Untersuchung der Belastungsfaktoren am Bildschirmarbeitsplatz: \Ein Fünftel der Zeit sollte Pause sein

24.07.1981

MÜNCHEN - Ein nach arbeitsphysiologischen Regeln ausgewählter und aufgestellter Bildschirm belastet nach Erkenntnissen des Bayerischen Staatsministers für Arbeits- und Sozialordnung die Augen nicht mehr als ein Beleg, wenn nicht gar weniger. Wie die Erfahrung der Vergangenheit zeigt, sind die sogenannten "gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse" jedoch einem Wandel unterworfen.

Je geringer der Kenntnisstand auf einem bestimmten Forschungsgebiet, desto eher können sich frühere Erkenntnisse als falsch erweisen, schreibt Ute Boikat bei einer Untersuchung der Belastungsfaktoren am Bildschirmarbeitsplatz. Die von der neuen Technik betroffenen Arbeitnehmer stehen Schwierigkeiten gegenüber, ihre Forderungen an Wissenschaft und Forschung in die staatliche und betriebliche Forschung einzubringen, die Richtung der Erkenntnis zu beeinflussen.

In der Bundesrepublik werden nach einer Vorausschätzung des Bayerischen Arbeitsministers 1985 ungefähr 500 000 Bildschirmarbeitsplätze vorhanden sein. Bei rund 9,66 Millionen Angestellten in der Bundesrepublik bedeutet dies, daß mindestens einer von 19 einen Teil seiner Arbeitszeit vor dem Bildschirm verbringt. Das bedeutet auch, daß eine nicht verschwindend kleine Gruppe in unserer Gesellschaft Interesse hat, die Bildschirmarbeit zu erforschen und ihre Gestaltung zu beeinflussen.

Da ein Arbeitsplatz unter Umständen von mehreren Beschäftigten genutzt wird, hätten damit mindestens eine halbe Million Betroffene das Recht, ihre Bedürfnisse als Arbeitnehmer am Datensichtgerät zu artikulieren. Nach Ansicht der Gewerkschaften sind die Ansprüche der Arbeitnehmer bereits in der Forschung zu berücksichtigen .

Vorbild USA

Die Auseinandersetzung mit dem Bildschirmarbeitsplatz und seinen Konsequenzen in den USA auf die, die dort arbeiten, stellen sich in der Öffentlichkeit sehr ambivalent dar.

Das amerikanische Institut für Arbeitssicherheit und -Gesundheit (National Institute for Occupational Safety and Health - NIOSH) beschäftigte sich nahezu zwei Jahre lang mit der Gestaltung von Bildschirmarbeitsplätzen und den Arbeitsbedingungen. Die Empfehlungen wurden kürzlich veröffentlicht. Beschäftigte, die ununterbrochen am Bildschirm arbeiten, sollen den Forschungsergebnissen zufolge nach einer Stunde Arbeit 15 Minuten Pause machen. Die Mühe, die Institutsdirektor Dr. Anthony Robbins auf diesen Themenbereich verwandte und die veröffentlichten Empfehlungen trugen nach einem in der Zeitschrift der IG Druck und Papier erschienenen Beitrag wesentlich dazu bei, daß Dr. Robbins gekündigt wurde. Die Reagan-Regierung habe sich von dem Mann getrennt, der "aus dem Institut ein Instrument des Klassenkampfes gegen das private Unternehmertum gemacht hat", wie sich die Unternehmerseite ausgedrückt haben soll.

Auf der anderen Seite kommen aber auch für die von der Bildschirmarbeit Betroffenen positive Nachrichten aus den USA. Die gesundheitlichen Auswirkungen der Bildschirmarbeit will die Gewerkschaft der amerikanischen und kanadischen Zeitungsjournalisten und -Angestellten in enger Zusammenarbeit mit der Mount Sinai Hochschule für Medizin in New York untersuchen. Nach den Vorstellungen der Newspaper Guild umfasse die Studie, die 2000 Arbeitnehmer einbeziehe, augenärztliche Untersuchungen und die Messung der Strahlen, die das Bildschirmgerät abgibt. Das Vorhaben zeigt, daß sich in den Staaten die Gewerkschaft als Vertretung der Arbeitnehmer bemüht, einen Beitrag zu den "gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen" zu leisten, auf die in zahlreichen Gesetzestexten und Tarifverträgen in der Bundesrepublik Bezug genommen wird.

