Update: Droht dem deutschen Geheimdienst ein IT-Desaster?

22.04.2008
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Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Bund und Länder haben sich in der Entwicklung ihres "Nachrichtendienstlichen Informationssystems" (Nadis-neu) festgefahren. Die Verfassungsschützer müssen offenbar noch Jahre mit ihrem veralteten System auskommen.

Obwohl die Verfassungsschützer in Bund und Ländern dringend ein besseres Informationssystem benötigen, stocken die entsprechenden Pläne. Bereits seit den 70er Jahren arbeiten die Behörden mit Nadis (Nachrichtendienstliches Informationssystem). Das System sei veraltet und bedürfe dringend einer grundlegenden Überarbeitung, monieren Kritiker.

Doch darüber gibt es offenbar Streit zwischen dem Bundesinnenministerium und den Innenministern der Länder. Nach der Innenministerkonferenz am 17. und 18 April in Bad Saarow sickerten Informationen an die Öffentlichkeit, wonach die Entwicklung von Nadis-neu gestoppt sei. Grund dafür seien erhebliche Risiken bei der Auftragsvergabe und eine ungeklärte Gesamtfinanzierung des Vorhabens, zitiert der "Spiegel" Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble. Stattdessen solle das bestehende System weiter ausgebaut und erst in zwei Jahren über ein neues Projekt entschieden werden.

Zu spät, meint die Opposition. Die Software bedürfe dringend einer Überarbeitung, heißt es von Seiten der FDP-Bundestagsabgeordneten Gisela Piltz. "Nadis ist eine unendliche Geschichte", ergänzt ihre Kollegin Silke Stokar von der Fraktion Bündnis90/Die Grünen. Zwischen dem IT-Anspruch der Behörden und der Realität klaffe eine gewaltige Lücke. Um Daten auszutauschen, hätten die Beamten in der Vergangenheit Datenträger zwischen den einzelnen Rechnern hin- und hertransportieren müssen, spottet die Politikerin. Außerdem habe Nadis mit der über die Jahre hinweg stetig gewachsenen Datenmenge zunehmend Probleme bekommen.

Polizeibehörden haben kein glückliches IT-Händchen

Nadis ist nicht das erste IT-Projekt deutscher Behörden, das ins Schlingern gerät. In den zurückliegenden Jahren sorgten gerade im Polizei-Umfeld immer wieder fehlgeschlagene Vorhaben für Schlagzeilen. Probleme rund um Inpol, Nivadis, Diplaz, Poliks und Comvor machen deutlich, wie schwierig dieses Umfeld offenbar ist:

Das IT-Projekt sei keineswegs gestoppt, lautet indes das Dementi aus dem Innenministerium in Berlin. Einen konkreten Zeitplan kann Schäuble allerdings ebenso wenig nennen wie das angeblich verfügbare Budget. Auch auf die Frage, wie lang bereits daran gearbeitet werde, weiß ein Sprecher des Ministeriums keine Antwort. "Es handelt sich um ein sehr anspruchsvolles Großprojekt, das eine enge Abstimmung mit den Ländern erfordert", heißt es. Es müssten noch viele Details mit den verschiedenen beteiligten Behörden erörtert werden. Bis dato gebe es kein Konzept, räumte der Sprecher schließlich ein.

"Dem Staat fehlt IT-Kompetenz"

Trotz der offensichtlichen Dringlichkeit des Vorhabens sehen die Politiker keine Probleme durch den Verzug. "So ein Projekt braucht einen längeren Vorlauf", sagt der Sprecher des Innenministers und verweist auf andere Großvorhaben wie beispielsweise die Einführung des digitalen Behördenfunks. Dieser Vergleich bedeutet für das künftige IT-System der Geheimdienste allerdings nichts Gutes. Das digitale Sprach- und Funksystem bei Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) kam erst nach vielen Streitereien und großen Verzögerungen in die Gänge (siehe auch: Polizeifunk wird allmählich digital und Bundesanstalt grenzt Bieterkreis für Digitalfunk ein).

Die Opposition spricht deshalb bereits von einem IT-Desaster mit Nadis-neu. Das Projekt drohe an dem Föderalismuswahn in Deutschland zu scheitern, schimpft die Grünen-Abgeordnete Stokar. Dem Staat fehle die IT-Kompetenz, so ein System zu entwickeln. Außerdem drohe der Streit zwischen dem Bund und den Ländern das Projekt weiter zu verzögern. Wie Stokar berichtet, fordert der Bund von den einzelnen Ländern mehr Daten. Die Länder fragten allerdings zu Recht, warum sie für ein System zahlen sollten, das in erster Linie dem Bund zugute komme. Die Kosten für Nadis-neu taxiert Stokar auf mindestens 20 Millionen Euro.

Auch die datenschutzrechtlichen Aspekte seien längst nicht geklärt, kritisiert die Expertin. Handelte es sich bei Nadis um ein reines Indexsystem, das den Behörden lediglich Hinweise auf den Aufbewahrungsort von personenrelevanten Informationen gibt, soll Nadis-neu Teile dieser Daten bereits enthalten wie beispielsweise Fotos und Protokolle. Daraus resultierten jedoch Datenschutzprobleme, sagt Stokar. Es müsse genau geregelt werden, welche Behörde unter welchen Umständen auf die Daten zugreifen dürfe. "Deshalb bin ich gar nicht so traurig, wenn ich von Problemen mit Nadis-neu höre."

Nadis

Bei dem Nachrichtlichen Informationssystem (Nadis), das bereits in den 70er Jahren entwickelt wurde, handelt es sich um ein Datenverbundsystem, an dem die Verfassungsschutzbehörden der Länder und des Bundes beteiligt sind. Nadis selbst enthält keine Inhalte, sondern lediglich Personendaten und Angaben darüber ob die Person in Nadis erfasst ist. Möchte eine Behörde Informationen zu einer bestimmten Person, kann sie in dem Nadis-Index erkennen, wo die entsprechenden Daten liegen und muss dort die Herausgabe der Informationen beantragen. Anfang 2007 waren 1.047.933 personenbezogene Eintragungen in Nadis gespeichert, davon knapp 598.611 aufgrund von Sicherheitsüberprüfungen. Welche Daten in Nadis-neu gespeichert sein sollen, steht noch nicht fest. Vertreter des Verfassungsschutzes hatten in der Vergangenheit oft die langen Wege bei der Informationsbeschaffung kritisiert und einen direkteren Datenzugriff gefordert.