Gratwanderung zwischen:

Unterstützung und Bevormundung

10.10.1986

Mit dem Aufbau von Benutzerservice-Zentren beziehungsweise PC-Koordinierungsstellen wurde in vielen bundesdeutschen Unternehmen bereits vor zwei Jahren begonnen. So legte Wilhelm Gröhling, Gruppenleiter PC-Koordination bei der FAG Kugelfischer Georg Schäfer KGaG, bei der Installierung des Benutzerservice großen Wert darauf, diesen nicht zu straff zu organisieren. Der Schweinfurter DV-Profi beschreibt die schwierige Situation: "Auf dem verhältnismäßig schmalen Grat zwischen einer Bevormundung des Benutzers zu einem Zustand, in dem er zu sehr alleingelassen wird, den richtigen Weg finden." Paul Caspers, Leiter des Benutzerservice IDV bei Wacker-Chemie, schlägt als eine zukünftige Lösung vor, in Aufgabenbereiche wie Büroautomation, Decision-Support-Systeme und Datenbanksysteme zu gliedern. Dabei rät Jörg Pommeranz, Hauptabteilungsleiter Organisation und Informationsverarbeitung bei Dr. August Oetker, nicht zu vergessen, rechtzeitig Grundsatzentscheidungen zu treffen, damit Hard- und Software in das Netzwerk passen.

Paul Caspers

Leiter Benutzerservice für IDV, Wacker-Chemie GmbH, München

Bis in jüngster Vergangenheit waren Computer als "Problemlöser" nur einer verschwindenden Minderheit von Spezialisten zugänglich. Die von diesen erstellte Software konnte in den Fachabteilungen nur als "vorprogrammiertes Vehikel" zur Abwicklung von definierten Aufgaben eingesetzt werden. Spielraum für die Unterstützung bei individuellen Anforderungen war kaum gegeben. Heute steigt die Zahl potentieller "DV-Individualisten" durch Preisverfall, bedienerfreundliche Software und zunehmendem "DV-Skill" extrem an. Volkswirtschaftliche Wirkung: Wachsender Computereinsatz, neue Arbeitsteilung zwischen zentraler und individueller DV. Betriebliche Konsequenz: Einrichten eines Benutzerservice (BS) für die Individuelle Datenverarbeitung (IDV).

Zielsetzung des Benutzerservice der Wacker-Chemie ist in diesem Sinne die Förderung und Unterstützung der IDV sowie deren Steuerung nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten. IDV wird mit einer Reihe von Softwareprodukten von unterschiedlichsten Unternehmensbereichen sowohl auf Mainframe als auch auf PC-Seite betrieben. Vor diesem Hintergrund fällt dem Benutzerservice die Wahrnehmung einer Vielzahl von, Aufgaben zu, die es in einer adäquaten Aufbauorganisation abzubilden gilt.

Für den Benutzerservice der Wacker-Chemie wird mittelfristig die Einbindung in eine problemorientierte - im Gegensatz zu einer werkzeugbezogenen - Aufbauorganisation angestrebt. Die einzelnen BS-Bereiche sind für bestimmte aus Anwendersicht definierte Problemklassen zuständig und zum Teil unabhängig von der verwendeten Hard- und Software.

So ist in Zukunft ein Benutzerservice für folgende Aufgabenbereiche einzuplanen:

- Büroautomatisation

(Textbe- und -verarbeitung, Electronic Mail, Dokumentarchivierung und -retrieval, Telekommunikation),

- Decision-Support-Systeme

(Planungs-, Simulationssprachen, Spreadsheets, Grafik- und Statistiktools, zukünftig AI, Expertensysteme),

- Datenbanksysteme (Report- und Programmgeneratoren, Abfrage- und Programmiersprachen).

Zusätzlich wird ein Bereich für systemnahe Aufgaben installiert (Beispielsweise Hard- und Softwaretests, Schnittstellenprobleme, Installationen). Jeder dieser Bereiche nimmt als Aufgaben Informationsbeschaffung, Präsentation und Schulung, Service und Unterstützung, Projektmitarbeit, Verwaltung, Entwicklung von Bereichskonzepten wahr. Highlights dieser Organisation:

- Kompetenz durch problembezogene Beratungstätigkeit,

- Motivationsmöglichkeit für BS-Mitarbeiter durch ein weites Betätigungsfeld,

- verminderte Backup-Probleme beim Personal infolge von Know-how-Überschneidungen zwischen den Bereichen (unter anderem bei integrierten Paketen).

Die Problematik der "Ersten Anlaufstelle" für den Endbenutzer und die Frage, welche Instanz im Einzelfall entscheidet, was IDV ist, werden derzeit im Rahmen der Überarbeitung der Aufbauorganisation der gesamten DV behandelt. Aufgrund der räumlichen Trennung existiert sowohl im Stammwerk Burghausen als auch in der Hauptverwaltung München ein BS-Zentrum mit insgesamt 15 Mitarbeitern. Im Bereich der Meß- und Regeltechnik ist eine ähnliche Funktion eingerichtet.

