem Fiskus-Projekt nach 13 Jahren und 900 Millionen Euro das Ende?"). In der Finanzministerkonferenz vom 9. Juli 2004 beschlossen die Minister, Fiscus zum reinen Software-Dienstleister zu degradieren, der von den einzelnen Ländern mit Teilaufgaben betraut werden sollte.

Diese Entscheidung vom vergangenen Jahr sei sicherlich ein Zurückstutzen der Firma gewesen, räumt Bruhn ein. "Allerdings auf ein Maß, das sie zu leisten im Stande ist." Der ursprüngliche Auftrag habe einem Komplett-Outsourcing entsprochen, wie es heute kein Unternehmen machen würde. Der Geschäftsführer verweist auf die Erfolge der vergangenen Monate. So sei die Online-Stammdatenabfrage in fünf Bundesländern flächendeckend im Einsatz. Außerdem habe Fiscus ein Modul für Bußgeld- und Strafsachen in einem Finanzamt eingeführt. Beide Produkte seien so weit abgenommen, dass sie bundesweit einsetzbar seien.

Das kann Dieter Ondracek, den Vorsitzenden der Deutschen Steuergewerkschaft, nicht überzeugen. "Bei der Entwicklung war Fiscus zu langsam und zu schwerfällig", kritisiert er. Es sei absehbar gewesen, dass die GmbH in ihrer jetzigen Form sterben würde. "Die Krux bei Fiscus war, dass sie meinten, etwas komplett neu entwickeln zu müssen." Dabei habe man offenbar die Komplexität unterschätzt.

Allerdings hätten auch die Länder ihren Beitrag zu den Problemen der Fiscus GmbH geleistet, stellt Ondracek fest. So hätten sich die Bundesländer nicht auf ein gemeinsames Produkt einigen können. Wenn niemand bei Fiscus etwas in Auftrag gebe, könne die Firma auch nicht arbeiten.

"Wir haben volle Auftragsbücher bis zum Ende nächsten Jahres", widerspricht Bruhn. Auf der anderen Seite behaupteten die Länderverantwortlichen, sie würden selbst über die notwendigen Kapazitäten und Fähigkeiten verfügen, die Entwicklung wieder in die eigene Hand zu nehmen. Darüber hinaus würde kein Dienstleister benötigt, gibt der Fiscus-Geschäftsführer die Argumentation der Steuerverwaltung wider.

Wie die künftige Entwicklung aussehen soll, ist erst in Grundzügen absehbar. So sollen sich vornehmlich die Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen um das Projekt Konsens kümmern. Angeblich sind auch die ersten Aufträge verteilt. Bayern wird sich federführend um die Software für die Veranlagung kümmern, während Niedersachen und Nordrhein-Westfalen die Entwicklung in Sachen Steuererhebung vorantreiben.

Ob diese Konstellation funktioniert, ist zweifelhaft. Bereits in den 90er Jahren waren die Länder am gegenseitigen Kompetenzgerangel gescheitert. Die Lösung wurde zur Jahrtausendwende in der Gründung der Fiscus GmbH gesehen. Jetzt kehren die Länder wieder zum alten Vorgehensmodell zurück.

"Die Parallelen zum Konzept aus den 90er Jahren sind frappierend", meint auch Bruhn. Einzig die Tatsache, dass es nun fünf Länder seien und nicht mehr 16 könnte einen Vorteil bedeuten, wenn es um Einigungsprozesse gehe. Es müsse sich jedoch noch zeigen, wie einigungsfähig die Beteiligten seien. Ein weiteres Problem sieht Bruhn in der fehlenden zentralen inhaltlichen Steuerung. Der Bund nehme nur eine koordinierende Funktion wahr.

"Es muss klappen", fordert Gewerkschaftsführer Ondracek. "Eine zweite Pleite kann sich niemand leisten." Nachdem die Finanzminister viel Lehrgeld gezahlt hätten für praktisch nichts, sei der Druck nun sehr hoch, im nächsten Anlauf endlich etwas auf die Beine zu stellen. Die Zahlen darüber, wie viel Geld bislang für das Fiscus-Projekt verschwendet wurde, gehen weit auseinander. Es ist die Rede von einem Betrag zwischen 250 und 900 Millionen Euro. Das meiste sei reine Spekulation, meint ein Insider. Allerdings dürfe man getrost davon ausgehen, dass hier sehr viel Geld aus dem Fenster geworfen wurde. Mit einer Schätzung von 400 Millionen Euro liege man sicher nicht ganz falsch. (ba)