Erst mit dem Betriebssystem Xenix läßt sich eine neue Evolutionsstufe erreichen:

Unter DOS ist der AT nur ein normaler Mikro

06.09.1985

IBM-Kompatibilität bewegt seit 1981 auch die Benutzer von Personal-Computer-Systemen. Mit der Vorstellung des Modells AT geht die Kompatibilitätsdebatte jetzt in eine zweite Runde. Kompatibilität, so Christian Wegehaupt, Marketingchef bei der Northern Telecom Data Systems GmbH und Autor des folgenden Beitrags, bleibt nicht auf die Hardware beschränkt, sondern wird zunehmend eine Frage des Betriebssystems.

Zur Kompatibilitätsfrage Stellung zu beziehen, verlangt, eine Position einzunehmen, festzulegen, was Standards für die Industrie und für den Anwender sind, und beinhaltet gleichzeitig eine Prognose, die allerdings auf den persönlichen Erfahrungen basieren muß und deshalb ein Wagnis darstellt, da niemand voraussagen kann, welcher Großkonzern morgen neue Industriestandards schafft. Kompatibilität ist jedoch auch so vielschichtig, daß Vereinfachungen die Diskussion erleichtern.

Seit der Ankündigung des IBM PC wird über Kompatibilität diskutiert und gestritten. Heute läßt sich inzwischen für die einfachen Personal Computer feststellen:

- Der Hardwarevergleich ist nur noch für die Produzenten von Zusatzhardware interessant; für sie gilt es, die Entscheidung zu treffen, für welchen PC die Zusatzhardware zuerst entwickelt und zuerst angeboten werden soll.

- Daneben steht der Betriebssystemvergleich PC-DOS/MS-DOS im Mittelpunkt für die Anbieter von Standardanwendersoftware, die national und international vermarktet werden soll.

- Der Endanwender trifft seine Kaufentscheidungen in zunehmendem Maße ausschließlich aufgrund der Frage, ob ein bestimmtes Anwendungsprogramm läuft oder nicht. Die vereinfachte Frage: "Können Lotus 2-3, Microsoft Word oder der Flugsimulator auf dem kompatiblen System ablaufen?" ist sicher kein technisch exaktes Kompatibilitätskriterium, aus der Anwendersicht jedoch meist ausreichend.

Viele Anwender haben inzwischen gelernt, daß Kompatibilität nicht gleich Kompatibilität ist. Amerikanische Softwarehäuser beantworten diese, inzwischen zum Wettbewerbskriterium hochstilisierte Glaubensfrage im Zweifelsfall, also wenn das Programm nicht läuft, mit dem einfachen Hinweis: "Dann war Ihr Kompatibler eben nicht so kompatibel, wie Sie glaubten."

Der "Kompatibilitätskrieg" rund um den Einplatz-Personal-Computer hat inzwischen jedoch zu einigen Defacto-Standards geführt:

- Diskettenlaufwerke und Diskettenformate sind kompatibel.

- Drucker sind inzwischen unproblematisch an allen Personal-Computern verwendbar.

Programme, die "sauber" auf der Betriebssystemoberfläche sitzen, haben die größte Verbreitung gefunden und haben ihren Erfolg aus dem universellen und problemlosen Einsatz auf vielen Systemen. Gleichzeitig sorgen weitverbreitete Softwarepakete aber auch erheblich für den Erfolg, den DOS-Personal-Computer inzwischen am Markt haben.

Die Diskussion um den kompatiblen Einplatz-Personal-Computer ist inzwischen weitgehend abgeschlossen und erlebt höchstens noch kleine Scheingefechte, wenn über große, ergonomische Bildschirme, über Farb- und Grafikfähigkeit und über ergonomisch gestaltete Tastaturen diskutiert wird. Was zur Zeit in manchen Fällen noch fehlt, sind brauchbare Standards für Grafikanwendungen. Auch der Wunsch vieler Anwender nach einer Mehrplatzfähigkeit ihrer Einplatzsysteme wird noch nicht erfüllt. Die DOS-Betriebssysteme sind Single-user-/Single-tasking- Betriebssysteme. Auch vernetzte Mikros sind zur Zeit nur selten eine Alternative zu echten Mehrplatzsystemen.