Dr. Klaus-Peter Schütt

Leiter der Abteilung EDV- und Organisationssysteme, Saarbergwerke AG, Saarbrücken

Vor zirka einem Jahr lautete die Kernaussage eines Leitartikels in der COMPUTERWOCHE Gerade in größeren Unternehmen driften Fachabteilungen und zentrale Datenverarbeitung auseinander" und beschrieb dabei die sich aus Mikro-Wildwuchs und gestiegenen DV-Kenntnissen und -Anforderungen bei den Endbenutzern ergebenden Probleme. In dieser Zeit waren bei der Saarbergwerke AG bereits Einrichtungen zur Koordination und Beratung der Fachdienststellen, wie zum Beispiel ein Endbenutzer-Service unter Führung der zentralen EDV vorhanden, die eine Abstimmung der Aktivitäten erlaubten.

Ziel einer auf diesen ersten Erfahrungen basierenden Neuorganisation des DV-Bereichs war es, eine auf den Benutzer von DV-Leistungen ausgerichtete Konzeption zu verwirklichen, in der innerhalb einer langfristig angelegten Strategie alle technischen Möglichkeiten des DV-Einsatzes koordiniert und aufeinander abgestimmt verwirklicht werden können. Daß es sich dabei um mehr als die Abgrenzung zwischen PC- und Host-Einsatz handeln muß, wird sofort klar, wenn man bedenkt, daß der Einsatz neuer Technologien in der Regel auch nachhaltige Auswirkungen auf die Organisation der Anwenderbereiche beinhaltet. Von daher gilt es, DV- und Organisationsabläufe als eine Einheit zu betrachten.

Aufbauend auf dieser Zielsetzung werden sämtliche DV-Aktivitäten im technischen und kommerziellen Bereich zentral in den Rahmen einer übergreifenden strategischen Organisationsplanung eingebettet, in der über die zentrale oder dezentrale Lösung der Anwenderanforderungen entschieden wird.

Dezentrale Lösungen umfassen dabei sowohl den Einsatz von PCs mit Standard-Software-Produkten als auch die Nutzung zentraler Datenbestände mit Hilfe von Planungs- und Abfragesprachen.

Für die bestehende Unterstützung der Fachdienststellen bei der Einführung von Geräten und Software und der Betreuung bei der Realisierung von Pilotprojekten für dezentrale Lösungen steht im Rahmen der individuellen Datenverarbeitung eine Gruppe von Beratern zur Verfügung. Deren Aufgabe ist es darüber hinaus, grundsätzliche Fragen durch Auswahl und Pflege einer Hard- und Softwareleitlinie für den dezentralen DV-Einsatz zu regeln. Weiter gehören zu den Beratungsaufgaben der Aufbau von dezentralen Datenbeständen bezüglich Struktur, Inhalt, Datenschutz und Datensicherheit sowie die Förderung des Informationsauftausches zwischen den Anwendern.

Neben diesen auf die Unterstützung des selbständig agierenden Endbenutzers ausgerichteten Service-Konzepts gilt es außerdem, spontane Informationswünsche von Fachdienststellen zu erfüllen, die sich aus vorher nicht oder nur wenig bestimmbaren Situationen ergeben. Hierzu stehen zentral im Rahmen eines Informationscenter-Konzeptes Mitarbeiter und Instrumente zur Verfügung, die kurzfristig und flexibel eingesetzt werden können.

Informationscenter, Endbenutzer-Service im Rahmen der individuellen Datenverarbeitung und zentrale DV-Anwendungen bilden zusammen ein geschlossenes System. Anwendungsstau, Informationslücken und -verluste sowie eine ständig steigende Datenflut lassen eine integrierte Konzeption zentraler und dezentraler Lösungen als einzig sinnvollen Weg erscheinen. Das Unternehmen muß eine strategische DV- und Organisationsplanung besitzen, in deren Rahmen die einzelnen Projekte anzusiedeln sind. Spontane Entscheidungen ohne diese Grundlage können schon nach kurzer Zeit sehr weh tun.

Jörg Pommeranz

Hauptabteilungsleiter der Organisation und Informationsverarbeitung,

Dr.August Oetker, Bielefeld

Wir haben im Rahmen unseres Bereichs Informationsverarbeitung eine Abteilung PC-Systeme und DDP-Systeme eingerichtet, die dafür sorgen soll, daß in unserem Unternehmen modernstes Know-how hinsichtlich PC-Systeme, Hardware und Software sowie DDP-Systeme zur Verfügung gestellt wird. Diese Gruppe ist dafür verantwortlich, daß bei der Auswahl von PC- und DDP-Systemen die Hard- und Software in das Netz paßt.

Sie erledigt folgende Aufgaben:

- Auswahl von PC- und DDP-Systemen, Hard- und Software,

-Installationen für PC- und DDP-Systeme,

- Hilfestellung bei Programmierung,

- Auswahl von Standard-Software für PC-Systeme,

- Software-Demonstrationen für die Fachbereiche,

- Einweisung und Schulung für Hard- und Software,

- Informationsveranstaltungen für diesen Bereich.