Als "gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnis", auf die sich beispielsweise der Paragraph 91 des Betriebsverfassungsgesetzes beruft, gilt gegenwärtig, daß die Geräte Röntgenstrahlen in nicht bedenklichem Ausmaß emittieren. Die Anodenspannung der Geräte liegt gewöhnlich zwischen 12 und 20 Kilovolt. Sie ist, um den Staatsminister wieder zu zitieren, in etwa vergleichbar mit der Emission eines Schwarz-Weiß-Fernsehempfängers. Die Strahlungswerte sind nach den Forschungsergebnissen von Cakir, Hart und Stewart mit rund 0,2 Millirad pro Stunde so gering, daß es schwierig ist, sie zu messen. Ute Boikat zitiert in ihrer an der Universität Bielefeld angefertigten Studie "Entwicklung und Festsetzung von Normen für Belastungen am Arbeitsplatz - Am Beispiel der Strahlenbelastung an Bildschirmarbeitsplätzen" eine Reihe von Autoren, die ebenfalls zu diesen Meßergebnissen kamen.

Nach der Röntgenverordnung zählen die Geräte zu den sogenannten Störstrahlern, die dann ohne besondere Genehmigung betrieben werden dürfen, wenn ihre Dosisleistung in fünf Zentimetern Abstand von der Bildschirmoberfläche den Wert von 0,5 Millirad pro Stunde nicht überschreitet. Die Norm von 0,5 Millirad pro Stunde geht auf eine Empfehlung der Internationalen Kommission für Strahlenschutz (ICRP) zurück. Der Abstand von immerhin 0,3 Millirad zwischen den gemessenen Ergebnissen am Bildschirmterminal und den vorgegebenen Normen, die in der Bundesrepublik in einer VDE-Vorschrift enthalten sind, symbolisiert eine gewisse Unbedenklichkeit.

Auffällig erscheint, daß dennoch so viele Institutionen der Röntgenstrahlung am Bildschirmarbeitsplatz solche Beachtung schenken. Eine von Siemens als Arbeitgeber abgelehnte Betriebsvereinbarung vom November 1979 über Bildschirmarbeitsplätze ebenso wie der im März 1978 unterzeichnete "Tarifvertrag über die Einführung und Anwendung rechnergesteuerter Textsysteme" beziehen ausdrücklich die einschlägige VDE-DIN-Norm zur Strahlenschutzsicherheit in den Vertrag mit ein.

Auch der Staatsminister beruhigt den Leser der Schrift "Arbeiten mit dem Bildschirm - aber richtig". Die Normen jedoch wandeln sich mit der Zeit. Die Strahlenschutzgrenzwerte sanken von Hautrötung (1 R pro Woche bei 200 RV-Xrays oder 46 Rem/ Jahr) auf 0,005 Rem/Jahr für Personen im Kreis eines Kernkraftwerkes. Mit der Verbesserung der Meßmethoden, mit größerer Erfahrung im Umgang mit den Geräten, werden die von den Folgen Betroffenen für die gesundheitsschädigenden Auswirkungen sensibler. Sie fordern einen besseren Schutz ihrer Gesundheit.

Kontrolle unzureichend

Beide oben genannten Verträge fordern eine regelmäßige Überprüfung der Strahlensicherheit von eingesetzten Bildschirmen. Nach den jetzt gültigen Gesetzen ist lediglich eine Typenüberprüfung vorgeschrieben. Es werden nicht alle Geräte untersucht. Bei der Einführung eines neuen Types ist nur zu prüfen, ob er den Vorschriften entspricht. Die laufende Prüfung würde zu einer Verbesserung des vorhandenen Datenmaterials über die Emissionsrate und - damit einhergehend - zu einer Verfeinerung der Meßmethoden führen.

Kontrollmessungen über die Einhaltung der Richtlinien wären vom zuständigen Gewerbeaufsichtsamt durchzuführen. Doch greift es erst dann kontrollierend ein, wenn der begründete Verdacht einer Sicherheitsübertretung vorliegt. Röntgenstrahlen aber sind tückisch. Ihre volle Wirkung, vor allem auf die Gen-Substanz, zeigen sie erst nach einer Frist, die den Ursache-Wirkungszusammenhang längst verwischt hat. Nach Boikat werden erfahrungsgemäß arbeitsbedingteg Erkrankungen individuellen Faktoren zugeschrieben. Vor der Mitwirkung von Arbeitnehmervertretern im ohnehin sehr schwerfälligen Normenausschuß müßte eine Forschung stehen, die die betroffenen Arbeitnehmer in ihre Arbeit einbezieht, sie nicht nur als Objekt, sondern als Subjekte betrachtet, die auch ihre Fragestellungen einbringen. Denn wie die Autorin ableitet, die gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse hängen davon ab, wer die Fragen stellt und wer den Wissenschaftler bezahlt, der sie beantwortet.