In manchen Punkten nicht ganz kompatibel

Wesentlich vielschichtiger wird die Antwort und die Prognose, wenn es um die Kaufentscheidung bei einem AT-kompatiblen Super-Personal-Computer geht. Mit den DOS-Betriebssystemen ist der AT, auf einen Nenner gebracht, nichts weiter als noch ein Personal Computer, der in manchen Punkten vielleicht nicht ganz kompatibel zu seinem eigenen Vorbild ist, jedoch eine wesentlich höhere Verarbeitungsgeschwindigkeit, mehr Speicher und einige neue Anwendungspakete bietet.

Grundsätzlich anders wird die Betrachtung jedoch, wenn als Betriebssystem Xenix gewählt wird. Xenix ist die strategische Variante des technisch-wissenschaftlichen Betriebssystems Unix und hat unbestritten Brücken zu MS-DOS. Xenix ist ein echtes Multi-user-/Multi-tasking-Betriebssystem, das in der AT-Version den Wunsch von kommerziellen Endanwendern nach kleinen Mehrplatzsystemen erfüllt. Die Betriebssysteme, die auf Unix basieren, sind dabei, heute zu einem De-facto-Standard zu werden, an denen auch Großrechner-Anbieter bei der Architektur ihrer neuen Betriebssysteme nicht vorbeikommen.

Was den auf Unix basierenden Betriebssystemen bis heute immer noch fehlt, sind Programme, die zum überwältigenden Erfolg der Personal Computer beigetragen haben. Die einfache Übernahme dieser Programme auf das mehrplatzfähige Betriebssystem ist jedoch nicht möglich, da einige Binsenweisheiten auf der Hand liegen:

- Eine Einplatzlösung ist noch lange nicht mehrplatzfähig.

- Ein Single-user-Datenbankverwaltungssystem ist noch lange nicht mehrplatz-, geschweige denn netzfähig.

- Grafikanwendungen, die immer mehr Furore machen, sind auf Xenix nur eingeschränkt möglich.

Wer von seinem Arbeitsplatzcomputer viel verlangt, für den ist die Entscheidung für einen AT-kompatiblen PC heute auf jeden Fall richtig. Dafür gibt es eine ganze Anzahl von guten Argumenten:

- Die ersten Kalkulationsprogramme sind sowohl unter Xenix als auch unter MS-DOS verfügbar.

- Die ersten Büroautomationsprogramme sind sowohl unter Xenix als auch unter MS-DOS am Markt.

- Die ersten Datenbankverwaltungsprogramme mit bekannten Namen sind inzwischen unter Xenix und MS-DOS verfügbar.

- Recht leistungsfähige Sprachcompiler für beide Betriebssysteme haben ihre Reifeprüfung hinter sich.

Bei den Softwarehäusern wird inzwischen fieberhaft an der Mehrplatzfähigkeit und Netzfähigkeit von bekannten Programmen gearbeitet. Liebgewonnene Anwendungen aus alten PC-Tagen stehen wahrscheinlich in Kürze auch unter Unix und Xenix zur Verfügung. Allerdings ist mit den üblichen Anlaufschwierigkeiten zu rechnen, wie bei der Markteinführung der PC-DOS-Computer, wo zunächst Anwendungen aus der guten alten CP/M-Welt einfach transferiert wurden, ehe die neuen Möglichkeiten der erweiterten Hardware voll ausgeschöpft werden konnten.

Fieberhafte Entwicklung bei den AT-Kompatiblen

Es ist ein offenes Geheimnis, daß hinter den Kulissen bei allen Hardwareherstellern fieberhaft an AT-kompatiblen Rechnern gearbeitet wird. Die treibende Kraft für diese Entwicklung sind offenkundig die Möglichkeiten, die MS-DOS-Programme bieten. Viele Anwender haben so großen Appetit bekommen, daß sie bereits jetzt wieder an der Leistungsgrenze ihres vermeintlich modernen Personal Computers angekommen sind. Sie erwarten größere Hauptspeicher und größere Massenspeicher und eine wesentlich höhere Verarbeitungszeit, um das ihnen von der Industrie versprochene Rechenzentrum auf dem Schreibtisch tatsächlich ausnutzen zu können.

Die AT-Systeme unter Xenix werden sicherlich zu einer neuen Evolutionsstufe in der Computerwelt beitragen, für die der alte Darwin gilt: The survival of the fitness - das Überleben des Bestangepaßten. Es bleibt die Frage: bestangepaßt an was? Die Anwender, also die Käufer der Systeme, haben bereits ihre Antwort gegeben: an ihre Bedürfnisse.