- Beschaffung sämtlicher Hard- und Software sowie Lieferanten-Auswahl,

- Überwachung für Performance von DDP-Systemen,

-Hilfestellung bei Fehlern,

- Untersuchung von System-Software und Tools.

Die Gruppe ist zuständig für die angeschlossenen Firmen und Bereiche für diese Systeme.

Den größten Wert legen wir darauf, daß diese Systeme in das vorhandene Netzwerk eingebunden werden können. Das bedeutet, daß als Voraussetzung einige Grundsatzentscheidungen getroffen werden müssen, und zwar hinsichtlich einer einheitlichen Hardware, Betriebssystemsoftware und Empfehlungen über einheitliche Anwendungspakete wie etwa Lotus.

Den individuellen Datenverarbeitungs-Sektor sehen wir als Benutzerservice über den Großrechner, und zwar haben wir hier im Augenblick APL/PMG eingesetzt. Der Aufgabenbereich umfaßt auch die Suche nach einer Sprache der vierten Generation.

Die Abteilung soll die Anwender bei den Einweisungen für diese Systeme und bei der Schulung beraten und soll vor allen Dingen die Datensicherheit gewährleisten, wenn Daten aus dem Produktiv-System in die individuelle Datenverarbeitung übernommen werden, damit diese Daten richtig gehandelt werden. Weiterhin berät dieser Bereich unsere Anwender bei Fragen von externen Datenbanken.

Wilhelm Gröhling

Gruppenleiter der Betriebssystem-Software und PC-Koordination, FAG

Kugelfischer, Schweinfurt

Bei FAG Kugelfischer wurde im Januar 1984 mit dem Aufbau einer zentralen PC-Koordination begonnen. Von Anfang an wurde dabei großer Wert darauf gelegt, den Benutzerservice nicht zu straff zu zentralisieren. Daher wurden für alle Geschäfts- und Erzeugnisbereiche sowie für die einzelnen Werke dezentrale "Ansprechpartner" benannt, die in alle wichtigen Entscheidungen laufend eingebunden werden. Die wichtigsten Aufgaben der zentralen PC-Koordination:

Festlegung von Rahmenrichtlinien für die einzusetzende Hard- und Software, Test und Beurteilung neuer Produkte, Mitarbeit beim Abschluß von Liefer- und Wartungsverträgen, Herausgabe allgemeiner Richtlinien für Datensicherung und Dokumentation, Schaffung einheitlicher Benutzeroberflächen (Startdateien, Namenskonventionen) sowie Schaffung und Betreuung von Schnittstellen zum Host.

Die Ansprechpartner sind verantwortlich für das Erarbeiten von Einsatzkonzepten für ihren Bereich, die Konfiguration der Systeme innerhalb der vorgegebenen Rahmenrichtlinien und die Wirtschaftlichkeitsprüfung und -kontrolle.

Der Einsatz von PCs in einer Abteilung geht so vor sich:

- Gespräche mit den Benutzern über die Einsatzmöglichkeiten;

Konfiguration und Beschaffung der Systeme;

- Installation der Hard- und Software durch den Benutzerservice, Kurzeinweisung in die Systeme;

- Durchlaufen einer "Spielphase" bis zu acht Wochen mit Lerndisketten;

- Schulung der Benutzer in der Handhabung der Software; diese Schulungen führt unser Lieferant durch, die Stoffauswahl wird mit der PC-Koordination abgesprochen;

- Aufbau der Anwendungen durch die Fachabteilungen.

Mit der zunehmenden Durchdringung von Abteilungen mit PCs lassen sich einige dieser Phasen abkürzen, beziehungsweise von den Ansprechpartnern oder von "PC-Spezialisten" in den Abteilungen durchführen. Es wird besonders in Abteilungen, in denen PCs schon länger im Einsatz sind, die Koordination mehr und mehr nur noch in besonders schwierigen Fällen beziehungsweise bei Hardwarestörungen vor Inanspruchnahme von Wartungsleistungen tätig. Es wird darauf geachtet, daß der direkte Kontakt zum Benutzer durch regelmäßige Herausgabe von PC-Informationen, Durchführung von Informationsveranstaltungen und informelle Gespräche erhalten bleibt.

Zusammenfassend ist zu sagen, daß ein wesentlicher Gesichtspunkt des PC-Einsatzes bei FAG Kugelfischer darin zu sehen ist, die Fachabteilungen in die Lage zu versetzen, Probleme, die nur sie betreffen, weitgehend selbständig und ohne Inanspruchnahme der Dienste der zentralen Datenverarbeitung zu lösen. Demnach soll auch die zentrale PC-Koordination nach der Devise "So wenig wie möglich, so viel wie nötig" tätig werden. Die schwierigste Aufgabe dabei ist und bleibt, auf dem verhältnismäßig schmalen Grat zwischen einer gewissen Bevormundung des Benutzers und einem Zustand, in dem er zu sehr alleingelassen wird, den richtigen Weg zu finden.