Die Forschung - und auch die Ergebnisse folglich - fielen nach einer anderen Richtung aus, gingen die Fragen ein, die Arbeitnehmer am Bildschirm stellen. In ihren drei DV-Programmen förderte die Bundesregierung, wie Gerhard Bosch, Helmut Schmidt und andere es in ihrem Beitrag "Gefährdung von Arbeits- und Lebensbedingungen durch die Anwendung von Wissenschaft " in dem von Siegfried Katterle und Karl Krahn beim Bund-Verlag erschienenen Band "Wissenschaft und Arbeitnehmerinteressen" herausgearbeitet haben, vor allem die Entwicklung und Anwendung von DV-Systemen.

Regierung fördert Industrie

"Die Zielsetzungen, unter denen neue Techniken gegenwärtig in der Bundesrepublik eingesetzt werden, lassen den... Technologie-Einsatz zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeitnehmer nur bedingt zur Anwendung kommen", stellen die Autoren fest. Der Einsatz staatlich geförderter neuer Technologien fördere die Konzentration in der Wirtschaft. Diese Strukturveränderungen wirkten sich auf den Arbeitsmarkt, auf das Einkommen und die Qualifikationsentwicklung der Beschäftigten aus. Der Einsatz von Bildschirmen beispielsweise verändere die physischen und psychischen Anforderungen. Neue Anforderungen wie Konzentration Abstraktionsfähigkeit, und Systemkenntnisse werden nach Erfahrung Autorenkollektives kaum in den üblichen Arbeitsbewertungssystemen oder in der beruflichen Weiterbildung berücksichtigt. "Der Siemens-Konzern erhält für seine Rechnerentwicklung jährlich mehr, als im gesamten Programm zur Humanisierung der Arbeit gegenwärtig jährlich ausgegeben wird", stellen sie plakativ fest. Die von der Arbeit am Bildschirm direkt Betroffenen haben es schwer, ihre Interessen für die Forschung klar zu formulieren, zu artikulieren und sie an die Stellen zu richten, die das Geld für die Forschung verteilen.

In den Gremien, die sich mit der Ausarbeitung von Unfallverhütungsvorschriften befassen, sind Vertreter der Arbeitnehmerseite unterrepräsentiert, wie Boikat feststellt. Die Erfahrung der Betroffenen einzubringen und damit die Wissenschaft auf die Interessen der Arbeitnehmer zu orientieren, "wäre die staatlich geförderte Erfassung und Erforschung krankmachender Faktoren durch paritätisch besetzte berufsgenossenschaftliche Gremien

in direkter Zusammenarbeit mit den betroffenen Arbeitnehmern und Wissenschaftlern" eine Alternative zur bestehenden Organisation. Ähnliches gelte für den "Ausschuß für gefährliche Arbeitsstoffe".

In seinem im März 1981 verabschiedeten Grundsatzprogramm stellt der Deutsche Gewerkschaftsbund fest, daß die Ergebnisse von Wissenschaft und Forschung die Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeitnehmer verändern, ohne daß deren Interessen in Wissenschaft und Forschung ausreichend berücksichtigt werden. Statt wie Bosch und andere nur eine stärkere Einbringung der Sozialwissenschaften in die DV-Programme der Bundesregierung und deren Fortsetzung zu fordern, versucht die Gewerkschaft, die Mitbestimmung der Arbeitnehmer über Forschung und Entwicklung in den Betrieben und Unternehmen zu erweitern.

Zur Ausfüllung des in Düsseldorf gefaßten Entschlusses des DGB zeigen sich örtlich zaghafte Ansätze, Wissenschaftler und Arbeitnehmer an einen Tisch zu bringen. Ziel ist dabei, die Fragen der neuen Technik so zu formulieren, daß sie der Wissenschaft neue Aspekte eröffnet.