Unterschiede in den Management-Auffassungen Deutscher Borland-Chef Merkel hat das Unternehmen verlassen

15.07.1994

MUENCHEN (qua) - Die Borland GmbH, Langen, muss derzeit ohne Geschaeftsfuehrer auskommen: Fuer Uneingeweihte ueberraschend, hat Leo Merkel Anfang des Monats die Entscheidung getroffen, das Software- Unternehmen zu verlassen.

Der Zeitpunkt haette schlechter kaum gewaehlt werden koennen. Die Borland International Inc. mit Sitz in Scotts Valley, Kalifornien, hat - in Form ihres letzten Geschaeftsberichts und des Deals mit Novell - bereits alle Ingredienzen beisammen, um die Geruechtekueche zum Brodeln zu bringen. Den Rueckzug eines nationalen Geschaeftsfuehrers haette es da wirklich nicht gebraucht.

Ueber die Aufregung, die seine Entscheidung hervorrufen wird, ist sich Merkel durchaus im klaren. Doch hat er, so seine eigenen Worte, "Spekulationen bewusst in Kauf genommen". Allerdings legt er Wert auf die Feststellung, dass er keineswegs das Vertrauen in die Firma verloren habe.

Als Grund fuer sein Ausscheiden nennt der ehemalige Ge- schaeftsfuehrer vielmehr die unterschiedlichen Auffassungen darueber, wie die deutsche Borland-Niederlassung zu fuehren sei. Seiner Ansicht sollte eine Landesorganisation, die mehr als ein Drittel zum europaeischen Gesamtumsatz beitrage, selbstaendiger agieren koennen als augenblicklich der Fall.

Bei der Neustrukturierung des europaeischen Borland-Geschaefts (siehe CW Nr. 17 vom 29. April 1994, Seite 2: "Straffung der Strukturen soll Borland aus Verlustzone helfen") wurde die Borland GmbH dem in Amsterdam ansaessigen Management-Bereich Northern Europe zugeschlagen. Die auf etwa 70 Mitarbeiter zurueckgestutzte Deutschland-Tochter fungiert seither nur noch als Vertriebsbuero. Merkel, zu diesem Zeitpunkt erst seit acht Monaten Geschaeftsfuehrer, erhielt zwar die Position eines Marketing- Direktors fuer Nordeuropa, buesste aber de facto die Verantwortung fuer die deutschen Borland-Aktivitaeten ein.

Grundsaetzliches Problem mit erneutem Kurswechsel

Eigenen Angaben zufolge verlaesst Merkel das Unternehmen jedoch nicht wegen dieser Umstrukturierung, von deren Sinn er sich nach "langen Diskussionen" habe ueberzeugen lassen. Was ihn aergere, seien - im Gegenteil - die Anzeichen dafuer, dass die neue Organisation bereits wieder zur Disposition stehe. Er habe "ein grundsaetzliches Problem" damit, nach nicht einmal drei Monaten einen erneuten Kurswechsel zu vertreten.

Borland Deutschland hingegen bestreitet jede Absicht, die Restrukturierung rueckgaengig zu machen. Die GmbH bleibe Teil des Geschaeftsbereichs Northern Europe. Allerdings erhalte sie wegen ihres signifikanten Umsatzanteils eine eigene Marketing- Organisation, die von Thomas Seifert geleitet werden soll. Seifert wird nach wie vor an den deutschen Geschaeftsfuehrer berichten. Wie der kuenftig heisst, ist jedoch noch nicht spruchreif.

Auch Merkel will noch nicht verraten, wer sein naechster Arbeitgeber sein wird. Auf jeden Fall orientiere er sich aber weg vom reinen PC-Softwaregeschaeft hin zum Client-Server-Computing. Den Einwand, damit bewege er sich parallel zur erklaerten Borland- Strategie, will der Manager nicht gelten lassen. Seiner Ansicht nach ist das Client-Server-Business bei Borland derzeit "nicht der absolute Fokus". Borland kann diese Einschaetzung, so das offizielle Statement, nicht nachvollziehen.

Immerhin gibt es Indizien, die Merkels Auffassung stuetzen. So hat der in Europa fuer das Server-Datenbanksystem "Interbase" zustaendige Vertriebs-Manager Lawrence Wienczak das Handtuch geworfen und zeichnet jetzt fuer das europaeische Marketing des GUI- Tool-Anbieters Powersoft verantwortlich.