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Ray Kurzweil

"Uns steht eine phantastische Zukunft bevor"

21.06.2010
Von 


Simon Hülsbömer betreut als Senior Research Manager Studienprojekte in der Marktforschung von CIO, CSO und COMPUTERWOCHE. Zuvor entwickelte er Executive-Weiterbildungen und war rund zehn Jahre lang als (leitender) Redakteur tätig. Hier zeichnete er u.a. für die Themen IT-Sicherheit und Datenschutz verantwortlich.

Mensch und Maschine werden eins

CW: Was kommt nach 2029?

KURZWEIL: Die Ausbreitung maschineller Intelligenz wird zunächst kaum Auswirkungen auf die Menschheit haben. Schließlich haben wir schon heute sechs Milliarden Exemplare menschlicher Intelligenz, und da können einige wenige Computer nicht sofort alles verändern. Da die IT aber weiter exponentiell wächst, wird ihre Intelligenz bis 2045 um einige Milliarden Mal stärker ausgeprägt sein als die des Menschen. Weil unser Gehirn dieser Entwicklung jedoch nicht standhält, wird sich der Prozess insgesamt etwas verlangsamen, und schließlich werden Mensch und Maschine miteinander verschmelzen, um den Veränderungsdruck aushalten zu können.

CW: Computing wird immer biologischer?

KURZWEIL: Wir kopieren die Biologie immer präziser, weil sie ein starkes Vorbild für unsere Technologie darstellt. Da aber beispielsweise die chemischen Prozesse in der Biologie millionenfach langsamer sind als die heutigen elektronischen, ist das Vorbild in gewisser Weise begrenzt. Wir können die grundlegenden Prinzipien der Biologie zwar verstehen und in die Technologie einbringen, müssen uns dann aber von ihr lösen. Ungefähr vergleichbar ist dieser Prozess mit dem Fliegen: Die grundlegenden Prinzipien haben wir uns aus der Natur angeeignet, unsere heutige Luftfahrt hat sich davon aber schnell gelöst und ganz neue Technologien hervorgebracht.

CW: Wird das technische Wachstum trotzdem irgendwann ein Ende finden?

KURZWEIL: Knapp 200 Jahre exponentielles Wachstum auf nichtbiologischer Ebene sind auch nach 2029 noch möglich - 100 davon ganz sicher bei uns auf der Erde. Erst danach werden wir uns anderen Themen wie dem Übertreffen der Lichtgeschwindigkeit zuwenden. Uns steht eine phantastische Zukunft bevor, weil wir mit jedem Schritt unsere eigene Intelligenz besser verstehen und erweitern können.

CW: Steigt damit auch unsere Lebenserwartung?

KURZWEIL: In rund 15 Jahren wird unsere Lebenserwartung jedes Jahr um ein Jahr steigen. Dann werden wir in der Lage sein, die Zellen, die für den Alterungsprozess verantwortlich sind, umzuprogrammieren. In einem weiteren Schritt werden wir biologische Systeme komplett konservieren und neu gestalten können. Jeder von uns ist eine Ansammlung verschiedenster Informationen - seien es Erfahrungen, Talente oder Emotionen. In 50 Jahren können wir all das in einem "Mind File" sichern und jederzeit wiederherstellen. Wir werden reproduzierbar.

CW: Gilt das auch für unsere Gefühle, unsere Seele?

KURZWEIL: Hier stoßen wir in die philosophische Betrachtung vor. Die Seele ist in meinem Verständnis nichts anderes als unser Bewusstsein. Und ja, auch das wird konservier- und reproduzierbar sein.