Ziehen europäische DV- und Chiphersteller in Zukunft an einem Strang?

Unter Federführung von "Bos" gemeinsame Projekte angehen

28.06.1991

MÜNCHEN/BRÜSSEL (CW) - Je größer die Schwierigkeiten der europäischen Informatikindustrie, desto mehr Therapiepläne tauchen auf, wie der kranken Branche wieder auf die Beine geholfen werden kann.

Inzwischen haben sich sogar - streng geheim - die Topmanager der betroffenen Unternehmen mit EG-Kommissaren und -Parlamentariern getroffen, um gemeinsam Wege aus der Krise zu suchen. Nach Informationen des Magazins "Wirtschaftswoche" haben sich elf führende Produzenten zur Kooperation entschlossen. Unter der Federführung von Bull, Olivetti und Siemens-Nixdorf wollen sie Projekte durchziehen, die als Grundlage einer gemeinsamen Strategie gegen Japan dienen können.

Unter dem Dach von "Bos" - so der einprägsame Name des Triumvirats - soll neben der Entwicklung europaweiter Datennetze zum Informationsaustausch zwischen den nationalen Behörden auch ein Gemeinschaftsinstitut für Softwareforschung namens "Essi" eingerichtet werden. Die Laufzeit dieser Projekte wird fünf Jahre betragen, wobei sie, anders als bisherige EG-Programme, nicht mit einem Ergebnisbericht oder einem Pilotprojekt, sondern in gemeinsamen Firmen enden sollen. Bisher waren europäische Initiativen allerdings selten von Erfolg gekrönt. Jessi kommt nur sehr schwer in Gang, andere Esprit-Projekte finden zumeist unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt.

Von ähnlich bescheidenem Ausmaß war bisher die Bereitschaft der europäischen Informationstechnik-Produzenten über die staatlich geförderte Grundlagenforschung hinaus, gemeinsame Sache zu machen. Als aktuelles Beispiel können die Gespräche zwischen der Thomson SA, der Siemens AG und Philips dienen. Der französische Konzern drängt bereits seit geraumer Zeit darauf, die Aktivitäten der gemeinsam mit der staatlichen italienischen Holding IRI/Finmeccanica betriebenen SGS-Thomson mit den Halbleiterbereichen von Siemens und Philips zu bündeln. Bislang allerdings ohne durchschlagenden Erfolg. Die beiden anderen Hersteller haben laut Branchendienst "vwd" offenbar andere Pläne. Mit Siemens konnten sich die Franzosen im letzten Jahr lediglich auf eine Kooperation im Bereich der Hochleistungs-Microcontroller einigen.

Industriebosse noch zurückhaltend

Kurzfristig keimte neue Hoffnung über eine Zusammenarbeit auf: Unlängst ließen die Franzosen verlauten, die drei Unternehmen prüften eine Kooperation bis hin zu einer Zusammenlegung der Aktivitäten. Der Thomson-Sprecher gab sich optimistisch und kündigte an, daß es noch in diesem Jahr eine Erklärung dazu geben werde. Offenbar hat der französisch-italienische Halbleiterproduzent nicht mit der Zurückhaltung der anderen beiden Gesprächspartner gerechnet, die zusammen einen weltweiten Marktanteil von 8,1 Prozent repräsentieren. Bei Siemens hieß es lediglich, "der Ausgang der Gespräche ist noch offen", zur Zeit würde Feld für Feld geprüft, ob eine Zusammenarbeit wirtschaftlich sinnvoll sei. Das Statement von Philips zu den Thomson-Plänen, fiel noch harscher aus: Man sei an einer europäischen Zusammenführung der Mikrochip-Aktivitäten nach dem Vorschlag von Thomson nicht interessierte erklärte ein Konzern-Sprecher. Die eher ablehnende Haltung der Deutschen und der Holländer ist nicht verwunderlich. Erstere haben mit IBM ein Abkommen über die Entwicklung eines 64-MB-Speicherbausteins geschlossen, an das sich Gerüchten zufolge eine gemeinsame Produktion des DRAMs anschließen könnte. Philips hat hingegen so viel mit internen Restrukturierungsmaßnahmen zu tun, daß man dort offenbar kaum über den eigenen Tellerrand schaut.

Dennoch gehen die Vorstellungen der Politiker weit über das hinaus, wozu die Industriebosse nur sehr zögerlich bereit sind. Anläßlich der Mailänder Frühjahrsmesse sagte Filippo Maria Pandolfi, Vizepräsident der EG-Kommission, daß ein Zusammenlegen der Halbleiter-Aktivitäten von SGS-Thomson, Philips und Siemens nicht ausreiche, um japanischen und amerikanischen Herstellern Paroli bieten zu können. Notwendig seien für die europäische Halbleiterindustrie eine Partnerschaft im Weltmaßstab. Als richtungsweisende Basis könne das Abkommen zwischen Siemens und IBM angesehen werden. Außerdem forderte Pandolfi, daß im Rahmen von Jessi mehr Gewicht auf die Halbleiter-Entwicklungen gelegt werden, deren Anteil am Gesamtprojekt heute etwa 30 Prozent ausmacht. Einem Bericht der "Wirtschaftswoche" zufolge, denkt sogar über eine die Industriepolitik steuernde Institution nach, die dem japanischen Ministerium für Handel und Industrie (Miti) ähneln soll.